Mehr Respekt für Selbstständige und Freie Berufe – jetzt bessere Rahmenbedingungen für berufliche Eigenständigkeit und Eigenverantwortung schaffen

Ausgangslage

Selbstständige in Nordrhein-Westfalen – von Handwerkern über Gewerbetreibende bis hin zu Freiberuflern – sind Innovationstreiber und wichtige Arbeitgeber. Im Jahr 2022 waren in NRW etwa 730.000 Personen selbstständig, was mehr als acht Prozent der insgesamt gut neun Millionen Erwerbstätigen entspricht. Rund 336.000 aller Selbstständigen (46 Prozent) arbeiten als sogenannte „Solo-Selbstständige“. Das heißt, sie üben ihre selbstständige Tätigkeit ohne zusätzliche Angestellte aus. Mehr als die Hälfte der Selbstständigen (54 Prozent) beschäftigte mindestens eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter.

Die Schaffenskraft, die Kreativität und der unermüdliche Einsatz der Selbstständigen bilden einen wichtigen Teil unserer Wirtschaft. Sie sorgen auch für Fortschritte und innovative Geschäftsmodelle. Trotz ihrer entscheidenden Bedeutung für die Wirtschaftskraft unseres Bundeslandes sehen sich Selbstständige mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, die ihr unternehmerisches Potenzial einschränken. Oft werden sie als Erwerbstätige zweiter Klasse behandelt. Im Vergleich zu Angestellten sehen sich Selbständige mit zahlreichen steuerlichen, sozialen und bürokratischen Hürden konfrontiert, die ihre Erwerbstätigkeit, soziale Absicherung und Altersvorsorge erschweren und verkomplizieren.

Handlungsbedarf

1. Selbstständige in der Wirtschaftspolitik angemessen berücksichtigen

Die wirtschaftspolitische Debatte konzentriert sich häufig auf Unternehmen und Start-ups, während Selbstständige allzu häufig übersehen werden. Selbstständige leisten in Eigenverantwortung einen erheblichen Beitrag zu Wirtschaftsleistung, bieten Arbeits- und Ausbildungsplätze, sichern als Freiberufler die Daseinsvorsorge vor Ort und tragen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei.

Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellenwert Selbstständiger muss sich daher auch verstärkt in politischer Wertschätzung und Aufmerksamkeit widerspiegeln. Die Chancen und Möglichkeiten einer selbstständigen und freiberuflichen Tätigkeit sollten beispielsweise in der Schul- und Berufsbildung zukünftig mehr Aufmerksamkeit bekommen. Für die mit einer selbstständigen und freiberuflichen Tätigkeit verbundenen Möglichkeiten und Herausforderungen braucht es ein ausreichendes Informations- und Beratungsangebot. Vor gesellschaftliche Herausforderungen wie dem Fachkräftemangel, der Digitalisierung und wachsenden Nachhaltigkeitserfordernissen sowie Europäisierung und Internationalisierung stehen auch Selbstständige und Freie Berufe. Ihre spezifischen Anliegen gilt es hierbei landespolitisch und ressortübergreifend angemessen zu berücksichtigen.

Eine gute Grundlage dafür bietet in einem ersten Schritt eine öffentlichkeitswirksame Landeskampagne, die für selbstständige und freiberufliche Tätigkeit und vor allem unternehmerische Eigenverantwortung und die damit verbundenen Chancen und Möglichkeiten wirbt. In einem zweiten Schritt bietet sich der Aufbau einer landesweiten Plattform an, die dauerhaft Informationen und Beratungsangebote für Selbstständige und Freiberufler sammelt und bereitstellt. Diese Elemente sollten Teil einer bundesweit sichtbaren landeseigenen Strategie für Selbstständige und Freie Berufe sein, mit der sich Nordrhein-Westfalen klar zur Unterstützung dieser Berufsgruppen und ihrer Entwicklung bekennt.

2. Rechtssicherheit und soziale Absicherung für Selbstständige verbessern

Ob Freie Berufe, Handwerk, Kultur- und Kreativwirtschaft oder Dienstleistungsbranche: Es braucht Fairness für Selbstständige. Viele Selbstständige sind nicht ausreichend abgesichert, besonders in den Bereichen Altersvorsorge und Krankenversicherung. Ungleichbehandlungen müssen deshalb konsequent abgebaut werden.

Die Beiträge für Selbstständige zur gesetzlichen Krankenversicherung sollten sich an den tatsächlichen Einnahmen orientieren, ohne eine Mindestbemessungsgrundlage vorzusehen. Es braucht zudem dringend eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens. Über das Statusfeststellungsverfahren muss sich zeitnah und zweifelsfrei klären lassen, ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegt. Klare gesetzliche Positivkriterien müssen Rechtssicherheit gewährleisten. Diese Prüfung sollte durch eine unabhängige Stelle statt durch die Rentenversicherung vorgenommen werden. Um bei Auftraggebern Risiken zu minimieren, sollten für den Fall der Feststellung einer abhängigen Beschäftigung Beitragszahlungen nicht rückwirkend erhoben werden, wenn weder vorsätzlich noch grob fahrlässig von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen wurde.

