Die Justiz in NRW kollabiert - der Ministerpräsident muss eine „politische Führungsentscheidung“ zum Wohle unseres Rechtssystems in NRW und der 27 Justizberufe in NRW nach Art 55 Landesverfassung NRW treffen.
Die Justiz in NRW befindet sich im Stillstand. Der Vertrauensverlust in die Dritte Gewalt und der Kontrollverlust der Dritten Gewalt schreiten voran, weil der Justizminister in Stillstand verharrt.
Der Ministerpräsident muss eine „politische Führungsentscheidung“ zum Wohle unseres Rechtssystems in NRW und der 27 Justizberufe in NRW nach Art 55 Landesverfassung NRW treffen. Nach Art. 55 der Landesverfassung kann der Ministerpräsident die Richtlinien der Politik in grundlegenden und richtungsweisenden Entscheidungen sowie bei Einzelfällen, die von besonderer Bedeutung sind, vorgeben. Weil dies einerseits in die Nähe von Einzelweisungen gerät, der Ministerpräsident aber weder Vorgesetzter der Minister ist noch befugt ist, Ressortangelegenheiten im Vollzug an sich zu ziehen, ist dies besonders abzuwägen. Zulässig sind jedoch Regierungsakte sui generis, also „politische Führungsentscheidungen“, die ganz zentrale politische Fragen betreffen. Einzige Voraussetzung ist, sie müssen rechtmäßig sein und die Richtlinien des Ministerpräsidenten sollten Raum für die „Auffüllung“ durch den zuständigen Ressortminister, im Rahmen des „Interorganrespekts“, lassen. Der Ministerpräsident hat die Pflicht, die Zuständigkeiten der Minister für ihre jeweiligen Fachpolitiken zu achten, so dass konkrete fachliche Einzelzuweisungen in Ausnahmefällen und bei ganz zentralen politischen Fragen zulässig sind.
Da in Nordrhein-Westfalen die Justiz „kollabiert“ und dies nicht nur von Richtern, Staatsanwälten und den übrigen Mitarbeitern der 27 Justizberufe so gesehen wird, muss der Ministerpräsident unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Grundsätze der Ressorteigenständigkeit des Fachministers und den Grundsätzen eines funktionierenden Staatswesens zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger aktiv und tätig werden.
Gravierender Personalmangel
Es besteht in allen Bereichen der Justiz Handlungsbedarf und dies nicht nur wegen des akuten Personalmangels, sondern auch aufgrund von Schwierigkeiten bei der Digitalisierung6 und der Untätigkeit im Bereich der Nutzung von KI. Selbst eigene Gesetzesvorhaben werden - wenn überhaupt - nur nach massivem Druck durch die Opposition umgesetzt. Die Untätigkeit führt zu Rückstau auf allen Ebenen.
In allen Bereichen der Justiz herrscht akuter Personalmangel. Bereits die Antwort auf die Frage nach den unbesetzten Stellen im Bereich der Staatsanwaltschaften Ende 2023 zeigt ein ernüchterndes Bild: Zum Stichtag 01. Oktober 2023 waren in Nordrhein-Westfalen bei der Staatsanwaltschaft von insgesamt 1.480 Planstellen 61,03 Planstellen nicht besetzt. Dies entspricht einer Quote von 4,12 %. Zum 31. Dezember 2023 haben sich die unbesetzten Stellen weiter auf 83,64 (5,6 %) erhöht.
Zusätzlich wird ein Großteil der derzeitigen Justizbeschäftigten, Richter und Staatsanwälte in den nächsten Jahren in den altersbedingten Ruhestand gehen. Wie die Landesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage Nr. 1994 des Abgeordneten Dr. Pfeil vom 16. Juni 2023 mitteilte, werden allein in den Jahren 2025 bis 2030 an die 5.000 Beschäftigte planmäßig ausscheiden. Wie bereits in unserem großen Justizantrag „Wertschätzung“ ausgeführt, stößt die Rechtsstaatlichkeit an ihre Grenzen, wenn eine wirksame und zeitnahe Strafverfolgung nicht mehr gegeben ist, weil Staatsanwälte und Amtsanwälte im System fehlen. Zur Jahresmitte 2023 haben die Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen 231.291 offene Ermittlungsverfahren verzeichnet – gegenüber 2021 eine Steigerung um 36 Prozent. Das ist das Alarmsignal schlecht hin, wobei auch Personal an anderer Stelle fehlt! Alleine deswegen muss der Ministerpräsident eine politische Führungsentscheidung tätigen, weil bisher wirkungsvolle Maßnahmen des Justizministers ausgeblieben sind.
