Mithilfe des chemischen Recyclings Lücken schließen und die Kreislaufwirtschaft stärken
I. Ausgangslage
Im Gegensatz zum traditionellen, linearen Wirtschaftsmodell werden in der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) alle verwendeten Stoffe – das heißt, von der Produktion über Transport bis hin zum Konsum – wiederverwendet, repariert und recycelt, so dass die Stoffe weitestgehend in einem Kreislauf gehalten werden.
Bei der Kreislaufwirtschaft muss vor allem sichergestellt sein, dass die stoffliche Rückgewinnung technologisch möglich ist. Die meisten Grundstoffe, fertigen Produkte oder Abfälle können nach erster Nutzung weiterverwendet werden, wenn dafür die richtigen Voraussetzungen geschaffen werden. So können Nebenprodukte oder Abfälle als Sekundärrohstoffe der Wirtschaft wieder zur Verfügung gestellt werden. Die Vorteile sprechen für sich. Zum einen werden Abfälle auf ein Minimum reduziert, zum anderen werden Produkte nach dem Ende ihrer Lebensdauer in ihre Bestandteile zerlegt und soweit wie möglich wieder der Wertschöpfungskette zugänglich gemacht, damit diese weiterhin Wertschöpfung generieren können. Dadurch werden natürliche Ressourcen geschont und der Lebenszyklus der Produkte verlängert. Die Kreislaufwirtschaft wird zunehmend wichtiger, da die natürlichen Ressourcen immer knapper und der Bedarf nach solchen Ressourcen immer größer werden.
Laut dem Circularity Gap Report 2022 werden über 90 Prozent aller gewonnenen und verwendeten Materialien verschwendet. Lediglich 8,6 Prozent gelangen in unsere Wirtschaft zurück. Das zeigt, dass in der Kreislaufwirtschaft ein erhebliches wirtschaftliches Potenzial liegt. Berechnungen zufolge könnte allein in Deutschland zirkuläres Wirtschaften bis 2030 ein Marktvolumen von 200 Milliarden Euro erreichen. Vor allem für die Bauwirtschaft, Kunststoffindustrie sowie die Abfallwirtschaft bieten sich ein erhebliches Effizienz- und Wachstumspotenzial. Zudem können Rohstoffimporte gesenkt werden. Ein auf stoffliche Rückgewinnung bedachtes Wirtschaften kann somit für die nordrhein-westfälische Industrie zum zentralen Wettbewerbsvorteil werden.
Der effiziente Einsatz sowie die Wiederverwertung von Wertstoffen ist ein wichtiges Instrument für mehr Nachhaltigkeit. Für die Erreichung der Klimaziele des Pariser Klimaabkommens ist es geboten, ressourceneffizienter zu wirtschaften und die Kreislaufwirtschaft zu stärken. Innovative Wiederverwertungstechnologien wie das chemische Recyceln im Verpackungsbereich helfen, die Mengen an recyceltem Material zu erhöhen.
Die Verunreinigung von Kunststoffen durch Glas, Metalle, Fasern, Papier, Verbundmaterialien und Additive erschweren das Recycling erheblich, da diese den Anwendungsbereich des erzeugten Rezyklats stark einschränken. Das chemische Recycling (auch rohstoffliches Recycling) kann hierbei einen wichtigen Beitrag leisten, insbesondere dann, wenn das werkstoffliche Recycling an seine Grenzen stößt. Durch das chemische Recycling wird das Produkt in seine chemischen Grundstoffe zerlegt und anschließend wieder für die Kunststoffproduktion zur Verfügung gestellt – und das frei von jeglichen Schadstoffen.
Es können verschiedene Verfahren für das chemische Recycling angewendet werden. Dazu zählen lösungsmittelbasierte Prozesse, hydro-thermale Mikrowellen und thermochemische Prozesse. Chemisches Recycling wird vorwiegend mittels Pyrolyse-, Vergasungs- oder Solvolyse-Prozessen erreicht. Die Wahl des Verfahrens hängt stark von der Verunreinigung Materials ab. Anschließend lassen sich daraus völlig neue Kunststoffe herstellen.
