Der Rezession in Nordrhein-Westfalen entgegenwirken – Bürokratieentlastung jetzt umsetzen

I. Ausgangslage

In den zurückliegenden Monaten haben sich viele ökonomische Fundamentaldaten für Nordrhein-Westfalen deutlich verschlechtert. Der Trend kennt fast überall nur noch eine Richtung – nach unten:

  • Die Produktion der NRW-Industrie ist im Juli 2023 nach vorläufigen Ergebnissen saisonbereinigt um 7,2 Prozent gegenüber Juli 2022 gesunken.
     
  • Die Produktion in den energieintensiven Industrien war im Juli 2023 um 12,1 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor.
     
  • Das NRW.Bank.ifo-Geschäftsklima ist im August 2023 zum fünften Mal in Folge gefallen und erstmals seit Februar 2021 in den negativen Bereich gerutscht. Dies ist ein deutliches Signal für eine sich vertiefende Schwächephase in der nordrhein-westfälischen Wirtschaft.
     
  • Nordrhein-Westfalen verzeichnet im ersten Halbjahr 2023 mit 2160 Unternehmensinsolvenzen einen Anstieg von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die Forderungen aus den Insolvenzen belaufen sich auf 5,7 Milliarden Euro. Rund 41.000 Arbeitnehmer waren von Insolvenzen betroffen.

Insgesamt wird in diesem Jahr die Wirtschaftsleistung in Deutschland nach neuesten Prognosen führender Wirtschaftsinstitute voraussichtlich um 0,4 bis 0,6 Prozent sinken. Aufgrund seines hohen Anteils an energieintensiver Industrie wird die Wirtschaftsleistung in Nordrhein-Westfalen noch schlechter als der Bundesdurchschnitt ausfallen. Wenn Deutschland erneut droht, zum kranken Mann Europas zu werden, ist Nordrhein-Westfalen sein schwaches industrielles Herz.

Die schwarz-grüne Landesregierung unternimmt ihrerseits keine strukturellen Maßnahmen, um die nordrhein-westfälische Wirtschaft zu entfesseln. Einig ist sie sich immer darin: Schuld sind immer nur die anderen. Überdies fällt sie selbst nur auf durch den Neubaustopp von dringend benötigter Infrastruktur oder durch den Verwaltungswust unzähliger kleiner und großer Förderprogramme, die die eigenen Bezirksregierungen lahmlegen. Innenminister Herbert Reul schreibt dazu in einem Brandbrief aus dem März an seine Ministerkollegen, die Grenze der Belastbarkeit in den Bezirksregierungen sei „schon länger erreicht und in vielen Bereichen inzwischen überschritten“. Die Personaldecke sei zu kurz, um alle Anforderungen „zeitnah“ und in der gewünschten Qualität und Quantität abzudecken. Bisher hat die Landesregierung nichts Substanzielles unternommen, um diese Missstände nachhaltig zu beseitigen. Die Überforderung der Verwaltung bleibt der Status quo.

Nicht verwunderlich: Noch immer gibt es weder einen digitalen Bauantrag noch digitale Genehmigungsverfahren. Papierkram bis zum Abwinken bleibt in Nordrhein-Westfalen Alltag für Betriebe und die öffentliche Verwaltung.

Anstatt den Standort Nordrhein-Westfalen – beispielweise mit einem eigenen Wachstums- und Entfesselungspaket – attraktiver zu gestalten, ruft die Landesregierung nach dem Bund und verlangt nach einem mit 25 bis 30 Milliarden Euro subventionierten Industriestrompreis, der über Schulden finanziert werden soll und die strukturellen Defizite Nordrhein-Westfalen weiter zementieren und verschleiern würde.

Die FDP hingegen hat in Mitverantwortung während der schwarz-gelben Regierungszeit gezeigt, wie es richtig geht, indem –initiiert durch Wirtschaftsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart – insgesamt acht Entfesselungspakete durchgesetzt wurden. Hierdurch konnten zahlreiche bürokratische Hürden für Unternehmen in Nordrhein-Westfalen abgebaut werden und so die Grundlagen für eine prosperierende Wirtschaft mit sicheren Arbeitsplätzen verbessert werden.