Für Selbstständige sollte die maximale Wahlfreiheit bei der Altersvorsorge gelten. Auch die Form der Vorsorge sollte frei wählbar sein. Der Zugang zur gesamten geförderten privaten Altersvorsorge muss künftig für alle Erwerbstätigen offen sein. So kann beispielsweise verhindert werden, dass Personen mit einer flexiblen und vielfältigen Karrieregestaltung beim Wechsel in die Selbstständigkeit ihre Riester-Förderung verlieren. Eine Pflicht zu einer Altersvorsorge wäre wie bei der Krankenversicherung angemessen. Diese sollte zumindest das Niveau der Grundsicherung absichern. Für die Gründungsphase sollte es dabei Karenzfristen geben. Wahlfreiheit der Vorsorgeform sollte für alle Selbstständigen ohne obligatorisches bzw. berufsständisches Alterssicherungssystem sowie für Selbstständige gelten, die bisher in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert sind.

Auch die Modernisierung des Mutterschutzes ist dringend notwendig. Dafür ist die Einführung eines freiwilligen, flexiblen Mutterschutzes für Selbstständige geboten. Die Finanzierung des Mutterschutzes für Selbstständige kann äquivalent zum Mutterschutz für Angestellte erfolgen.

3. Steuerliche und bürokratische Entlastungen schaffen

Selbstständige haben tagtäglich mit komplexen Regelungen und Vorgaben zu kämpfen und werden unverhältnismäßig hoch von bürokratischen Belastungen beeinträchtigt. Bürokratie bindet wertvolle Zeit und Ressourcen. Sie verhindert Innovation und Wachstum. Dabei sollte gelten: Je überschaubarer die Form und die Gestaltung der Selbstständigkeit und je kleiner der Geschäftsbetrieb, desto einfacher und unkomplizierter sollten Vorgaben und Pflichten erfüllbar ausgestaltet sein. Zu notwendigen bürokratischen Entlastungen gehört es Statistik- und Dokumentationspflichten kritisch zu prüfen, zu vereinfachen und auf das notwendige Maß zu reduzieren. Dazu gehört, die Aufbewahrungsfristen von Buchungsbelegen im Handels- und Steuerrecht deutlich zu verkürzen. Besteuerungsverfahren müssen entlastungswirksam mit Hilfe von KI digitalisiert und automatisiert werden. Die vollautomatisierte Selbstveranlagung und der Datenaustausch mit der Finanzverwaltung müssen vorangetrieben werden. Mit Pauschalierungen und Typisierungen kann das Einkommenssteuerrecht weiter vereinfacht werden. Schriftformerfordernisse sollten konsequent wegfallen und nur dort, wo sie aufgrund besonderer branchenspezifischer Schutzbedürftigkeit zwingend notwendig sind, erhalten bleiben.

Insgesamt ist die Digitalisierung von Verfahren und Prozessen nicht Allheilmittel, sondern darf im Sinne von Praxistauglichkeit nur Mittel zum Zweck sein. Generell gilt es, Regulierung und Vorgaben von europäischer Ebene konsequent auf das geforderte europäische Mindestmaß zu begrenzen und mit Hilfe von jährlich angelegten Entlastungsinitiativen den Abbau von unnötigen bürokratischen Belastungen im Sinne des „One-in-two-out-Prinzips“ zu automatisieren. Darüber hinaus muss zwingend sichergestellt werden, dass öffentliche Vergaben und der Zugang zu sowie die Administration von Fördermaßnahmen insbesondere für Selbständige und kleine Unternehmen vereinfacht sowie bürokratiearm und praxisnah ausgestaltet werden. Kleinteilige Förderangebote, die mehr Aufwand als Nutzen für Antragssteller sollten abgebaut werden.

4. Freie Berufe besser fördern

Die Arbeit der Freiberufler schafft seither Vertrauen und sichert Wachstum. Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Anwälte, Architekten, Berater und viele weitere Freiberufler wie Kultur- und Kreativschaffende leisten zudem einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Gesundheitsvorsorge, Rechtsordnung und Kultur in unserem Land. Die hohen Ansprüche an ihre Qualifizierung und ihre Arbeit sowie eine strenge Selbstkontrolle tragen zu hoher Qualität und einem starken Verbraucherschutz bei.

Im Koalitionsvertrag der regierungstragenden Parteien von CDU und Bündnis 90/Die Grünen ist hierzu Folgendes verabredet worden: „Wir werden die Freien Berufe als einen tragenden Pfeiler der mittelständischen Wirtschaft Nordrhein-Westfalens weiter stärken.“ (Randnummern 1015 – 1016). Passiert ist das Gegenteil. Stattdessen sind die Landesmittel für die Förderung der Freien Berufe im Haushalt des Ministeriums für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie für das Jahr 2025 auf null gesenkt worden.