Nicht nur die Spruchkörper der Strafgerichte sind daneben hoffnungslos überlastet, auch die Geschäftsstellen von Amts- und Landgerichten sind unterbesetzt, was eine Verzögerung der Verfahren zur Folge hat. Laut Mitteilung der Landesregierung sieht der Haushaltsplan des Einzelplans 04 keine ausdrücklichen Planstellen für Geschäftsstellen bei Gerichten und Staatsanwaltschaften vor. Die dort eingesetzten Kräfte sind aber grundsätzlich Angehörige der Laufbahngruppe 1.2 des Justizdienstes und werden daher auf entsprechenden Planstellen und Stellen dieser Laufbahngruppe geführt. Zum Stichtag 01. April 2023 waren von insgesamt 11.230 Planstellen und Stellen der Laufbahngruppe 1.2 des Justizdienstes bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften (ohne Gerichtsvollzieherdienst) 983,95 unbesetzt. Dies entspricht einem Anteil von rund 8,8%.
Versagung von Kostenerstattungen an und weitere Forderungen der Gerichtsvollzieher
Auch an einer Verbesserung der Situation der Gerichtsvollzieher ist der Justizminister von NRW nicht interessiert. In den beiden Stellungnahmen der Sachverständigen (Stellungnahme 18/652, Stellungnahme 18/643 zur vorgenommenen Anhörung) wurde im August 2023 bestätigt, dass sich die Arbeitsweise und Aufgaben der Gerichtsvollzieher in den letzten Jahren massiv geändert haben, auch sind die gesetzlichen Anforderungen im Rahmen der Digitalisierung (auf eigene Kosten der GV) gestiegen, ohne dass die Regelungen über die Entschädigung bei den Gerichtsvollziehern angepasst wurden. Von Seiten der Sachverständigen wurden konkrete Vorschläge für einen kurzfristigen Ausgleich gemacht. Dies wurde von dem Justizminister abgelehnt.
Ablehnung der dringend erforderlichen Umstrukturierung der Justizwachtmeisterausbildung und Neueinstufung in den mittleren Dienst
Ebenso die Umstrukturierung der Justizwachtmeisterausbildung16 und Einstufung in den mittleren Dienst wie in Rheinland-Pfalz eingeführt, wurde von dem NRW-Justizminister abgelehnt. Die immer gleichen Argumente, insbesondere, dass dadurch ein niederschwelliger Einstieg in den Beruf verhindert würde, erboste die Justizwachtmeister zunehmend, da bereits mehrfach von ihrer Seite dargelegt wurde, dass auch aktuell nur Personen mit vorheriger Berufserfahrung oder höherer Ausbildung eingestellt werden. In einem Brandbrief haben sich die Justizwachtmeister daraufhin im Dezember 2023 erneut an den Justizminister gewandt. Diesen Brief haben wir zum Anlass genommen, das Thema noch einmal auf die Tagesordnung zu setzen und Herrn Justizminister Limbach dazu nochmals Stellung nehmen zu lassen. Eine Reaktion darauf bleibt weiterhin offen.
Keine Förderung des Berufsbildes der Rechtspfleger
Auch die Berufsgruppe der Rechtspfleger ist gerade bei der Zielgruppe des Nachwuchsfindung, d.h. den Jugendlichen, kaum bekannt. 311 der Planstellen in der Laufbahngruppe 2.1. (hauptsächlich Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger) waren zum 31. Dezember 2023 unbesetzt. Auch die Nachwuchssorgen der Amtsanwälte bleiben bei dem NRW-Justizminister ungehört. Der Beruf des Amtsanwaltes ist zum einen nahezu unbekannt und zum 31. Dezember 2023 waren 11,73 % der Planstellen in Nordrhein-Westfalen folglich unbesetzt. An der bisherigen bewährten Einstellungspraxis, qualifizierte Kolleginnen und Kollegen aus dem Rechtspflegerdienst für die Sonderlaufbahn des Amtsanwalts zu gewinnen, kann nach Ansicht des Deutschen Amtsanwaltsvereins daher auch nicht mehr festgehalten werden. Vielmehr hält er aktuell eine veränderte Strategie bei der Nachwuchsgewinnung für erforderlich. Doch eine solche Strategie hat der Justizminister bisher nicht vorgelegt. Um die Attraktivität des Berufsbildes zu erhöhen, wurde die Schaffung einer Durchlässigkeit zur Staatsanwaltschaft vorgeschlagen. Auch dieser Vorschlag wurde von dem Justizminister abgelehnt. Hier muss durch eine Aufwertung und Neustrukturierung der Besoldung, Verbesserung der Attraktivität und Bekanntheit des Berufsbildes durch geeignete Werbemaßnahmen und Erhöhung der Wertschätzung dringend zeitnah entgegengewirkt werden!
Unzureichende Maßnahmen im Strafvollzug
Die Mitarbeiterzahlen beim Strafvollzug sind ebenfalls rückläufig und das ganz ohne demografischen Wandel, denn die Folgen dieses Umstandes hat der Justizminister noch gar nicht in seine Untätigkeit einpreisen müssen. Wie hoch die Zahl der unbesetzten Stellen ist, hat hingegen die Antwort auf unseren weiteren Berichtswunsch aufgezeigt. In der Laufbahngruppe 2.2 des Vollzugs- und Verwaltungsdienstes waren zum Stichtag 31. Dezember 2023 12,28 % der Stellen unbesetzt, in der Laufbahngruppe 2.1. waren es 15,58 %. Noch schlimmer ist die Situation im medizinischen Dienst mit 17,96 %, im pädagogischen Dienst der Laufbahngruppe 2.2 mit 33,33 % und beim seelsorgerischen Dienst mit sogar 40,91 % unbesetzten Stellen.
