Die Jugend ist unsere Zukunft – Schüler, Studenten, Referendare und die 28 Justizberu-fe

I.          Ausgangslage 

Die schriftlichen Prüfungen im Ersten Juristischen Staatsexamen (staatliche Pflichtfachprüfung) finden in Nordrhein-Westfalen, abgesehen von den Monaten März, Juli und September, in jedem Monat statt. Abgelegt wird die erste juristische Staatsprüfung vor einem der Justizprüfungsämter, die den Oberlandesgerichten Düsseldorf, Hamm und Köln angegliedert sind. Für die Anmeldung zur Prüfung ist der Student selbst verantwortlich. Sieht sich der Student in der Lage die Prüfung abzulegen, muss er aber damit rechnen, monatelang auf einen Prüftermin zu warten.

Von dem Zeitpunkt der ersten Anmeldung zum ersten juristischen Staatsexamen bis zum Beginn des Referendariats können 24 bis 30 Monate vergehen. Das konkrete Beispiel eines Jurastudenten aus Düsseldorf, der sich an die FDP-Fraktion gewendet hat, veranschaulicht die Situation der prüfungswilligen Studenten:

Der Jurastudent meldete sich nach acht Semestern Studienzeit für den Monat Dezember 2024 für die Klausuren im Strafrecht und Öffentlichen Recht an. Über die Zusage für die Teilnahme entscheidet ein Losverfahren. In einem Schreiben des Justizprüfungsamts Düsseldorf heißt es: „Aufgrund der hohen Anzahl von Anmeldungen können Sie im Dezember 2024 für die Anfertigung der Aufsichtsarbeiten nicht berücksichtigt werden, da Prüflinge aus dem Vormonat vorrangig zu platzieren waren.“ Nach einer erneuten Anmeldung konnte der Student die Klausuren im Januar 2025 schreiben. Die Ergebnisse der Klausuren erhielt er am 12. April 2025.

Für die Zivilrechtsklausuren hatte sich der Student dann für den Monat Mai 2025 angemeldet. „Aufgrund der hohen Anzahl […]“ konnte er auch im Mai keine Klausuren schreiben. Daraufhin hat sich der Student für den Monat Juni 2025 für die Zivilrechtsklausuren angemeldet. „Aufgrund der hohen Anzahl […]“, könne er im Juni nicht berücksichtigt werden. Am 30. Mai 2025 erhielt der Student die Zusage für die Anfertigung der Aufsichtsarbeiten im Monat August 2025. Ursprünglich wollte der Student im April 2025 alle sechs Examensklausuren geschrieben haben. Das war nun vier Monate später der Fall.

Bei den Prüfungsämtern in Köln und Hamm sieht es nicht anders aus. Auf der Website des Justizprüfungsamtes Köln heißt es: „Da die Zahl der Meldungen zur staatlichen Pflichtfachprüfung für den Monat Juni 2025 größer ist als die der vorhandenen Plätze, war es aus organisatorischen Gründen nicht möglich, allen Kandidaten einen Platz zur Anfertigung der Aufsichtsarbeiten im Juni 2025 zur Verfügung zu stellen. Es war daher erforderlich, Prüflinge, die sich für den Aufsichtsmonat Juni 2025 bei dem Justizprüfungsamt Köln gemeldet haben, in den Monat August 2025 zu losen.“ Ähnliches ist auf der Website des Justizprüfungsamtes Hamm zu lesen.

Nach Anfertigung der letzten Pflichtfachprüfung warten auf die Studenten weitere Monate der prüfungstechnischen Leere. Nach Angaben des OLG Düsseldorf findet die mündliche Prüfung grundsätzlich fünf Monate nach Fertigung der letzten Klausur statt. Im genannten Beispiel wird die mündliche Prüfung für den Studenten somit erst im Januar 2026 stattfinden. Allein die erste juristische Staatsprüfung dauerte somit für den Studenten zwölf Monate.

Auch nach Wegfall der Möglichkeit des sog. Abschichtens ergeben sich zu lange Ausbildungszeiten. Damit ist das Höchstmaß an möglichen Wartezeiten für die angehenden Volljuristen noch nicht erreicht. Sollte der Wunsch bestehen, in Nordrhein-Westfalen das Rechts-Referendariat anzutreten, kann sich der angehende Volljurist auf über 18 Monate Wartezeit auf eine Referendariatsstelle beim OLG Köln oder zwölf Monate Wartezeit bei den Oberlandesgerichten Düsseldorf und neun Monate beim OLG Hamm einstellen. Für den Jurastudenten aus Düsseldorf bedeutet das Folgendes: Insgesamt vergehen vom dokumentierten Wunsch, die Staatsprüfung abzulegen bis zum Antritt des Referendariats in Hamm 22 Monate oder in Düsseldorf 31 Monate. Hinzu kommt das vorangegangene Studium mit mindestens acht Semestern und 24 Monaten Referendariat. Das macht zusammen mindestens acht Jahre und sechs Monate Ausbildung bis zum Volljuristen. Das ist zu lange.

