Ein Beschluss mit vielen offenen Fragen: Wurde der vorgezogene NRW-Kohleausstieg am Parlament vorbeigeplant?

Die Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie Mona Neubaur hat am 4. Oktober 2022 die Öffentlichkeit über den auf das Jahr 2030 vorgezogenen Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen informiert. Nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden Energiekrise hat diese Grundsatzentscheidung eine enorme Tragweite für Bürgerinnen und Bürger und die Industrie in Nordrhein-Westfalen. Die durch den Kohleausstieg in der Energieversorgung entstehende Deckungslücke soll bislang durch den starken Zubau von Gaskraftwerken aufgefangen werden. Vor dem Hintergrund wohl längerfristig hoher Gaspreise und einer kurz- und mittelfristig noch kaum verfügbaren Infrastruktur für den alternativen Energieträger Wasserstoff droht dieser vorgezogene Kohleausstieg ein Treiber für überhöhte Strompreise im kommenden Jahrzehnt zu werden.

Bei einer derart weitreichenden Entscheidung scheint die frühzeitige Beteiligung des Parlaments geboten. Artikel 40 der Landesverfassung NRW bindet die Landesregierung, den Landtag „frühzeitig und umfassend über die Vorbereitung von Landesgesetzen, Staatsverträgen, Verwaltungsabkommen und Angelegenheiten der Landesplanung sowie über Angelegenheiten des Bundes und der Europäischen Union, soweit sie an ihnen mitwirkt“ zu unterrichten. Die Parlamentsvereinbarung vom 13. Dezember 2012 konkretisiert und erweitert den Artikel 40 dahingehend, dass „die Landesregierung bei der Auslegung der Vereinbarung das Interesse des Landtages berücksichtigt, auch dann politische Informationen zu erhalten, wenn Gegenstände von erheblicher landespolitischer Bedeutung über die vereinbarte Fallgruppe hinaus Belange des Landtags wesentlich berühren“. Darüber hinaus besagt auch der Grundsatz der Organtreue, dass die Verfassungsorgane untereinander zu rücksichtsvollem Umgang und einem Mindestmaß an Kooperation verpflichtet sind.

Vor diesem Hintergrund muss die besagte Pressekonferenz der Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie Mona Neubaur gemeinsam mit dem Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Dr. Robert Habeck und dem Vorstandsvorsitzenden von RWE Dr. Markus Krebber am 4. Oktober 2022 beurteilt werden. Dieser Pressekonferenz ging eine Plenarwoche im nordrhein-westfälischen Landtag voraus. Auf der Tagesordnung für den 30. September 2022 stand u.a. eine Unterrichtung der Landesregierung. In dieser Unterrichtung informierte der Ministerpräsident Hendrik Wüst über das Ergebnis der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) am 28. September 2022 zu Entlastungsmöglichkeiten in der aktuellen Energie- und Inflationskrise. Die inhaltlichen Schwerpunkte lagen naturgemäß auf Fragen der Energie- und Industriepolitik und der Versorgungssicherheit. Die am 4. Oktober 2022 bekanntgegebene Entscheidung zum vorgezogenen Kohleausstieg samt den dazugehörenden Plänen zum kurzfristigen Weiterbetrieb von zwei Kraftwerksblöcken bis ins Frühjahr 2024 gehört ohne Zweifel zum Themenkomplex der Energie- und Inflationskrise. Eine Unterrichtung des Parlaments zur offensichtlich bevorstehenden Einigung der Landesregierung mit dem Bundeswirtschaftsminister und RWE durch den Ministerpräsidenten blieb allerdings aus. Auch Ministerin Neubaur sprach an diesem Tag im Parlament nicht zu diesem Sachverhalt. Dies erscheint umso erstaunlicher vor dem Hintergrund, dass in der Pressekonferenz vom 4. Oktober 2022 mehrfach anklang, dass die Gespräche und Verhandlungen zwischen den politisch Verantwortlichen und RWE sich – nachvollziehbarerweise – über einen längeren Zeitraum hingezogen hätten. Insofern wäre viel Raum dafür gewesen, auch das Parlament entsprechend zu informieren. Hierzu bietet die langjährige Parlamentspraxis viele Möglichkeiten wie Unterrichtung, Ausschussbericht oder eine Information der Fraktionsvorsitzenden oder der fachlich zuständigen Obleute, um nur einige zu nennen.

Daher frage ich die Landesregierung:

  1. Welche Gespräche wurden im Vorfeld der am 4. Oktober 2022 kommunizierten Einigung auf Ebene der Minister und/oder Staatssekretäre geführt? (Bitte Termine sowie Teilnehmer einzeln aufführen.)
  2. Wann ist innerhalb der Landesregierung die Eckpunktevereinbarung für den Kohleausstieg 2030 final beschlossen worden, die am 4. Oktober 2022 bekanntgegeben wurde?
  3. Wann wurde die Pressekonferenz vom 4. Oktober 2022 terminiert?
  4. Aus welchen Gründen entschied sich die Landesregierung dazu, eine Entscheidung von solcher Tragweite in einer Pressekonferenz vorzustellen, anstatt zuerst das Parlament zu unterrichten (z.B. im Rahmen der Unterrichtung am 30. September 2022)?
  5. Inwiefern wurden die von der Entscheidung betroffenen Kommunen im Rheinischen Revier im Vorfeld in die Entscheidung einbezogen? 

Henning Höne