Am häufigsten kommen jedoch thermochemische Prozesse wie die Pyrolyse zum Einsatz, da diese sich für besonders stark verunreinigte Stoffströme anbieten. Bei der Pyrolyse wird unter Sauerstoffentzug das organische Material auf bis zu 500 Grad Celsius aufgeheizt. Dabei entstehen je nach Basisstoff gasförmige, flüssige oder feste Reaktionsprodukte (Gas, Öl, Wachse), welche dann als Grundstoffe wieder in der chemischen Industrie eingesetzt werden können.
Das chemische Recycling vereint viele Vorteile. Zum einen werden Schadstoffe aus den Kunststoffen separiert, zum anderen erhält man dadurch einen völlig neuwertigen Grundstoff. Es kann auch dann eingesetzt werden, wenn das werkstoffliche Recycling aus technischer und wirtschaftlicher Sicht ungeeignet erscheint oder der Kunststoff so verunreinigt ist, dass eine mechanische Aufbereitung gar nicht erst möglich ist.
Zurzeit werden Kunststoffe primär mechanisch recycelt. Dabei bleibt die chemische Struktur des Kunststoffs erhalten. Kunststoffe, die nicht recycelt werden, werden zumeist verbrannt. Als Ergänzung zum werkstofflichen Recycling bietet das chemische Recycling eine effizientere Nutzung von Kunststoffabfällen. Dass beim chemischen Recycling noch Optimierungs- und Ausbaupotential vorhanden ist, zeigen auch die Zahlen zur Kunststoffverwertung des Umweltbundesamts. Im Jahr 2019 sind in Deutschland 6,28 Millionen Tonnen Gesamt-Kunststoffabfälle angefallen. Davon wurden 3,31 Millionen Tonnen oder 52,8 Prozent energetisch verwertet, also größtenteils verbrannt. 2,93 Millionen Tonnen oder 46,6 Prozent wurden werk- und rohstofflich genutzt. Bei genauerer Betrachtung der Zahlen fällt auf, dass 46,4 Prozent auf das werkstoffliche Recycling zurückzuführen und 0,2 Prozent auf das rohstoffliche, sprich chemische Recycling, zurückzuführen sind.
Für den Aufbau einer adäquaten Basis für Sekundärrohstoffe ist es gerade für die Kunststoffindustrie erforderlich, dass anrechenbare Recyclingverfahren ständig neu überprüft werden und aktuelle Entwicklungen im chemischen Recycling berücksichtigt werden. Das gilt insbesondere dann, wenn beim chemischen Recycling ein Beitrag zur CO2-Reduktion geleistet werden kann.
Kritiker bemängeln, dass das chemische Recycling zu energieintensiv ist und ökologisch ineffizient sei. Klar ist: Das chemische Recycling soll nicht das werkstoffliche Recycling ersetzen, sondern es vielmehr ergänzen und Lücken schließen. Deshalb ist es kontraproduktiv, diese Technologie im Vorhinein regulatorisch kleinzuhalten. Allein auf die Verbesserung und Optimierung des werkstofflichen Recycling zu setzen, wird nicht ausreichen, um die Zielvorgaben der Kreislaufwirtschaft zu erreichen. Die politische Zurückhaltung birgt die Gefahr, dass Investitionen in das chemische Recycling in Deutschland und Nordrhein-Westfalen nicht getätigt werden, da andere Industrienationen dem chemischen Recycling deutlich wohlwollender gegenüber stehen.