Die FDP führt diesen Kurs auf Bundesebene fort und hat zum einen das Maßnahmenpaket zur Planungsbeschleunigung für wichtige Infrastrukturprojekte durchgesetzt. Zum anderen hat die Bundesregierung unter der Leitung des FDP-geführten Bundesjustizministeriums (BMJ) ein großes Bürokratieentlastungsspaket erarbeitet, dem ein breites Beteiligungsverfahren mit zahlreichen Verbänden aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft voranging. Darauf aufbauend hat das BMJ am 30. August 2023 die Eckpunkte für das Bürokratieentlastungsgesetz IV vorlegt. Durch diese Maßnahmen kann der Bürokratiekosten-Index auf seinen historisch niedrigsten Stand seit dem Aufzeichnungsbeginn im Jahre 2012 fallen.

Selbstständige, Handwerksbetriebe, Mittelständler bis hin zu großen Industrieunternehmen müssen sich tagtäglich durch einen dichten Dschungel aus einer Vielzahl von steuer-, sozial- und umweltrechtlichen Vorgaben kämpfen, nur um ihre Geschäfte betreiben zu können. Die vielen Vorgaben bringen unterschiedlichste Melde-, Berichts-, Nachweis- und Dokumentationspflichten mit sich, die erheblichen Erfüllungsaufwand und finanzielle Kosten erzeugen.

Versuche, diesen wachsenden Bürokratiedschungel zu stutzen, hat es immer wieder gegeben. Es muss daher Ziel sein, Bürokratieabbau zu institutionalisieren, insbesondere durch eine Selbstverpflichtung des Staates unnötige Regulierung und Vorgaben stetig abzubauen und mehr zu entlasten als zu belasten. Weniger Bürokratie und effiziente Regeln sind ein Entlastungsimpuls zum Nulltarif. Sie schaffen mehr personelle, finanzielle und sachliche Ressourcen bei Unternehmen und Betrieben.

Auch auf Landesebene muss nun ein entsprechender Entlastungsimpuls in die Wege geleitet werden, um die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen zu unterstützen. Dafür sind zunächst die schlimmsten Bürokratiemonster durch eine Verbändeabfrage unter Einbindung der Clearingstelle Mittelstand zu identifizieren und sodann nach einem Prüfungs- und Priorisierungsprozess abzuschaffen. Damit soll die Grundlage für ein umfassendes Bürokratieentlastungsgesetz des Landes geschaffen werden.

Kleinteilige Förderprogramme mit schlechter Kosten-Nutzen-Relation oder mit Förderkleinstbeträgen unterhalb von Bagatellgrenzen sind umgehend einzustellen. Insbesondere für die Kommunen muss die Landesregierung ihre zahlreichen Förderprogramme kritisch überprüfen und zusammenstreichen. Das Geld, das dann frei wird, muss den Kommunen direkt zugutekommen – ohne Zweckbindung. Die Kommunen wissen am besten, welche Investitionen sie vor Ort brauchen, ohne Weisung aus Düsseldorf.

Die Kräfte bei den Bezirksregierungen müssen gebündelt werden, damit man sich auf die rasche Bearbeitung von Genehmigungen konzentrieren kann, die für den Standort Nordrhein-Westfalen von übergeordneter Bedeutung sind. Darüber hinaus muss die Genehmigungsbearbeitung bei den Bezirksregierungen priorisiert werden. Die Bezirksregierungen müssen zusätzlich die Zuständigkeiten zentralisieren, damit die komplexen Genehmigungsverfahren von erfahrenen Experten bearbeitet werden können. Das schafft Rechtssicherheit und spart viel Zeit.

Sämtliche Digitalisierung-, Standardisierungs- und Automatisierungspotentiale bei Verwaltungsverfahren müssen gehoben werden, um Verwaltungsprozesse radikal zu vereinfachen und Verwaltungsbeschäftigte zu entlasten. Dort wo diese Potentiale ausgeschöpft sind, müssen bedarfsgerecht und gezielt Fachkräfte gewonnen werden.

Nur durch diese Maßnahmenpakete können eine zukunftsfähige wirtschaftliche Entwicklung für Nordrhein-Westfalen sichergestellt und neue Wachstumsimpulse generiert werden.

