Die schwarz-grüne Halbzeitbilanz ist vor allem eine wirtschaftspolitische Schadensbilanz – Wirtschafts- und Strukturkrise in Nordrhein-Westfalen – Jetzt NRW-Agenda für Wachstum und Fortschritt beschließen
I. Ausgangslage
Zur Halbzeit der schwarz-grünen Regierungskoalition rutscht Nordrhein-Westfalen immer tiefer in die schon länger anhaltende Wirtschafts- und Strukturkrise. Dass die Zeit für Wirtschafts- und Strukturreformen drängt, zeigen sämtliche wirtschaftliche Fundamentaldaten.
Die Wirtschaftsleistung stagniert seit dem Jahr 2020 in Deutschland und auch in Nordrhein-Westfalen nachweislich. Für das Jahr 2024 prognostiziert die Bundesregierung in ihrer Herbstproduktion für Deutschland ein Schrumpfen des preisbereinigten Bruttoinlandprodukts um 0,2 Prozent. Nordrhein-Westfalen liegt aufgrund seines großen Anteils energieintensiver Industrien regelmäßig unter dem Bundesdurchschnitt bei der Wirtschaftsleistung. Es ist damit zu rechnen, dass Nordrhein-Westfalens Wirtschaft auch dieses Jahr wieder schlechter abschneidet als der Bund.
Der NRW.Bank.ifo-Geschäftsklimaindex weist für Oktober 2024 aus, dass für sämtliche Industriebranchen weiterhin der Auftragsmangel ein zentrales Problem bleibt. Aufgrund des geringen Auftragsbestands sank die industrielle Kapazitätsauslastung im dritten Quartal um 1,5 Prozentpunkte auf nur noch 75,7 Prozent.
Im Bauhauptgewerbe hat sich das Geschäftsklima weiter verschlechtert. Immer mehr Baufirmen in Nordrhein-Westfalen klagen über unzureichende Aufträge.
In internationalen Standortrankings ist Deutschland im Bereich internationaler Wettbewerbsfähigkeit von Platz 6 im Jahr 2014 auf mittlerweile Platz 22 abgerutscht.
Ausländische Unternehmen haben 2023 mit nur 22 Milliarden Euro so wenig in Deutschland investiert wie seit zehn Jahren nicht mehr. Auch die Investitionen der nordrhein-westfälischen Wirtschaft sind rückläufig. Die wiederholt hohen Nettoabflüsse zeigen, dass die Investitionen von Microsoft im Rheinischen Revier nicht die Regel, sondern die Ausnahme sind.
Die Mehrzahl der Industrieunternehmen in Deutschland berichtet in den ifo-Konjunkturumfragen von einer weltweit verschlechterten Wettbewerbsposition.
Gleichzeitig leidet Nordrhein-Westfalen seit Jahren an einer Investitionslücke. Die Investitionsquote als Anteil der Bruttoanlageinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt seit Jahren in Nordrhein-Westfalen unter dem Bundesdurchschnitt. Die Bruttoanlageinvestitionen in Nordrhein-Westfalen lagen im Jahr 2020 bei 121,4 Milliarden Euro, das ist ein Anteil von 17,2 Prozent des BIP. In den übrigen westdeutschen Bundesländern lag die Investitionsquote mit 24,2 Prozent deutlich darüber.
In der Folge wachsender Verunsicherung über die Zukunftsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts investieren Industrie und Mittelstand kaum noch in Nordrhein-Westfalen. Große Konzerne tätigen seit Jahren nur noch Erhaltungsinvestitionen an ihren NRW-Standorten. Immer mehr Unternehmen erwägen die Verlagerung ihrer Betriebe ins Ausland, die Insolvenzzahlen steigen, der Abbau von gutbezahlten Industriearbeitsplätzen nimmt zu. Die Schwäche privater Investitionen hat zur Folge, dass die prognostizierte Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzials, das wegen des absehbaren Rückgangs der Erwerbstätigenzahl ohnehin niedrig ist, immer mehr nach unten revidiert werden muss. Die Konzerne in Nordrhein-Westfalen bauen kontinuierlich Stellen ab. Ford hat unlängst erneut angekündigt, in Köln 2.900 Stellen zu streichen. Thyssen Krupp plant tausende Stellen abzubauen. Bei Miele in Gütersloh fallen 2.000 Arbeitsplätze weg. Vodafone in Düsseldorf plant 2.000 Stellen zu streichen. Von Lanxess werden in Köln 900 Stellen gestrichen. RWE wird im Zusammenhang mit dem Kohleausstieg bis zum Jahr 2030 mehr als 6.000 Stellen abbauen. Bei Evonik in Essen ist geplant,1.500 Stellen im Heimatland zu streichen.
