E wie einfach und experimentell – NRW muss „Gebäudetyp E“ umsetzen und Baukosten senken

I. Ausgangslage

Wohnen ist in vielen Regionen unseres Landes zu einer sozialen Frage unserer Zeit geworden, denn in vielen Regionen übersteigt die Nachfrage das Angebot. Anstatt mehr Wohnungen zu bauen, sinkt aber leider die Zahl der Baugenehmigungen und damit auch die Anzahl neuer Wohnbauprojekte. Viele Bauherren lassen ihre akuten Baustellen noch beenden, stellen aber ansonsten neue Bauprojekte zurück, auch weil sie die steigenden Baukosten nicht durch höhere Mieten refinanzieren können. In der Folge fehlt weiterhin in vielen Regionen Wohnraum und die Bauwirtschaft steckt in einer tiefen Krise. Es braucht deshalb dringend Impulse, um den Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen wieder zu beleben.

Zwar begegnete die öffentliche Wohnraumförderung zum Beispiel den gestiegenen Hypothekenzinsen, aber die massiv gestiegenen Kosten des Bauens lassen sich damit nicht allein abfangen. Sowohl Planer und Architekten als auch die Immobilienwirtschaft kritisieren zunehmend auch eine Vielzahl von Normen und Vorschriften als Kostentreiber.

Schätzungen gehen davon aus, dass es für den Baubereich bis zu 3.000 Normen gibt, was das Bauen in Deutschland vergleichsweise teuer macht. Viele dieser Normen regeln jedoch nicht etwa die Sicherheit eines Hauses, sondern betreffen den Komfort. Der Präsident des Zentralverbands des deutschen Baugewerbes (ZDB), Wolfgang Schubert-Raab, veranschaulichte das gegenüber dem Handelsblatt: „Jedes [neue] Gebäude in Deutschland entspricht einem Mercedes S-Klasse. Aber wenn wir die Kosten drücken wollen, können wir uns das nicht länger leisten.“

Einige Beispiele aus der Praxis zeigen, wie kleinteilig die Baunormen sind und wie sie die Praktikerinnen und Praktiker einschränken: Nach DIN-Norm 18015 müssen beispielsweise auch für kleine Wohnzimmer mindestens vier Steckdosen verbaut werden, ist das Wohnzimmer größer als 20 Quadratmeter müssen es fünf Steckdosen sein. Nach DIN-EN12831-1 Tabelle B.14 wird für Badezimmer eine Norminnentemperatur von 24 Grad gefordert, was in der Baupraxis dazu führt, dass eine Fußbodenheizung oft um einen Handtuchheizkörper ergänzt wird. Reine Komfortstandards sind ferner zum Beispiel bodentiefe Fensterformate oder Balkongrößen, die über die Vorgaben des öffentlichen Baurechts hinausgehen.

Theoretisch ist die Anwendung dieser Normen freiwillig. In der Praxis geht die Rechtsprechung jedoch davon aus, dass die DIN-Normen die sogenannten anerkannten “Regeln der Technik” abbilden und somit einen Baustandard darstellen, der der gängigen Praxis entspricht. Wer davon abweicht, hat in einem möglichen Rechtsstreit schlechte Karten. Selbst wenn Bauherren und Architekturbüros miteinander vereinbaren wollen, nach einem anderen Komfortstandart zu bauen, müssen sie umfangreiche Aufklärungspflichten erfüllen.

Fachverbände fordern seit längerem einen neuen “Gebäudetyp E” – E wie einfach oder experimentell, bei dem Bauherren und Architekturbüros mehr Vertragsfreiheit über die gewünschten Komfortstandards erhalten sollen. Wir unterstützen dieses Vorhaben und sehen darin eine Möglichkeit, das Bauen einfacher und kostengünstiger zu machen und Chancen auf Innovation im Bau zu eröffnen.

Der Deutsche Bundestag soll auf Vorschlag von Bundesjustizminister Buschmann die nötigen Haftungsfragen regeln. Das „Gebäudetyp-E-Gesetz“ soll den Begriff „Regeln der Technik“ konkreter fassen, so dass reine Komfortstandards im Allgemeinen nicht darunter fallen. Fachkundige Unternehmer sollen davon einfacher abweichen dürfen, ohne dass die neuen Gebäude automatisch einen Sachmangel aufweisen. Bei all diesen Überlegungen geht es ausschließlich um Komfortstandards – die elementare Sicherheits-Standards rund um Statik, Brandschutz, gesunde Lebensverhältnisse oder Umweltschutz sollen mit dem „Gebäudetyp E“ nicht angetastet werden.

Auch die Länder können den “Gebäudetyp E” unterstützen. Die Bundesländer Bayern und Niedersachsen haben bereits erste Schritte in diese Richtung unternommen: So hat Bayern 19 Pilotprojekte zum neuen Gebäudetyp im ganzen Bundesland beschlossen, die wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden sollen. Niedersachsen hat zudem in seiner Landesbauordnung in § 66 Satz 1 und 2 NBauO geregelt, dass Bauämter Abweichungen von den Bauregeln insbesondere zur Erprobung neuer Bau- und Wohnformen genehmigen müssen, sofern sie mit öffentlichen Belangen vereinbar sind. Zwar wurde bei der letzten Änderung der Landesbauordnung NRW eine Innovationsklausel in § 69 angelegt, allerdings besteht hier Unklarheit, ob damit eben auch Projekte des Gebäudetyps E, die von den Komfortstandards abweichen, erfasst sind.

II. Beschlussfassung

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • klarzustellen, dass nach § 69 „Abweichungen“ in der Bauordnung NRW auch solche Bauvorhaben zu genehmigen sind, die unter dem Gebäudetyp E zusammengefasst werden, hilfsweise dem Parlament eine Vorschlag zur Anpassung der Landesbauordnung NRW vorzulegen.
  • mögliche Hindernisse für die Implementierung des “Gebäudetyps E” in den Ausführungsvorschriften zur Landesbauordnung im Dialog mit der Baukostensenkungs-Kommission auszuräumen.
  • sich in der Bauministerkonferenz und im Bundesrat für eine Unterstützung des “Gebäudetyps E” einzusetzen.
  • sich in der Bauministerkonferenz weiterhin dafür einzusetzen, dass nur solche DIN-Normen zu technischen Baubestimmungen des Länder erhoben werden, deren Einhaltung zur Abwehr von Gefahren im Sinne des § 3 Absatz 1 Satz 1 der Landesbauordnung NRW unerlässlich sind.
  • in den Gebieten der Bezirksregierungen insgesamt 25 Pilotprojekte für den “Gebäudetyp E” zu beginnen und wissenschaftlich zu begleiten. Diese Evaluation soll das Ziel haben, konkrete Potentiale durch die Einführung des neuen Gebäudetyps zu erfassen und eine Grundlage für weitere Optimierungsprozesse zu schaffen.