Die in diesem Zusammenhang von der Landesregierung beantwortete Kleine Anfrage 5629 der Fraktion der FDP, Drucksache 18/14419, lässt Schwächen bei der Organisation der Staatsprüfungen erkennen. Danach scheint die hohe Anzahl der Prüflinge kein Anlass für Anpassungen oder gar Optimierung sein. Vielmehr hat die Landesregierung die Situation offenbar akzeptiert, der Verweis auf die Einführung der elektronischen Klausur und die daraus resultierenden besonderen Anforderungen rechtfertigt anderthalb Jahre nach deren Einführung keinen Sonderstatus mehr.

Zweiter Grund für die Kapazitätsengpässe sei der Wegfall der Möglichkeit der Abschichtung in der ersten Staatsprüfung, weshalb die Anmeldungen rund doppelt so hoch wie üblich ausgefallen seien. Dieser Anstieg war indes vorauszusehen, da bei den Studentinnen und Studenten das Abschichten sehr beliebt ist und damit davon auszugehen war, dass sehr viele noch einmal von dieser Möglichkeit Gebrauch machen würden.

Soweit das Losverfahren zunächst nach einem fairen Verfahren zur Vergabe von begrenzten Plätzen klingt, birgt dieses System tatsächlich die Gefahr, über mehrere Monate hinweg nicht berücksichtigt zu werden, wie im Falle des genannten Beispiels. Die Landesregierung sollte die Zusagen für die Prüfungen steuern und sie nicht dem Zufall überlassen.

Die monatelangen Wartezeiten sind auch unter finanziellen Aspekten eine Zumutung für die Examenskandidaten. Die Wartezeit erfordert eine verlängerte Finanzierung des Lebensunterhalts, sie bedeutet Stillstand ohne Einkommen und Abhängigkeiten. Außerdem verschiebt sich der Zeitpunkt, in dem für die Altersvorsorge gearbeitet werden kann, immer weiter nach hinten. Für die Landesregierung folgt die Finanzierung des Lebensunterhalts einfach „der Finanzierung während des Studiums“.

Rechtsreferendariatsplätze müssen in NRW ausgebaut werden

Der Landesjustizminister Benjamin Limbach hat aufgrund von Haushaltsengpässen die Anzahl der Einstellungen im Referendariat auf 100 Personen im Monat gekürzt, sowie die Auszahlung der Unterhaltsbeihilfe auf den Tag der mündlichen Prüfung befristet. Dadurch sind die Wartezeiten für die drei Oberlandesgerichtsbezirke in NRW stark in die Höhe geschossen, exemplarisch sind es am OLG Köln mindestens 18 Monate Wartezeit.

Aufgrund der langen Wartezeiten und der unterdurchschnittlichen Vergütung besteht die Gefahr, dass Juristen aus Nordrhein-Westfalen das Referendariat in einem anderen Bundesland beginnen und nicht wieder zurückkehren. Demgegenüber ist auch die NRW-Justiz vom demografischen Wandel betroffen, der zu einer Personalknappheit führt. Im Jahr 2023 gab es bei der Justiz Nordrhein-Westfalen insgesamt 7.065 Richter und Staatsanwälte. Auf diese entfielen, nach Abzug der 30 Prozent Durchfallquote, rund 840 neue Absolventen. Im Ergebnis besteht ein hoher Bedarf an Volljuristen für die Justiz. 2023 verließen ca. 1.700 Absolventen die hiesigen juristischen Fakultäten. Nach Abzug der Wartenden bleiben ca. 500 Absolventen ohne Referendariatsplatz in Nordrhein-Westfalen bei den heutigen Kapazitäten von 1.200 Plätzen übrig. Im Vergleich dazu sind es in Niedersachsen bei 600 Absolventen 550 Plätze, so dass fast allen Absolventen eine Referendariatsstelle angeboten werden kann. Die Wartezeit dort liegt unter einem halben Jahr.