Vermögensabschöpfungen – wird in NRW nur bedingt angewandt
Und auch das Thema Vermögensabschöpfungen hat keine Priorität in NRW. Bei insgesamt 6.573 Straftaten wurden im Jahr 2023 nur in 24 (!) Fällen vermögensabschöpfende Maßnahmen durchgeführt. Dabei wurden auch nur Werte in Höhe von 2.500.000 Euro beschlagnahmt, was im Verhältnis zu der Höhe der durch die Clans erwirtschafteten Gewinne kaum nennenswert ist! Angesichts der Tatsache, dass es sich bei den im Jahr 2022 durch Clanmitglieder begangenen Delikten um 981 Vermögens- und Fälschungsdelikte, 958 Diebstahlsdelikte, 631 Straftaten gegen Nebengesetze (Steuerhinterziehung, Rauschgiftdelikte) und 691 Verkehrsstraftaten, bei denen als Tatmittel teure Autos eingezogen werden können, handelt, ist diese Antwort weder zutreffend noch nachvollziehbar.
Endlose Asylverfahren
Asylgerichtsverfahren dauern in Nordrhein-Westfalen viel zu lange. Im ersten Halbjahr 2023 lag ihre durchschnittliche Dauer bei 21,5 Monaten. In Rheinland-Pfalz hingegen betrug die durchschnittliche Dauer von Asylgerichtsverfahren in demselben Zeitraum nur 4,7 Monate. Im Rechtsauschuss lautete die Aussage des Justizministers, dass Nordrhein-Westfalen nicht mit Rheinland-Pfalz vergleichbar sei.
Gerichtsdolmetscher werden vergessen
Am 1. Januar 2023 ist das Gerichtsdolmetschergesetz in Kraft getreten, welches die Beeidigung von entsprechend qualifizierten Dolmetschern für gerichtliche Zwecke bundesweit einheitlich regelt. Von Seiten des Landesverbands NRW wird die Umsetzung in Nordrhein-Westfalen, insbesondere die Verkürzung der Übergangsfrist und die Nicht-Anerkennung der bisher anerkannten inländischen und ausländischen einschlägigen massiv kritisiert. In Nordrhein-Westfalen existiert bis heute weder ein staatliches Prüfungsamt zur Abnahme und Anerkennung von Dolmetscher- und Übersetzungsprüfungen noch bestehen Vereinbarungen mit anderen Bundesländern.
Sachverständige fehlen überall!
Nach Aussage des Justizministers erarbeitet der Qualitätszirkel Sachverständigenwesen NRW gegenwärtig in einem Projekt „Sachverständige: Nachwuchsgewinnung und Ausbildung" Instrumente für eine Gewinnung neuer Sachverständiger für eine Tätigkeit in der Justiz. Dieser Qualitätszirkel existiert seit einigen Jahren ohne bisher kommunizierte messbare Ergebnisse.
Justizminister im Tiefschlaf!
Die NRW-Justizminister verschläft die Zukunft und das mit Ansage! Auch die Aussagen vieler Sachverständiger aus den verschiedensten Anhörungen bleiben bei dem Justizminister gänzlich unberücksichtigt. Immerhin wurde laut Mitteilung des Justizministeriums vom 19. Februar 2024 eine vollständige Auflistung sämtlicher Projekte zum Einsatz von KI und algorithmischen Systemen in der deutschen Justiz dem Justizministerium am 13. Februar 2024 übermittelt. Sie umfasst insgesamt 63 Projekte, die die Justizministerien der Länder und das Bundesministerium der Justiz dem Think Tank in den letzten Monaten genannt haben. Eine interne Bewertung sämtlicher Projekte sei aber noch nicht erfolgt. Auf Nachfrage in der Sitzung des Rechtsausschusses am 21. Februar 2024, welche dieser 63 Projekte denn aus Nordrhein-Westfalen stammen, konnte von dem Justizministerium kein einziges Projekt benannt werden.
Um dem Stillstand in der NRW-Justiz zu begegnen, um einen effektiven Rechtschutz in NRW weiter zu gewährleisten und um dem nachhaltigen Vertrauensverlust zu begegnen, muss der Ministerpräsident nach Art 55 der Landesverfassung tätig werden.
II. Beschlussfassung:
Der Landtag bittet den Ministerpräsidenten von NRW,
im Rahmen seiner Richtlinienkompetenz aus Art 55 I der Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen und unter Beachtung des Ressortprinzips und der zulässigen verfassungsrechtlichen Grundsätze einen Regierungsakt sui generis zu erlassen, aus dem folgt, dass der Minister der Justiz geeignete Maßnahmen trifft, um die in diesem Antrag aufgeführten notwendigen Regelungsbereiche in der Justiz von Nordrhein-Westfalen einer kurzfristigen zukunftsorientierten Problemlösung zuzuführen.