Laufzeitverlängerung von Tihange 3 und Doel 4 um weitere zehn Jahre: Radiologischen Notfallschutz auf den neusten Stand bringen!

I. Ausgangslage

Die neue belgische Regierung hat angekündigt, den ursprünglich geplanten Atomausstieg rückgängig zu machen und künftig stärker auf Kernenergie zu setzen. Neben dem Bau neuer Atomkraftwerke sollen bestehende Reaktoren weiterbetrieben werden, was gerade auch in der Aachener Grenzregion Besorgnis auslöst.

Von dieser Entscheidung sind insbesondere die Reaktion Tihange 3 und Doel 4  betroffen, deren Laufzeit nun um zehn Jahre bis 2035 verlängert werden soll. Bereits zuvor waren diese Anlagen aufgrund technischer Mängel und Pannen umstritten. Der Widerstand gegen die Atomkraftwerke in der Region hat eine lange Geschichte: 2017 bildeten tausende Demonstrierende eine grenzüberschreitende Menschenkette, um die Abschaltung der störanfälligen Reaktoren Tihange 2 und Doel 3 zu fordern. Tihange 2 wurde schließlich im Januar 2023 stillgelegt, was im Aachener Raum für Erleichterung sorgte.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung sieht die angekündigten Laufzeitverlängerungen ebenso kritisch wie den möglichen Bau neuer Reaktoren. Diese Haltung sei mit dem Botschafter des Königreichs Belgien in Deutschland sowie im Rahmen bestehender Gesprächsformate und Beteiligungsverfahren auch gegenüber der belgischen Regierung kommuniziert worden. Zudem sei ein gegenseitiger Informations- und Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit, des Strahlenschutzes sowie der Sicherheit der Entsorgung von abgebrannten Brennelementen und radioaktiven Abfällen gegeben.

Weitergehende, konkrete Maßnahmen aufgrund der aktuellen Situation erwägt die Landesregierung hingegen nicht. Sie verweist darauf, dass die bereits vorliegenden Planungen zur Gefahrenabwehr bei Schadensereignissen in den grenznahen ausländischen Kernkraftwerken nach wie vor Gültigkeit haben. Sie wurden nicht mit Aussicht auf eine Außerbetriebnahme der belgischen Reaktoren abgeschwächt oder aufgehoben

Für einen radiologischen Notfall sind Kaliumiodidtabletten dezentral eingelagert, die bei Bedarf vorgeplant ausgegeben werden müssen. Bei Einnahme dieser Tabletten wird die Schilddrüse vorübergehend mit Iod gesättigt. Möglicherweise eingeatmetes radioaktives Iod kann dann von der Schilddrüse nicht mehr aufgenommen werden, sondern wird vom Körper schnell wieder ausgeschieden. Hohe Strahlendosen für die Schilddrüse können so vermieden werden, damit kann strahlenbedingtem Schilddrüsenkrebs wirksam vorgebeugt werden.

Die Gefahr, an strahlenbedingten Schilddrüsenkrebs zu erkranken, ist vor allem für Kinder und Jugendliche besonders groß. Um die volle Wirksamkeit zu entfalten, müssen die Kaliumiodidtabletten eingenommen werden, bevor die radioaktiven Luftmassen eintreffen. In Österreich werden die Tabletten direkt in Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen eingelagert, damit sie bei einem Durchzug von radioaktiven Luftmassen während der Betreuungs- und Schulzeit rechtzeitig eingenommen werden können; das hierfür erforderliche Einverständnis der Erziehungsberechtigten wird im Vorfeld eingeholt, sodass im Ernstfall ohne zeitliche Verzögerung gehandelt werden kann. Kaliumiodidtabletten weisen eine Haltbarkeit von zehn Jahren auf und sind problemlos zu lagern, sodass sich der organisatorische Aufwand für Kitas und Schulen in einem sehr niedrigen Rahmen hält.

Um die Sicherheit für die Bevölkerung auf nordrhein-westfälischem Gebiet weiterhin sicherzustellen, darf nicht allein auf vorhandene Notfallpläne vertraut werden. Vielmehr müssen diese angesichts der aktuellen Entwicklung überprüft und überarbeitet werden. Die Bevölkerung ist über entsprechende Maßnahmen des Notfallschutzes zu informieren.

II. Beschlussfassung

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  • Maßnahmen für den von einem der beiden belgischen Kernkraftwerke ausgehenden radiologischen Gefahrenfall zu überprüfen und zu überarbeiten;
  • die nordrhein-westfälische Bevölkerung bedarfsgerecht und geeignet über die in den Notfallplänen verankerten Maßnahmen zu informieren, insbesondere Eltern und vulnerable Personen;
  • Kaliumiodidtabletten für den radiologischen Notfall direkt in Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen in Nordrhein-Westfalen zu lagern, um so die rechtzeitige Verteilung und Einnahme während der Betreuungs- und Schulzeit zu gewährleisten sowie
  • im Rahmen der Notfallplanung rechtsichere Muster für Einverständniserklärungen der Erziehungsberechtigten zur Tablettenabgabe bereitzustellen, damit im Ereignisfall eine unverzügliche Verteilung erfolgen kann.