Eine hohe Bürokratielast, eine stark sanierungsbedürftige Infrastruktur, hohe Energiekosten und der demografische Wandel dämpfen erheblich das Potentialwachstum der deutschen und nordrhein-westfälischen Wirtschaft. Wirtschafts- und Produktivitätswachstum sind jedoch dringend erforderlich, um die steigenden Kosten für die Finanzierung des Gemeinwesens, die Kosten für Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen sowie die steigenden Kosten für Sicherheit und Verteidigung zu finanzieren.
Verlässliche strukturpolitische Reformen und neue Wachstumsimpulse müssen sich jedoch im Rahmen der verfassungsrechtlichen Realitäten und Vorgaben bewegen. Um jungen und künftigen Generationen die Gestaltungsspielräume zu erhalten, ist deshalb die Schuldenbremse im Grundgesetz so konzipiert, dass demografiebedingte Handlungsbedarfe nicht ignoriert werden können, sondern zu einer fortlaufenden Priorisierung führen. Eine andauernde Wachstumsschwäche würde den demografiebedingten Konsolidierungsbedarf zur Sicherung der langfristigen Tragfähigkeit allerdings stark erhöhen. Ohne ein höheres Wachstum sind die steigenden Kosten für die im Verhältnis immer kleiner werdende junge Generation noch schwieriger zu schultern. Daher gilt mit Blick auf die Finanzierbarkeit der Sozialsysteme, dass angebotspolitische Maßnahmen zur Stärkung des Potenzialwachstums unerlässlich sind. Dieser Gestaltungsherausforderung muss sich nicht nur der Bund, sondern auch das Land Nordrhein-Westfalen stellen.
II. Handlungsbedarf
Die schwarz-grüne Landesregierung hat jedoch auch nach zweijähriger Regierungszeit bisher keine einzige wirkungsvolle Maßnahme für die Stärkung des Wirtschaftsstandorts und echte Wachstumsimpulse umgesetzt. Bürokratieabbau und die Modernisierung sowie Digitalisierung der Verwaltung läuft schleppend, Planungs- und Genehmigungsverfahren haben bisher keine spürbare Beschleunigung erfahren. Die Landesregierung verwaltet die wirtschaftliche Stagnation und verzichtet auf neue Wachstumsimpulse. Die schwarz-grüne Landesregierung behandelt die NRW-Wirtschaft als grünes Transformations- und Dekarbonisierungsobjekt, nicht als Wachstums-Wohlstandsmotor des Landes.
Nordrhein-Westfalen fehlt eine klare wirtschaftspolitische Agenda. Als wirtschaftliches Schwergewicht ist das Industrieland weder auf Bundes- noch auf europäischer Ebene sichtbar und fällt eher als Bittsteller statt als Gestalter auf. Nordrhein-Westfalen braucht eine wachstums- und angebotsorientierte Politik, die Investitionen in Innovationen und damit die Standort- und Rahmenbedingungen für die Schaffung zukunftsfähiger Arbeitsplätze verbessert und fördert.
Mit einer erfahrenen Industrie und einem starken Mittelstand und Handwerk, einer dichten, differenzierten Wissenschafts- und Forschungslandschaft, einer gut ausgebauten Infrastruktur und lebenswerten Städten und Gemeinden hat Nordrhein-Westfalen alle Voraussetzungen, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können und wieder zu einem Kristallisationspunkt für Innovationen, Wohlstand und Wachstum zu werden. Nordrhein-Westfalen kann sich wieder zu einem der attraktivsten Wirtschaftsstandorte Europas entwickeln. Dafür muss unser Bundesland Vorreiter für Genehmigungsbeschleunigung und Verwaltungsdigitalisierung werden – und ein zentraler Standort für Talente, Ideen, Forschung und Innovationen sein, der aus Dekarbonisierungs- und Nachhaltigkeitserfordernissen ein Wohlstandsversprechen macht.
Die Schaffung neuer wirtschaftlicher Chancen für Menschen und Unternehmen und die bestmögliche und gezielte Mobilisierung privater Investitionen muss jetzt höchste Priorität haben. Das Land braucht eine maßgeschneidertes NRW-Agenda für Wachstum und Fortschritt, das nachhaltige Entlastungen für Bürger und Wirtschaft mit neuen Impulsen für Investitionen und Innovationen kombiniert.
