Das Krankheitsbild Lipödem aus der gesellschaftlichen Tabuzone holen – Aufklärung, Versorgung und Forschung stärken.
I. Ausgangslage
Das Krankheitsbild Lipödem ist eine chronische und progrediente Erkrankung, die nahezu aus schließlich bei Frauen auftritt. Gekennzeichnet ist es durch eine Störung der Fettverteilung, bei der es zu einer unkontrollierten Vermehrung der Fettzellen im Fettgewebe der Unterhaut, vor allem an Beinen, Hüfte, Gesäß und in einigen Fällen auch an den Armen kommt. Zwischen den Fettzellen kommt es zu Wassereinlagerungen, sog. Ödemen. Diese drücken auf das um- liegende Gewebe, so dass es insbesondere abends, nach längerem Stehen und/oder bei warmen Temperaturen zu Spannungs- und Schweregefühlen in den betroffenen Stellen kommt. Die betroffenen Stellen sind dabei zudem sehr berührungs- und druckempfindlich, hinzu kommen ständige Schmerzen durch Wasserablagerungen zwischen den Fettschichten. Es liegt dabei eine deutliche Disproportion zwischen Körperstamm und Extremitäten vor. Typisch für das Krankheitsbild ist also ein unproportionales Verhältnis der Körperteile zueinander.
Die mit dem Lipödem einhergehenden Beschwerden reichen von Berührungs- und Druckschmerz und einer Neigung zu Blutergüssen über Spannungs- und Schweregefühl der Arme und Beine bis zur Einschränkung der Bewegung. Ebenso können Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Essstörungen auftreten. Diese Beschwerden führen dazu, dass Betroffene erheblich in ihrer Lebensfähigkeit beeinträchtigt werden. Die Fettverteilungsstörung sorgt zudem dafür, dass neben der körperlichen Symptomatik auch eine ästhetische Komponente hinzukommt: Betroffenen werden als zu dick stigmatisiert, ihnen wird zum Abnehmen geraten.
Dies verdeutlicht, dass es eine mangelnde Fachkenntnis unter Ärztinnen und Ärzten zu diesem Krankheitsbild gibt. Häufig wird es mit einem Lymphödem oder Adipositas verwechselt. Es besteht dabei nicht nur eine Unkenntnis über den medizinischen Sachverhalt, ebenso auch über das komplexe Versorgungssystem der Krankheit. Ähnlich wie bei anderen frauenspezifischeren Krankheiten wie z. B. Endometriose, vergeht vom Auftreten erster Symptome bis zur Diagnose und adäquater Behandlung wertvolle Zeit –Zeit, die eine Therapieverzögerung bedeutet, in der das Lipödem sich ausweitet.
Ebenso gibt es eine unzureichende Datenlage in Bezug auf eine angemessene Behandlung. Lipödeme lassen sich bislang nicht ursächlich behandeln. Auch bei den operativen Methoden, den unterschiedlichen Techniken der sog. Liposuktion, existieren bislang keine Daten im Vergleich zu einer alleinigen konservativen, symptomorientierten Behandlung. Hinzu kommt, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten einer Liposuktion erst im III. Stadium der Krankheit übernehmen, unabhängig davon wie der Erfolg- und Kostenfaktor im Vergleich zu Behandlungen mit z. B. Kompressionsstrümpfen und Lymphdrainagen aussieht.
Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) 2019 eine Erprobungsstudie gestartet hat, die sogenannte LIPLEG-Studie. In dieser sollen die offenen Fragen des Nutzens einer Liposuktion bei Lipödem geklärt werden. Weiter sollen auch Erkenntnisse zu den Risiken und möglichen Komplikationen gewonnen werden. Die wissenschaftliche Begleitung der Studie erfolgt u. a. durch das Zentrum für klinische Studien (ZKS) der Universität zu Köln. Eine Zwischenauswertung steht 2024 an.
Für weitere Erkenntnisse über die Pathogenese der Krankheit braucht es aber noch mehr Forschung in Form von Langzeitstudien. Bis dahin bleiben Betroffene massiv in ihrer Lebensqualität eingeschränkt. Dies kann bis zum Eingriff in die Berufsfähigkeit und Erwerbstätigkeit gehen. Es muss daher Aufklärung, Sensibilisierung und Öffentlichkeit geschaffen werden. Dadurch können Netzwerke entstehen, die Selbsthilfe im Umgang mit der Krankheit aktivieren.
Auch bei dem Krankheitsbild Lipödem gilt es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Betroffenen möglichst schnell einen adäquaten Zugang zu Diagnostik und Therapie ermöglichen. Ebenso braucht es einen offeneren Umgang mit diesem Krankheitsbild, damit Betroffene nicht stigmatisiert werden.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:
- Ärztinnen und Ärzte müssen für das Krankheitsbild Lipödem sensibilisiert und entsprechend aus- und weitergebildet werden.
- Auch in der Gesellschaft muss ein Bewusstsein für das Krankheitsbild Lipödem geschaffen werden.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- die Strukturen der Lipödem-Selbsthilfe zu stärken, indem Öffentlichkeit für die Vereine und Gruppen geschaffen wird,
- zu prüfen, welche Folgestudien über die LIPLEG-Studie hinaus sinnvoll für die weitere Erforschung des Krankheitsbildes Lipödem sind,
- bei Hochschulen und Universitätskliniken unter Beachtung der Hochschulautonomie da- für zu werben, dass sie sich um Mittel aus der Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Bereich Frauengesundheit bewerben,
- Hochschulen und Universitätskliniken darüber hinaus zu unterstützen, um die Erforschung der Ursachen durch neue Diagnoseverfahren zu ermöglichen und somit bessere Behandlungsmöglichkeiten zu gewährleisten., Dabei soll vor allem auf einen interdisziplinären Forschungsansatz geachtet werden,
- geschlechtergerechte Gesundheit auf die Agenda der Gesundheitsministerkonferenz zu setzen und mit den beteiligten Akteuren konkrete Maßnahmen zur Verbesserung von Aufklärung, Versorgung und Forschung zu vereinbaren,
- gemeinsam mit den zuständigen Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe zu erörtern, inwieweit das Thema Lipödem - entsprechend dem aktuellen Stand der Forschung - in Fort- und Weiterbildung für Ärztinnen und Ärzte sowie weiteres medizinisches Fachpersonal angeboten wird und dieses Angebot gegebenenfalls (weiter) zu entwickeln,
- sich dafür einzusetzen, geschlechtersensible Medizin und gesundheitliche Vorsorge in der medizinischen Aus-, Fort- und Weiterbildung für Ärztinnen und Ärzte sowie weiteres medizinisches Fachpersonal künftig stärker zu berücksichtigen,
- in Zusammenarbeit mit den Kassenärztlichen Vereinigungen und anderen Trägern ein Pilotprojekt zu initiieren, in dem weitere interdisziplinäre Behandlungsbedarfe und -möglichkeiten für Lipödem-Betroffene (z. B. psychosoziale Beratung, ambulante multimodale Schmerztherapie, begleitende Psychotherapie und Physiotherapie) adressiert werden.