Darüber hinaus ist das Referendariat ein öffentlich-rechtliches Arbeitsverhältnis, so dass auf die ohnehin geringe Unterhaltsbeihilfe die üblichen Sozialbeiträge (ausgenommen der Anteil für die Rentenversicherung) zu zahlen sind. Der verbleibende Betrag ist demnach sehr niedrig. Das Bundesland Hessen stellt zur Wahl, ob der Referendar sich auf Widerruf verbeamten lassen oder ein öffentlich-rechtliches Arbeitsverhältnis mit dem Land Hessen eingehen möchte. Bei einer Verbeamtung sind die Abzüge deutlich niedriger, so dass davon die Lebenshaltungskosten und Materialkosten (Gesetze, Kommentare etc.) besser getragen werden können. Auch dies ist ein Faktor, der Absolventen dazu bewegt, Nordrhein-Westfalen zu verlassen. Einen entsprechenden Sonderstatus haben Referendare im Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen im Übrigen nicht, diese werden während des Referendariates auf Widerruf verbeamtet.

In der Anhörung des Rechtsausschusses im Herbst 2024 haben die Landesfachschaft Jura Nordrhein-Westfalen und der Landesverband Nordrhein-Westfalen im Deutschen Anwaltverein e.V. massive Kritik an den Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen und der Ausbildungssteuerung durch das Ministerium der Justiz geäußert und warnen deutlich vor nahenden Personalproblemen. Im Juni 2024 berichtete LTO: „Die Justiz ist kein vertrauenswürdiger Arbeitgeber".  Auch die Referendarausbilder der Landgerichte übten im Juli 2024 in einem offenen Brief harsche Kritik am Vorgehen der Landesregierung.

Gerade auch im Hinblick auf die Rüge der Europäischen Union, dass die Justiz in Nordrhein-Westfalen im Vergleich sehr schlecht bezahlt wird, ist es dringend geboten, die Situation der in der Justiz, aber auch bei den Rechtsreferendaren, zu verbessern und wieder attraktiver im Wettbewerb um den Nachwuchs zu werden.

Projektwochen müssen in den Schulen das Interesse für alle 28 Justizberufe wecken

In Nordrhein-Westfalen werden Rechtskunde-Arbeitsgemeinschaften im Rahmen freiwilliger Arbeitsgemeinschaften durchgeführt. Sie können an allen allgemeinbildenden Schulen in den Klassen 9 und 10 angeboten werden. Die Arbeitsgemeinschaft umfasst zehn bis zwölf Doppelstunden. Ziel dieser Arbeitsgemeinschaften ist es u.a. zu lernen, dass durch das Recht Staat und Gesellschaft gestaltet werden und der soziale Frieden gesichert wird. Die Schüler sollen Grundkenntnisse der Rechtsordnung erwerben und mit den Aufgaben der Rechtspflege vertraut gemacht werden. Dadurch soll ihnen später das Zurechtfinden im Rechtsleben erleichtert werden. Eine sinnvolle Ergänzung stellt die Durchführung von Projektwochen an Schulen im Bereich der Rechtskunde und der Justizberufe dar. Informationen könnten auch in Form von regelmäßigen Online-Veranstaltungen mit Justizvollzugsbeschäftigten, Rechtspflegern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten etc. vermittelt werden. Auf diese Weise könnten die Schüler einen ersten Eindruck von den jeweiligen Berufen gewinnen. Das persönliche Kennenlernen von Vertretern diese Berufe bietet im Vergleich zu schriftlichen Informationen einen bedeutenden Mehrwert. Die Schüler würden zudem Berufe kennenlernen, die ihnen bis dahin nicht bekannt waren. Dadurch würden ihre Möglichkeiten bei der späteren Berufswahl deutlich steigen und der Nachwuchs bei der Justiz wäre in allen Bereichen vorhanden.

II. Beschlussfassung

Die Landesregierung wird beauftragt,

  • Im juristischen Staatsexamen für die erste Pflichtfachprüfung entsprechend der Anzahl der Anmeldungen ausreichend Prüfungskapazitäten zu schaffen, um Wartezeiten zu vermeiden
  • die Wartezeiten auf einen Referendariatsplatz bei den drei Oberlandesgerichten in Nord-rhein-Westfalen auf höchstens zwei Monate zu verkürzen
  • die Anzahl der Referendariatsstellen an die Absolventenanzahl anzupassen und auszubauen
  • zu den 28 Justizberufen geeignetes Unterrichtsmaterial durch das fachlich zuständige Justizministerium interdisziplinär zu erarbeiten und öffentlich für Schulprojektwochen etc. zur Verfügung zu stellen