Wo bleibt ein deutsches ChatGPT? – Nordrhein-Westfalen zur Deep-Tech-Fabrik machen!
I. Ausgangslage
Der Chatbot ChatGPT des amerikanischen Startups OpenAI ist derzeit in aller Munde. Chat-GPT ist ein großes Sprachmodell, das von OpenAI trainiert wurde, auf menschliche Texteingaben zu antworten. Es verwendet Deep-Learning-Methoden, um menschenähnliche Konversationen zu führen. Das Modell wurde auf eine enorme Menge an Texten trainiert, um ein umfassendes Verständnis des menschlichen Sprachgebrauchs zu erlangen. ChatGPT kann eine Vielzahl von Aufgaben ausführen, wie z.B. Konversationen führen und auf Fragen und Anfragen von Benutzern antworten, Texte generieren, wie z.B. Beschreibungen oder Zusammenfassungen, Inhalte zusammenfassen und paraphrasieren, Informationen bereitstellen und Aufgaben wie Textvervollständigung oder Textklassifikation ausführen.
Das Handelsblatt bezeichnet diese Entwicklung als „iPhone-Moment“ sowie als „Tech-Revolution“, welche einen Weg zu einem neuen Informationszeitalter zeigt. Denn im Vergleich zu den bisher bekannten Suchmaschinen weist Künstliche Intelligenz (KI) (oder englisch „artificial intellegence“, kurz: AI) eine erhebliche disruptive Kraft auf.
Bisher leiten Suchmaschinen Benutzer zu passenden Internetseiten Dritter. Künftig dürften Benutzer mehr Zeit mit den KI-Hilfsprogrammen selbst verbringen, da diese aus unterschiedlichen Quellen gespeiste Ergebnisse präsentieren. Dies könnte die Funktionsweise des Internets radikal verändern. Derartige tiefgreifenden Technologiesprünge werden als Deep-Tech-Innovationen bezeichnet – Technologielösungen, die auf erheblichen wissenschaftlichen und technischen Herausforderungen beruhen.
Für erfolgreiche Deep-Tech-Innovationen, die ganz neue wirtschaftliche Möglichkeiten und Entwicklungspotentiale hervorbringen, sind in der Regel eine Reihe von Standort- und Umfeldfaktoren zwingende Voraussetzung. Dazu zählen ausreichende Ressourcen und Fachkräfte für eine breite Grundlagenforschung, eine gezielte Gründerförderung und die Verfügbarkeit von Wagniskapital. Hinzukommen wirksame regulative Rahmenbedingungen, die öffentliche und private Forschungs- und Entwicklungsinitiativen in ganz neuen Sphären ermöglichen und nicht behindern. Die für die Entwicklung von KI-Anwendungen notwendigen große Mengen an Daten müssen beispielsweise einfach und unkompliziert zugänglich sein und datenschutzkonform verarbeitet werden können.
Bei allen genannten Standort- und Umfeldfaktoren für den Erfolg von Deep-Tech-Innovationen besteht in Nordrhein-Westfalen Verbesserungspotential und Handlungsbedarf. Die in den USA erzielten technologischen Innovationen stehen gar in einem deutlichen Kontrast zu den jüngsten Meldungen über die Innovations- und Forschungsbedingungen in Deutschland und Nordrhein-Westfalen: BioNTech plant, sein neues Krebsforschungszentrum in Großbritannien und nicht in Deutschland zu eröffnen, und begründet dies mit den geringeren bürokratischen Hürden. Bayer hat angekündigt, den Schwerpunkt der Pharmaforschung in die USA und nach China zu verlagern, und begründet dies mit den innovationsfeindlichen Standortbedingungen in Deutschland.
Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger ist es zwar gelungen, das 2018 mit der Strategie Künstliche Intelligenz ausgegebene Ziel, 100 zusätzliche KI-Professuren zu besetzen, zu erfüllen. Das Impulspapier „KI-Forschung in Deutschland – Der schwere Weg zu 100 neuen KI-Professuren“ des Branchenverbands bitkom zeigt allerdings, dass Nordrhein-Westfalen hier im bundesweiten Vergleich den Rückstand trotz intensiver Bemühungen bislang nicht aufholen konnte. An den neun staatlichen Universitäten in Baden-Württemberg gibt es 43 KI-Professuren, an den neun staatlichen Universitäten in Bayern 33. An den insgesamt 14 öffentlich-rechtlichen Universitäten in Nordrhein-Westfalen zählt man bislang lediglich 23 KI-Professuren. Das ist unbefriedigend: Eine am Erhalt von Arbeitsplätzen und der Mitgestaltung des technologischen Fortschritts interessierte Landesregierung muss noch stärker in Zukunftstechnologien investieren, um Wachstums- und Beschäftigungspotentiale zu heben. Denn nur durch mutiges Handeln kann der Wirtschaftsstandort nachhaltig gesichert werden.
Eine Verbesserung der Standortbedingungen für Unternehmen und Wissenschaftler ist oftmals nicht nur eine Frage des reines Geldes, auch Strukturen, Verfahren, Normen und Prozesse, also die Rahmenbedingungen, müssen in den Fokus genommen werden. Die Landesregierung muss die Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen dabei unterstützen, im Wettbewerb um die besten Wissenschaftler zu bestehen. Dies erfordert neben einer angemessenen Forschungsförderung und attraktiven Arbeitsbedingungen auch die Bindung an existierende oder zu etablierende regionale Stärken.
Das Cyber Valley in Baden-Württemberg ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Besetzung von KI-Professuren mit dem wirtschaftlichen Ökosystem einer Region verzahnt werden kann. Auch in Nordrhein-Westfalen wurden unter Federführung des liberalen Wirtschafts- und Digitalministers Prof. Dr. Andreas Pinkwart mit der Etablierung der Kompetenzplattform KI.NRW Weichen gestellt. Aufgabe der Kompetenzplattform, deren Geschäftsstelle das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS in Sankt Augustin bei Bonn abbildet, ist es, die Forschung im Bereich KI zu stärken, den Transfer in die Wirtschaft zu fördern, Nordrhein-Westfalen zu einer Leitregion für berufliche Qualifizierung in KI zu etablieren und den gesellschaftlichen Dialog zu fördern. Auch die Zertifizierung von KI-Systemen und damit die Schaffung eines Gütesiegels für vertrauenswürdige KI sind zentrale Bestandteile des Vorhabens.
Ein wichtiger Standortnachteil für deutsche KI-Startups stellt zudem die geringe Verfügbarkeit von Kapazitäten in einem Hochleistungsrechenzentrum dar. Bestehende Supercomputer wie im Forschungszentrum Jülich sind hauptsächlich für den wissenschaftlichen Gebrauch gedacht und daher oft über lange Zeiträume ausgebucht. Der KI-Bundesverband hat deshalb die Initiative „Large European AI Models“ (LEAM) auf den Weg gebracht. Dabei geht es um den Aufbau und den Betrieb eines Hochleistungsrechenzentrums, an dem KI-Startups und Industrieunternehmen fortgeschrittene KI-Modelle entwickeln, testen und anpassen können. Eine an der Gestaltung der Zukunft interessierte Landesregierung sollte sich für eine Ankerfinanzierung der öffentlichen Hand einsetzen und bei den Projektpartnern für den Standort Nordrhein-Westfalen werben.
Im Vergleich zu den USA klagen KI-Startups über eine geringe Verfügbarkeit von Wagniskapital. In den USA zeigen die NASA sowie die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), die Forschungsbehörde des US-Verteidigungsministeriums, eine große Bereitschaft, Aufträge an Deep-Tech-Startups zu vergeben, wofür diese im Gegenzug Spitzentechnologie erhalten. In Deutschland gibt es hingegen eine Vielzahl von Förderprogrammen, welche insbesondere von Startups als sehr bürokratisch empfunden werden. Ein Bespiel, wie eine unbürokratische Unterstützung von Deep-Tech-Startups in Deutschland aussehen kann, bietet Sachsen-Anhalt. Dort wurde ein landeseigener Risikokapitalfonds aufgelegt, der privatwirtschaftlich von einem erfahrenen Wagniskapitalgeber verwaltet wird.