III. Beschlussfassung
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- schrittweise die Grunderwerbsteuer auf 3,5 Prozent zu senken und ein unbürokratisches Flächenmodell bei der Grundsteuer einzuführen.
- mit den Wirtschafts- und Kommunalverbänden des Landes eine „Entlastungsallianz“ ins Leben zu rufen, in deren Rahmen jährlich mindestens ein gemeinsames Entlastungspaket für den Abbau von Bürokratie erarbeitet und umgesetzt wird.
- das Mittelstandsförderungsgesetz zu novellieren und die Clearingstelle Mittelstand institutionell zu stärken, um die nötige Entlastung des Mittelstands von unnötiger Bürokratie in Nordrhein-Westfalen als Dauerprozess auszugestalten.
- mit einen Digitalgesetz nach dem Vorbild Bayerns die umfassende und flächendeckende Digitalisierung und Modernisierung der staatlichen Verwaltung umzusetzen, das unter anderem folgende zentrale Maßnahmen im Einklang mit dem OZG 2.0 vorsieht: Einen Rechtsanspruch auf digitale Verwaltungsleistungen und das Once-only-Prinzip sowie Vorgaben für einheitliche Schnittstellen und Standards für alle digitalen Verwaltungsleistungen.
- das „Wirtschafts-Service-Portal.NRW“ als zentrales digitales Zugangstor für die Wirtschaft weiter auszubauen, dabei die medienbruchfreie Digitalisierung der dahinterliegenden Verwaltungsvorgänge weiter umzusetzen und konsequent weitere Verwaltungsleistungen einzubeziehen.
- einen ganzheitlichen Aktionsplan vorzulegen, mit dem Planungs- und Genehmigungsverfahren in allen Bereichen beschleunigt werden. Hierbei sind die Potentiale einer medienbruchfreien digitalen Bearbeitung von der Antragsstellung bis zur Bescheidung zu nutzen. Für eilbedürftige und landesbedeutsame Infrastruktur- und Bauvorhaben sollen in jedem Regierungsbezirk Beschleunigungshubs eingerichtet werden. Mit der Schaffung eines „Demografie-Pools“ sollen sog. Demografiebrücken einen Wissenstransfer zwischen absehbar ausscheidenden und künftigen Fachkräften organisiert werden, um den Fachkräftemangel abzumildern. Zusätzlich soll ein Pool von externen Projektmanagern geschaffen werden, die die verantwortlichen Planungs- und Genehmigungsbehörden nach Bedarf in Abstimmung mit den Projektträgern mit ihrer Expertise unterstützen.
- konsequent bürokratische Sonderregelungen und Verfahrenserschwernisse im Umwelt- und Naturschutzrecht Nordrhein Westfalens abzubauen, die über Vorgaben des Bundes- und der EU hinausgehen und keinen Beitrag zum Natur- und Umweltschutz leisten. Zusätzliche Vorkaufs-, Klage- und Beteiligungsrechte von Naturschutzverbänden, die über die Vorgaben und Standards im Bundesnaturschutzgesetz hinausgehen, sind zu streichen.
- eine bürokratiearme und pragmatische Umsetzung der EU-Luftqualitätsrichtlinie zu gewährleisten, die Kommunen und Unternehmen nicht überfordern.
- im Rahmen der weiteren Änderung des Landesentwicklungsplans die Flächenbedarfsplanung dynamisch an die Nachfrageentwicklung zu koppeln. Auf starre Flächenverbrauchsziele wie den 5H-Grundsatz ist zu verzichten. Industrie- und Gewerbeflächen sind in ausreichender und wachstumsförderlicher Zahl und Qualität an geeigneten Standorten zur Verfügung zu stellen. Flächenrecycling und Flächenausgleich sind weiter zu erleichtern und zu fördern. Die Konkurrenz zwischen der Ausweisung notwendiger Gewerbe- und Industrieflächen und dem Ausbau Erneuerbarer Energien muss vermieden werden.
- die bedarfsgerechte Versorgung mit heimischen Rohstoffen planerisch langfristig zu sichern. Auf die Festlegung eines Degressionspfads für die Nutzung von heimischen Rohstoffen wie Kies und Sand ist zu verzichten.
- die Regeln für den Wohnungsbau zu vereinfachen und zu erleichtern durch die Einführung des Gebäudetyps E und die damit verbundenen Möglichkeiten zum einfachen und experimentellen Bauen. Der digitale Bauantrag und die digitale Genehmigung müssen schnell und vollumfänglich in allen Kommunen umgesetzt werden. Zudem muss sich das Land in der Bauministerkonferenz dafür einsetzen, dass nur solche DIN-Normen zu technischen Baubestimmungen der Länder erhoben werden, die der Gefahrenabwehr dienen. Ergänzend soll sich die Landesregierung für eine Liberalisierung des Bauvertragsrecht einsetzen, die mehr vertragliche Spielräume für die Absenkung technischer Anforderungen bei bloßen Komfortstandards ermöglicht.