II. Beschlussfassung:

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • aufbauend auf den Maßnahmen des Bundes umgehend einen Entbürokratisierungsprozess –beginnend mit einer Verbändeabfrage –in Gang zu setzen, um die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen durch ein Bürokratieentlastungsgesetz zügig von Bürokratie zu befreien. Folgende grundsätzliche Maßgaben soll das Bürokratieentlastungsgesetz NRW dabei beinhalten:
     
  • Um Bürokratiebelastungen in Nordrhein-Westfalen messbar zu machen, ist ein kontinuierlicher Bürokratie-Check in Form eines landeseigenen Bürokratiekosten Index nach Vorbild des Bundes einzuführen.
     
  • Für die kontinuierliche Messung und systematische Überprüfung von Bürokratiebelastungen im Rahmen des Bürokratie-Checks ist ein landeseigener Normenkontrollrat einzurichten, der beim Landesrechnungshof angesiedelt wird, um dessen Unabhängigkeit zu gewährleisten.
     
  • Für die interne Normprüfung sind für die Berechnung von Erfüllungs- und Verwaltungsaufwand zwingend das auf Bundesebene übliche Standardkostenmodell anzuwenden.
     
  • Für die Clearingstelle Mittelstand ist ein Initiativrecht einzuführen, damit der Mittelstand Vorschläge für bürokratische Entlastungen frühzeitig bei der Landesregierung platzieren kann.
     
  • Für alle Vorgaben und Vorschriften im Rahmen von Gesetzen und Verordnungen, die Erfüllungsaufwand verursachen, soll eine Befristung eingeführt werden, so dass diese automatisch nach zehn Jahren auslaufen.
     
  • Für alle rechtlichen Regelungen in Nordrhein-Westfalen soll ein One-in-Two-Out-Prinzip verpflichtend werden: Für jede neue Belastung für Wirtschaft, Bürgerinnen und Bürger sowie die Verwaltung muss an anderer Stelle für mehr Entlastung gesorgt werden.
     
  • Europa- und bundesrechtliche Vorgaben sollen 1:1 umgesetzt werden, auf darüberhinausgehende landesspezifische Vorgaben ist zu verzichten. Alle Landesregelungen sind daraufhin zu überprüfen und ggf. entsprechend anzupassen.
     
  • Es ist ein Best-Practice-Ansatz einzuführen, der dazu verpflichtet, sich bei allen Regulierungsmaßnahmen an der deutschlandweit einfachsten und unkompliziertesten Lösung zu orientieren.
     
  • Eine Verpflichtung zu einheitlichen und bürgerfreundlichen Texten wird eingeführt.
     
  • Förderbürokratie muss bestmöglich reduziert und sämtliche Förderprogramme und -verfahren transparent, bürokratiearm und effizient für alle Nutzergruppen ausgestaltet werden:
     
  • Mit einem Förder-Monitoring werden Zweck, Ziele und Treffsicherheit der Programme fortlaufend kritisch überprüft, um die effiziente Verwendung von öffentlichen Mitteln zu gewährleisten.
     
  • Förderprogramme für die Kommunen mit schlechter Kosten-Nutzen-Relation und unverhältnismäßig hohem Verwaltungswand sind zu streichen. Die frei gewordenen Mittel sind den Kommunen ohne Zweckbindung zur Verfügung stellen.
     
  • Es soll eine zentrale digitale Plattform geschaffen werden, über die alle verfügbaren öffentlichen Förderprogramme übersichtlich aufbereitet und durch alle Nutzergruppen einfach und unkompliziert zu administrieren sind.
     
  • Sämtliche Digitalisierungs-, Standardisierungs- und Automatisierungspotentiale bei Verwaltungsleistungen sind zu heben, um Verwaltungsprozesse radikal zu vereinfachen und Verwaltungsbeschäftigte zu entlasten. Dort, wo diese Potentiale ausgeschöpft sind, müssen bedarfsgerecht und gezielt Fachkräfte gewonnen werden:
     
  • Für alle Verwaltungsleistungen ist ab dem 01.01.2025 ein Digitalisierungsgrundsatz und ein Recht auf digitale Erledigung einzuführen. Jeder Kontakt mit der Verwaltung soll digital möglich sein. Das Land setzt fest, nach welchen digitalen Standards sämtliche IT-Anwendungen bei Ministerien, nachgeordneten Behörden, Bezirksregierungen und Kommunen miteinander kommunizieren können (Schnittstellen-Standard).  
     