Die selbst ernannte Zukunftskoalition aus CDU und Grünen darf in Nordrhein-Westfalen nicht tatenlos zusehen, wie hochqualifizierte Arbeitsplätze und innovative Unternehmen ins Ausland abwandern. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von ihrer Landesregierung, dass in allen Politikbereichen Maßnahmen ergriffen werden, um Beschäftigung in Nordrhein-Westfalen zu erhalten und Wachstumskräfte zu entfesseln. Während in der Bundesregierung alle drei beteiligten Parteien die Bereitschaft gezeigt haben, im Interesse des Landes Kompromisse zu schließen und politische Positionen angesichts einer veränderten Sachlage weiterzuentwickeln, ist die Koalition von CDU und Grünen in Nordrhein-Westfalen eher mit der Verwaltung des Stillstands beschäftigt.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:
- Nordrhein-Westfalen steht bei der Gewinnung von Fachkräften im Wettbewerb mit anderen Regionen Europas und der Welt.
- Die Verlagerung bspw. der Pharmaforschung von Bayer in die USA ist ein Alarmsignal für den Innovationsstandort Nordrhein-Westfalen.
- Sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene müssen die Verbesserung der Standortbedingungen zum Erhalt von Beschäftigung oberste politische Priorität sein.
Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
- die Anzahl der KI-Professuren in Nordrhein-Westfalen zu verdoppeln. Dabei sollen sowohl technologische und sozioökonomische Aspekte von KI als auch der Ausbau NRW-spezifischer Anwendungsfelder berücksichtigt werden.
- im Dialog mit den Hochschulen neue Wege zur Besetzung von Lehrstühlen sowie zur Gewinnung von ausländischen Wissenschaftlern zu erproben.
- zu prüfen, inwieweit unternehmerische Nebentätigkeiten bei Lehrenden flexibilisiert und unterstützt werden können.
- beim Aufbau des Instituts für Digitalisierungsforschung die Erforschung und Anwendung zu diskriminierungsfreien Algorithmen zu berücksichtigen sowie das Institut eng mit der Kompetenzplattform KI.NRW zu vernetzen.
- sich auf Bundesebene für eine Ankerfinanzierung für die Initiative „Large European AI Models“ einzusetzen sowie im Dialog mit den Projektpartnern für den Standort Nordrhein-Westfalen zu werben.
- bei der Kompetenzplattform KI.NRW den Transfer in die Wirtschaft zu stärken und die Vernetzung mit KI-Startups zu intensivieren.
- das High-Tech.NRW-Acceleratorprogramm des Landes auszubauen.
- nach dem Vorbild des Landes Sachsen-Anhalt einen landeseigenen Risikokapitalfonds aufzulegen, der privatwirtschaftlich von einem erfahrenen Wagniskapitalgeber verwaltet wird.
- Reallabore verstärkt einzusetzen und systematisch zu evaluieren sowie auf Bundesebene das Vorhaben eines Reallaborgesetzes zu unterstützen.
- einen Leitfaden für kleine und mittelständische Unternehmen zum Einsatz, den Vorteilen und dem Umgang mit KI zu entwickeln.
- die Fachkräfteeinwanderung weiter zu entbürokratisieren.
- bei ausländischen Fachkräften für den Standort Nordrhein-Westfalen über NRW.Invest, Wirtschaftsmessen und online zu werben sowie die im Verfahren zur Fachkräfteeinwanderung erforderlichen Formulare digital und auch in englischer Sprache bereitzustellen.
- darauf hinzuwirken, dass geförderte Big-Data-Analysen von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Sinne von Open Access für weitere Innovationen und wirtschaftliche Anwendungen zur Verfügung gestellt werden.
- die Arbeit der Datenethikkommission zu beobachten und geeignete Empfehlungen und Erkenntnisse auf Nordrhein-Westfalen zu übertragen.
- zu prüfen, wie Daten unter Berücksichtigung der DSGVO einfacher, digitalisiert, standardisiert und zentral in anonymisierter und pseudonymisierter Form sowohl für gemeinnützige als auch für kommerzielle Forschung verfügbar gemacht werden können.