Daher braucht es ein klares Bekenntnis zum chemischen Recycling. Gerade für Nordrhein-Westfalen birgt das chemische Recycling enormes Potenzial, da sich praktisch die ganze Wertschöpfungskette für den Bereich Kunststoff in unserem Bundesland befindet – bis hin zum Ausgangsmaterial, den Abfall für die Anlagen. Aufgrund der hohen Bevölkerung und der zentralen Lage von Nordrhein-Westfalen in Europa bietet sich Nordrhein-Westfalen als idealer Standort an.
Dass fortlaufend an effizienteren Verfahren geforscht wird, zeigt das Fraunhofer UMSICHT. Das Fraunhofer UMSICHT hat eine Pyrolysetechnologie entwickelt, die einen energieeffizienten Betrieb der Anlage gewährleistet und dabei eine optimale Wärmeübertragung auf das Einsatzmaterial ermöglicht. Viele Potenziale der zirkulären Wirtschaft sind allerdings noch ungenutzt. Um diese Potenziale zu entfesseln, bedarf es einer adäquaten Förderlandschaft sowie der Integration von kreislauffähigen Produkte und Verfahren in Förderrichtlinien. Wichtig ist, dass die Technologie auch in Nordrhein-Westfalen genutzt wird und nicht ausschließlich in anderen Bundesländern. Dafür muss chemisches Recycling technologisch diskriminierungsfrei auf Recyclingquoten angerechnet werden können.
Aus diesem Grund sollten Modellregionen für die zirkuläre Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen aufgebaut werden. Durch die Etablierung solcher Modellregionen, ähnlich den Öko-Modellregionen, können Anreize gesetzt, die Wertschöpfungskette besser vernetzt und der Anteil an Sekundärrohstoffen erhöht werden. Das Rheinische Revier und das Circular Valley-Projekt in der Rhein-Ruhr-Region bieten dafür beste Voraussetzungen. So kann das zirkuläre Wirtschaften zu einem weltweiten Erfolgskonzept aus Nordrhein-Westfalen werden.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:
- Chemisches Recycling ist eine wichtige Ergänzung bestehender Recyclingverfahren, das dabei unterstützt, europäische und nationale Recyclingziele zu erreichen.
- Rezyklate aus dem chemischen Recycling sind qualitativ gleichwertig zu Produkten aus fossilen Rohstoffen.
- Chemisches Recycling ist ein essentieller Bestandteil einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft und trägt dazu bei, unvorteilhafte Stoffe aus Kohlenstoffkreisläufen zu entfernen.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- kreislauffähige Produkte in die Förderrichtlinien zu integrieren und auf Bundesebene darauf hinzuwirken, dass diese steuerlich begünstigt werden.
- die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, dass chemisches Recycling auf Recyclingquoten angerechnet werden können.
- auf Bundesebene für eine schnelle Aufnahme des chemischen Recyclings in das Verpackungsgesetz zu werben.
- einheitliche Standards für die Verwendung von Sekundärrohstoffen zu fördern und zu unterstützen.
- einen Round Table mit allen wichtigen Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Verbänden zu bilden, um das Recycling und die übergeordnete Kreislaufwirtschaft in Nordrhein-Westfalen zu verbessern und Nordrhein-Westfalen zum Kreislaufwirtschaftsland Nr. 1 zu machen.
- Modellregionen der zirkulären Wirtschaft auszuschreiben und zu fördern - ähnlich den Ökomodellregionen.
- die Errichtung des Exzellenzzentrums zirkuläre Kunststoffwirtschaft NRW im Rheinischen Revier und das Circular Valley-Projekt weiter zu unterstützen und zu fördern.
- die Einrichtung von Reallaboren und Demonstrationsanlagen für Forschung, Entwicklung und kommerzielle Erprobung des chemischen Recyclings in Nordrhein-Westfalen aktiv voranzutreiben.
- sich dafür einzusetzen, dass Investitionen in Anlagen für das chemisches Recycling mit Klimaschutzdifferenzverträgen (CCfD) angereizt und gefördert werden können.
Henning Höne
Marcel Hafke
Dietmar Brockes
und Fraktion