Es braucht ein landeseigenes Maßnahmenpaket für die Stärkung der Freien Berufe, die ihrer Bedeutung für Nordrhein-Westfalen gerecht wird. Dazu gehört die Einrichtung eines Instituts für Freie Berufe nach dem Vorbild des Instituts für Freie Berufe in Nürnberg. Der Tätigkeitsschwerpunkt soll in der Forschung über die berufliche und wirtschaftliche Lage und Entwicklung der Freiberufler in ihrer Gesamtheit und ihrer Einzigartigkeit mit allen damit zusammenhängenden Herausforderungen und Fragestellungen liegen. Das Institut für Freie Berufe NRW soll die erste Anlaufstelle für Freiberufler sein, die vor und nach der Existenzgründung fachmännischen Rat und Unterstützung benötigen. Eine finanzielle Förderung einer freiberuflichen Gründungsberatung in Anlehnung zu den Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sollte ebenso Teil des Maßnahmenpakets sein wie auch eine Abschlussprämie für höherqualifizierende Berufsbildungsabschlüsse in gleicher Höhe, analog zur eingeführten Meisterprämie.

Selbstständige und Freie Berufe sind unverzichtbar für die Wirtschaftskraft und Innovationsfähigkeit Nordrhein-Westfalens. Es ist deshalb dringend geboten die besten Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, damit sie erfolgreich arbeiten und wirtschaften können.

Beschlussfassung

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • eine landeseigene ressortübergreifende Strategie für die Unterstützung und Förderung von Selbstständigen und den Freien Berufen umzusetzen, die die Gleichwertigkeit gegenüber anderen Erwerbsformen fördert und die Bedürfnisse von Selbstständigen und Freien Berufen bei den zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen angemessen berücksichtigt.
  • als Teil dieser Strategie mit einer öffentlichkeitswirksamen Landeskampagne für selbstständige und freiberufliche Tätigkeiten und vor allem unternehmerische Eigenverantwortung und die damit verbundenen Chancen und Möglichkeiten zu werben.
  • als Teil dieser Strategie eine landesweite Plattform aufzubauen, die dauerhaft Informationen und Beratungsangebote für Selbstständige und Freiberufler bündelt und bereitstellt.
  • über die Unterstützung und Förderung der Selbstständigen und der Freien Berufe dem Landtag jährlich zu berichten.
  • sich dafür einzusetzen, dass das Statusfeststellungsverfahren im Sinne der Selbstständigen und Unternehmen angepasst wird.
  • sich dafür einzusetzen, dass Selbstständige maximale Wahlfreiheit bei der Altersvorsorge haben und der Zugang zur gesamten geförderten privaten Altersvorsorge künftig für alle Erwerbstätigen offen ist.
  • sich für eine Modernisierung des Mutterschutzes einzusetzen, die die Einführung eines freiwilligen und flexiblen Mutterschutzes für Selbstständige vorsieht.
  • Statistik- und Dokumentationspflichten insbesondere für Selbstständige und Freiberufler kritisch zu prüfen, zu vereinfachen und auf das notwendige Maß zu reduzieren.
  • Verwaltungsprozesse und Besteuerungsverfahren auch mit Hilfe von KI entlastungswirksam zu vereinfachen, zu digitalisieren und zu automatisieren und den Datenaustausch mit der Finanzverwaltung im Sinne des Once-Only-Prinzips weiter zu vereinfachen.
  • die Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege im Handels- und Steuerrecht so weit wie möglich und sinnvoll zu verkürzen und Schriftformerfordernisse so weit wie möglich abzubauen.
  • sicherzustellen, dass öffentliche Vergaben und der Zugang zu sowie die Administration von Fördermaßnahmen insbesondere für Selbständige und kleine Unternehmen vereinfacht sowie bürokratiearm und praxisnah ausgestaltet werden.
  • dauerhaft ein eigenes Institut für die Freien Berufe nach bayerischem Vorbild einzurichten, dessen Tätigkeitschwerpunkt in der Forschung über die berufliche und wirtschaftliche Lage und Entwicklung der Freiberufler in ihrer Gesamtheit und ihrer Einzigartigkeit mit allen damit zusammenhängenden Herausforderungen und Fragestellungen liegt. Das Institut soll die erste Anlaufstelle für Freiberufler sein, die vor und nach der Existenzgründung fachmännischen Rat und Unterstützung brauchen.
  • eine finanzielle Förderung für eine freiberufliche Gründungsberatung in Anlehnung zu den Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz einzuführen.
  • die Einführung einer Abschlussprämie für höherqualifizierende Berufsbildungsabschlüsse, in gleicher Höhe wie die eingeführte Meisterprämie, zu prüfen.