  • Die Verwaltungsleistungen sollen prioritär digitalisiert werden, die am häufigsten von Bürgerinnen und Bürgern in Anspruch genommen werden. Das erhöht die Akzeptanz und steigert die Digitalisierungsdividende. Gleiches muss für unternehmensbezogene Verwaltungsleistungen gelten.
     
  • Das Wirtschafts-Service-Portal.NRW (WSP) ist als zentraler digitaler Zugang für alle unternehmensrelevanten Servicedienstleistungen der unterschiedlichen Verwaltungsebenen auszubauen. Die Portale der Kommunen werden in den Portalverbund der Bundesländer integriert, ebenso wie die digitalen Angebote der Kam-mern. Für die Übermittlung von Standardinformationen und -daten wird darauf basierend eine Once-Only-Garantie eingeführt. Gewerbetreibende sollen Standarddaten nur einmal an Behörden übermitteln müssen. 
     
  • Für alle Digitalisierungsmaßnahmen sollen Praxislabore auf der Ebene der zentralen Digitalisierungsbehörde des Landes eingeführt werden: Diese Experimentierräume sollen die Möglichkeit bieten, Dienstleistungen der Verwaltung schon frühzeitig und in engem Austausch mit Bürgern oder Unternehmen im Praxischeck zu entwickeln.
     
  • Ein Altlastenfonds des Landes für veraltete IT-Systeme soll als finanzielles Anreizsystem für innovative Verwaltungen eingeführt werden: Das Stilllegen veralteter und inkompatibler IT-Systeme soll in Form eines Legacy-Budgets (Altlastenfonds) zugunsten von neuen Systemen gefördert werden. Dieser Legacy-Fonds steht mit Finanzmitteln und Know-how immer jenen Gebietskörperschaften zur Verfügung, deren IT-Lösungen aufgrund neuer Standards obsolet zu werden drohen.
     
  • Gemeinsam mit der IT-Wirtschaft soll mit Hilfe einer IT-Verwaltungscloud die heterogene IT-Landschaft der Verwaltungen in Nordrhein-Westfalen konsolidiert werden. Die Landesregierung soll sich aktiv für die Ansiedlung eines Hyperscaler-Rechenzentrums als Datendrehkreuz einsetzen, damit Nordrhein-Westfalen zu einem zentralen Knoten in einer bundesweiten Verwaltungscloud wird. Ein hoher Datenschutz und Datensouveränität sind hierbei zentrale Anforderungen.
     
  • Der Digital-Check ist als Instrument auf Ebene der Landesregierung durch Einrichtung einer ressortübergreifenden Digitalagentur auszubauen. Die Beratungsleistung der Agentur muss verpflichtend für alle rechtssetzenden Beschlussvorlagen in Anspruch genommen werden, um die bestmögliche digitale Ausführung von Rechts- und Verwaltungsakten zu garantieren.
     
  • Planungs- und Genehmigungsverfahren in allen Bereichen nachhaltig zu vereinfachen und zu beschleunigen:
     
  • Im Planungs- und Baurecht sind grundsätzlich mehr Genehmigungsfiktionen mit kurzen Fristen sowie mehr Anzeige- statt Genehmigungspflichten zu etablieren. Planen, Bauen und Genehmigen muss gleichzeitig möglich gemacht werden, so dass ein vorzeitiger Maßnahmenbeginn möglich wird.
     
  • Für Industrieanlagen, insbesondere Windenergieanlagen, sind bundesweite Standards zu etablieren, die „Typengenehmigungen“ ermöglichen. Das Planungs- und Baurecht sind entsprechend anzupassen, so dass für solche standardisierten Anlagen einzelne baurechtliche Genehmigungen überflüssig sind.
     
  • Es ist ein digitales Fachplanungsportal einzuführen, das Planer, Projektierer und Genehmigungsbehörden miteinander kommunizieren und arbeiten lässt.
     
  • Auf Ebene der Regierungspräsidien sind Stabstellen für Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung einzurichten, die laufende Verfahren begleiten und optimieren und zusätzlich die Behörden auf kommunaler Ebene unterstützen.
     
  • Ein Pool von externen Projektmanagern soll geschaffen werden, die die verantwortlichen Planungs- und Genehmigungsbehörden nach Bedarf in Abstimmung mit den Projektträgern mit ihrer Expertise unterstützen.
     
  • Jährlich ist über die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren in Nordrhein-Westfalen sowie durchgeführte und geplante Beschleunigungsmaßnahmen zu berichten.