Die Untätigkeit des Justizministeriums rächt sich: Hunderte Ordnungswidrigkeiten und Strafverfahren bleiben wegen Arbeitsüberlastung unbearbeitet und verjähren. Geschäftsstellen der Gerichte und Staatsanwaltschaften in NRW müssen dringend besser ...

I. Ausgangslage

Dass die Justiz in Nordrhein-Westfalen in nahezu allen Bereichen am Limit ist, ist leider nichts Neues und war bereits Inhalt zahlreicher Plenaranträge.1 In vielen Zivilgerichten werden Berge von Akten vor sich hergeschoben, Terminierungen dauern zu lange, die Bürgerinnen und Bürger verlieren das Vertrauen in den Rechtsstaat.

Besonders drastische Folgen hat der gravierende Personalnotstand aber im Bereich des Strafrechts.

Die Zahl unerledigter Fälle bei den Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen ist im vergangenen Jahr weiter gestiegen. Ende 2023 waren im Bundesland noch 242.677 Verfahren offen. Damit ist innerhalb von zwei Jahren die Anzahl unerledigter Fälle demnach um fast 27 Prozent (2021: 191.604) angestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr beträgt der Anstieg rund neun Prozent (2022: 224.025).

Die völlige Überlastung des Strafverfolgungssystems wurde auch von Justizminister Dr. Limbach selbst eingeräumt. Diesen Personalmangel hat der Justizminister versucht, durch Verschieben von 100 Richter und Richterinnen zur Staatsanwaltschaft im Rahmen „kommunizierender Röhren“ zu lindern.

Diese Verschiebung ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein und lindert insbesondere auch nicht den Personalmangel bei den Geschäftsstellen.

Die Geschäftsstellen der Gerichte und Staatsanwaltschaften erledigen gem. § 27 JustG NRW alle Aufgaben, die ihnen nach Rechts- und Verwaltungsvorschriften obliegen oder übertragen sind. Gem. § 4 Abs. 1 der Geschäftsstellenordnung für die Gerichte und die Staatsanwaltschaften des Landes Nordrhein-Westfalen (GStO) unterstützen sie vor allem die Spruchkörper der Gerichte und die Entscheiderinnen und Entscheider bei den Staatsanwaltschaften bei der Erfüllung des Rechtsschutzauftrages. Damit sind sie die Basis für die Funktionsfähigkeit der Gerichte und Staatsanwaltschaften.

Die Überlastung der Geschäftsstellen der Staatsanwaltschaften hat zur Folge, dass in Teilen Nordrhein-Westfalens Ordnungswidrigkeiten und Strafverfahren nach dokumentierten Verkehrsverstößen unbehelligt bleiben, weil Akten unbearbeitet bei den Staatsanwaltschaften liegen, bis sie verjährt sind. Die Situation ist so dramatisch, dass in Bielefeld sogar überlegt wird, Geschäftsstellenmitarbeiter auf freiwilliger Basis am Wochenende arbeiten zu lassen.
Die Arbeitsüberlastung in den Geschäftsstellen hat weiterhin bereits dazu geführt, dass völlig überarbeitete Mitarbeiter aus Verzweiflung eigenmächtig Fristen verlängert und monatelang Akten versteckt haben, weil der Arbeitsaufwand nicht mehr zu bewältigen ist. 

Während das Justizministerium von der Problematik nach eigener Aussage keine Kenntnis hatte, zeigt sich die Deutsche Justizgewerkschaft (DJG) kaum verwundert. Nach Aussage des Landesvorsitzende der DJG ist die Arbeit in den Geschäftsstellen zu unattraktiv und wird insbesondere zu schlecht bezahlt. Es gäbe Nachwuchsprobleme und immer mehr Arbeit. Ein Rechtsanwalt schätzt aufgrund der ihm bekannten Einstellungen die Zahl verjährter Fälle allein
im Bereich der Staatsanwaltschaft Bielefeld auf 1000 bis 2000. Auch wenn dies einige erfreuen mag- entgehen sie so doch einer Strafverfolgung- ist die Situation auch rechtsstaatlich bedenklich, weil damit nicht alle vor dem Gesetz gleichbehandelt werden und gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen wird.

Entgegen der Aussage des Justizministeriums handelt es sich auch keineswegs um ein unbekanntes Problem. Bereits im Juni 2023 hat die FDP-Landtagsfraktion auf den gravierenden Personalnotstand in den Geschäftsstellen der Gerichte und Staatsanwaltschaften hingewiesen und nach Zahlen und Plänen zu Verbesserung der Situation gefragt.8 Die Antwort des Justizministers war damals schon ernüchternd Die Frage nach fehlenden Stellen konnte
„nicht quantifiziert beantwortet werden“, Daten und Zahlen konnten nicht geliefert werden. Bezüglich Plänen zur Verbesserung der Situation wurde nur pauschal auf die Einrichtung einer Arbeitgebermarke hingewiesen.

So verwundert es kaum, dass seitdem keine Verbesserung eingetreten ist, sich die Lage auf den Geschäftsstellen vielmehr weiter zugespitzt hat. Da die Folgen des Untätigbleibens des Justizministeriums immer deutlicher zu Tage treten und ein Kollaps der Geschäftsstellen der Gerichte und Staatsanwaltschaften droht, fordern wir nunmehr die Landesregierung zum dringenden Handeln auf.

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest:

  • Es herrscht ein gravierender Personalnotstand in den Geschäftsstellen der Staatsanwaltschaften und Gerichten in Nordrhein-Westfalen.
  • Zahlen und Daten zu der Personalsituation in den Geschäftsstellen der Gerichte und Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen liegen nicht vor.
  • Aufgrund der Arbeitsüberlastung der Geschäftsstellen können Ordnungswidrigkeiten und Strafverfahren teilweise nicht mehr fristgerecht bearbeitet werden und verjähren.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • bei allen Gerichten in Nordrhein-Westfalen (Amts-, Land- und Oberlandesgerichten) eine Abfrage hinsichtlich des tatsächlichen Personalbedarfs in Hinblick auf den tatsächlich vorhandenen Arbeitsaufwand (wegen steigender Fallzahlen bei Ermittlungs- und Strafverfahren, steigender Asylverfahren, steigender Sozialverfahren, steigender Zivilverfahren sowie wegen Mehrarbeit der Einführung der elektronischen Akte und Wegfalls von Mitarbeitern wegen Krankheit und/oder aufgrund des demografischen Wandels und nicht erfolgter Neubesetzung), in allen Bereichen durchzuführen.
  • zum Haushaltsentwurf 2025 die ermittelten Zahlen dem Landtag vorzulegen und geeignete Vorschläge zu unterbreiten, um die Gerichte in NRW (unter Berücksichtigung der Geschäftsstellen, Urkunds- und Rechtspflegerbereiche, Amtsanwälte, Staatsanwälte und Richter etc.) personell so zu verstärken, dass entsprechend dem tatsächlichen Arbeitsaufwand auch Personal zur Verfügung steht zur Sicherung von rechtsstaatlichen Verfahren der Dritten Gewalt.