- statt dem Grundsatz „Erhalt vor Ausbau“ eine bedarfsgerechte Modernisierung der Verkehrsinfrastrukturen bei Straße, Schiene und Wasserstraße zu ermöglichen, die wirtschaftliche Entwicklung und individuelle Mobilität fördert und alle Verkehrsträger gleichermaßen berücksichtigt. Verfügbare Bundesmittel für die Modernisierung von Bundesstraßen dürfen nicht verfallen, sondern müssen vollumfänglich abgerufen werden.
- den Wissens- und Innovationstransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft durch den Ausbau eines flächendeckenden Start-up- und Scale-up-Ökosystems sowie durch ein regional mit Mittelstand und Wirtschaft eng verzahnten Netzwerks zu verbessern und zu fördern. Ein zentrales Ziel muss sein, mehr Deep- und High-Tech-Innovationen hervorzubringen. Auf Initiative des Landes sollten sich die Hochschulen freiwillig selbst verpflichten, ein Prozent ihres Gesamtbudgets für Ausgründungen zur Verfügung zu stellen.
- das Fördersystem für die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen systematisch auf Schwachstellen zu überprüfen und neu aufzustellen. Unnötige Förderbürokratie und Fördermaßnahmen mit schlechter Kosten-Nutzen-Relation sind bestmöglich zu reduzieren oder zu streichen, sämtliche Förderprogramme und -verfahren sind transparent, bürokratiearm und effizient für alle Nutzergruppen auszugestalten.
- eine auskömmliche Kita-Finanzierung und die Sicherung des OGS-Ausbaus zu gewährleisten. Der Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung muss gesetzlich und finanziell abgesichert werden. Eine auskömmliche Finanzierung von Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflege und Offenem Ganztag ist in Nordrhein-Westfalen für einen wirtschaftlichen Aufschwung essenziell. Für die erfolgreiche Berufstätigkeit von Eltern sind verlässliche Betreuungszeiten der zentrale Grundstein. Für Kinder und Jugendliche sind garantierte Erziehung und Betreuung der Grundstein für Aufstieg durch Bildung.
- die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung weiter zu fördern. Dazu gehört die duale Ausbildung weiter zu stärken und durch die intensive Kooperation zwischen Schulen, Unternehmen und Hochschulen auch neue, zukunftsorientierte Ausbildungsberufe zu schaffen. Eine gemeinsame Entwicklungsplanung in den Regionen zwischen Schulträgern und Berufskollegs muss ermöglicht und vereinfacht werden. Für den Bau von Azubi-Wohnheimen sind weitere Anreize zu setzen und Hemmnisse abzubauen.
- den Weg zur Erreichung des Klimaneutralitätsziels im Jahr 2045 technologieoffen, marktwirtschaftlich, kosten- und emissionseffizient auszugestalten und Maßnahmen und Technologien für zirkuläres Wirtschaften sowie Speicherung von CO2 in Nordrhein-Westfalen zu ermöglichen und zu fördern.
- ein Wasserstoff-Zukunftsgesetz für die Umsetzung der Wasserstoffstrategien vorzulegen, das einen kohärenten Rahmen für Planung und Bau einer flächendeckenden und grenzübergreifenden Wasserstoffinfrastruktur ermöglicht sowie den Aufbau aufeinander abgestimmter Wasserstoffökosysteme und Förderstrukturen.
- sich dafür einzusetzen, den endgültigen Kohleausstieg im Rheinischen Revier zu verschieben, bis der Zubau ausreichender Ersatzkapazitäten gewährleistet ist und für eine zügige Ausweitung eines günstigen und klimafreundlichen Energieangebots neben Wind- und Solarenergie die ganze Bandbreite Erneuerbarer Energien von Wasserkraft, Biomasse, Geothermie, Wärme aus Ab- und Grubenwässern gleichermaßen nutzbar zu machen.
- parallel Nordrhein-Westfalen zu einer zentralen Modellregion für Forschung und Entwicklung sowie die kommerzielle Nutzung von Fusionstechnologien zu machen mit dem Ziel weltweit einer der ersten Standorte für den Bau eines Demonstrationskraftwerks zu werden.