Neue Gründe für Beschwerden gegen die Grundsteuererhebung in unserem Land – Wie gerecht und willkürlich ist die Auswahl der Steuererklärungspflichtigen im Falle eines gemeinschaftlichen Eigentums von mehreren Personen an einer Liegenschaft?

Am 10. April 2018 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, warum die Vorschriften für die bisherige Bemessung der Grundsteuer mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar und damit verfassungswidrig sind. Die bis dato jahrelange Untätigkeit des Gesetzgebers führte zu einer gravierenden Ungleichbehandlung bei der Bewertung von Grundvermögen, für die das Bundesverfassungsgericht keine ausreichende Rechtfertigung sieht. Spätestens bis zum 31. Dezember 2024 ist nun eine rechtskonforme Neuregelung umzusetzen.

Die einzelnen Bundesländer können dabei eigenverantwortlich entscheiden, welches neue Modell sie dafür wählen. Die westdeutschen Flächenländer Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen sowie das Land Hamburg haben bereits erfolgreich eine eigene Gesetzgebung vollzogen. Für das Land Nordrhein-Westfalen existiert leider noch kein neues eigenes Grundsteuergesetz, da der Landtag den Gesetzentwurf der FDP-Landtagsfraktion (LT-DS 18/49) noch nicht beschlossen hat. Dieser orientiert sich weitgehend am Modell des Bundeslandes Hessen, das wie die meisten zuvor genannten westlichen Flächenländer einen flächenbasierten Ansatz wählt.

Solange es in einem Bundesland keine eigene Grundsteuergesetzgebung gibt, gilt leider das Scholz-Modell. Die bisher bekanntgewordenen Erfahrungen mit dessen Umsetzung für eine zukünftige Erhebung der Grundsteuer zeichnen sich durch hohe Umsetzungskosten und überbordende Bürokratie sowie gravierende Pannen aus. Bereits jetzt steht fest: Für viele Menschen wird die Grundsteuer durch Anwendung des Scholz-Modells teurer und mit deutlich mehr bürokratischem Aufwand verbunden sein. Letzteres gilt auch für den Staat selbst. Die Finanzverwaltung steht vor der Mammutaufgabe, etliche Millionen Grundstücke neu bewerten zu müssen.

Täglich nehmen die Beschwerden über die neue Grundsteuererhebung zu. Steuerberater kritisieren die zu kurzen Bearbeitungsfristen, da sie diese Zusatzaufgabe für Mandanten neben dem laufenden Geschäft erledigen müssen. Seit etlichen Monaten sind Steuerberater durch die Abrechnung von Corona-Hilfen und Kurzarbeit bereits überproportional belastet. Sie fordern daher längere Einreichungsfristen als gegenwärtig nur bis zum Oktober 2022. Auch die Deutsche Steuergewerkschaft beklagt Personalengpässe in der Finanzverwaltung, die erschwerend hinzukommen. Die nordrhein-westfälische Finanzverwaltung hat ratlosen Steuerpflichtigen unterdessen Auskünfte durch eine Hotline angeboten.

Nach Rückmeldung etlicher Steuerpflichtiger ist in der Kommunikation der Finanzverwaltung derzeit rein sachlich nicht nachvollziehbar, wer individuell beim gemeinsamen Grundbesitz mehrerer Eigentümer derselben Liegenschaft genau der Adressat der Erklärungspflicht ist und warum. Offenbar informieren die Finanzämter jeweils nur einen einzigen Eigentümer, obwohl die Erklärungspflicht rechtlich alle Eigentümer grundsätzlich in gleicher Weise betrifft.

Dieses Vorgehen erscheint wenig sinnvoll, da die offenbar zufällige Auswahl der Personen ohne Kenntnis von deren persönlichen Lebensumständen erfolgt. In vielen Fällen werden dadurch Eigentümer zur Erklärungspflicht ausgewählt und herangezogen, die gerade durch eine Krankenbehandlung, berufliche oder private Auslandsaufenthalte länger ortsabwesend sind oder aufgrund ihrer Lebenssituationen zufälligerweise die am wenigsten geeigneten Abgabepflichtigen sind. Ebenfalls ist es problematisch, wenn gemeinschaftliche Eigentümer beispielsweise durch Familienstreitigkeiten oder Trennung bei Ehepaaren den persönlichen Kontakt abgebrochen haben und in der Folge möglicherweise nicht informierte, unwissende Steuerpflichtige damit für Fehler, Falschangaben oder Unterlassungen eines anderen Dritten rechtlich oder finanziell belangt werden.

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Jeweils genau wie viele einzelne grundsteuerrelevante Liegenschaften (Steuerfälle) und Steuererklärungspflichtige, differenziert nach natürlichen Personen und Unternehmen sowie sonstigen Entitäten wie Vereine, Stiftungen usw., gibt es nach Datenlage der Landesregierung in allen einzelnen Finanzämtern, die für die Grundsteuerbearbeitung im Land Nordrhein-Westfalen zuständig sind? (detaillierte Aufschlüsselung pro Finanzamt erbeten)
  2. In jeweils wie vielen Fällen davon handelt es sich bei den Verpflichteten zur Abgabe der Feststellungserklärung nicht um exakt nur eine Person als Grundeigentümer, sondern um eine Mehrpersonenkonstellation, aufgeschlüsselt nach sinnvollen Größenklassen, auf der Eigentümerseite? (beispielsweise 5 Klassen: 1, 2, 3, 4, 5 oder mehr Eigentümer)
  3. Nach welchen einzelnen Kriterien entscheidet die Finanzverwaltung, wer genau der eine Erklärungspflichtige oder gegebenenfalls die Teilgruppe der Erklärungspflichtigen aus der Eigentümergesamtheit einer Immobilie ist, der/die die Datenübermittlung zu erledigen und zu verantworten hat? (ausführliche Darstellung des Auswahlprozesses und falls gegeben verschiedener Fallkonstellationen erbeten, wie beispielsweise Zufallsprinzip, Vorrang des größten Miteigentumsanteils, Relevanz von Alter und Geschlecht etc.)
  4. Mit potentiell welchen Sanktionen hat ein Miteigentümer A zu rechnen, der selber von der Finanzverwaltung nicht zur Abgabe einer Feststellungsklärung schriftlich aufgefordert worden ist, wenn die Angaben ein anderer zu diesem Zwecke behördlich aufgeforderter Miteigentümer B seinerseits nicht, nicht rechtzeitig oder nur fehlerhaft erledigt?
  5. Genau wie viele Anfragen sind bei der Hotline der Finanzverwaltung, bitte jeweils täglich seit dem 1. Juni 2022, dort zu Sachverhalten der Grundsteuer eingegangen?

Ralf Witzel