Einfacher Staat: Patientenschutz im Grenzland erhöhen – mit besseren Daten
I. Ausgangslage
Wer im Grenzland von Belgien, den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen lebt, registriert in
vielen Fällen die Grenzen zwischen den drei Staaten im Krankheitsfall sehr direkt.
Patientinnen und Patienten suchen in der Nähe ihres Lebensmittelpunkts nach Hilfe. Der Weg
über die Grenze ist dann oft näher, als der lange Weg zur fernen Großstadt. Eine Privatbehandlung jenseits der Grenze mit anschließender Privatzahlung ist kein Einzelfall. Theoretisch müssten die heimischen Krankenkassen die Kosten einer Behandlung in einem Partnerland übernehmen. In der Praxis tun sie das aber noch zu selten.
Bisher gibt es keine sinnvolle Datenerhebung, wie viele Leute sich über die EU-Regeln ihr
Geld zurückzuholen. Hier gilt es nachzusteuern.
Beispiel: Krebs behandelt, Kosten nicht übernommen
Immer wieder müssen sich Gerichte mit Klagen von Patientinnen und Patienten befassen. Der
Gerichtshof der Europäischen Union verhandelte 2021 den Fall eines Krebspatienten aus Bel-
gien. Er hatte sich in einem Krankenhaus im niederländischen Maastricht untersuchen lassen.
Für eine zweite Meinung suchte der Patient einen Arzt in Deutschland auf. Der hielt den Krebs
für weitaus gefährlicher als zuvor angenommen –der Krebs musste sofort operiert werden.
Nach geglückter Behandlung begannen für den Belgier die Streitigkeiten. Die belgische Krankenkasse weigerte sich, die Kosten der deutschen Behandlung zu übernehmen. Denn der Patient hatte vorab keinen Antrag bei seiner Versicherung gestellt.
Ein anderes Beispiel findet sich in der Datenbank eines niederländischen Versicherers. Ein
Patient aus dem niederländischen Limburg suchte Hilfe bei der Behandlung seiner Arthrose.
Statt in das ferne Haarlem zu reisen, suchte er das grenznahe Universitätsklinik in Aachen auf.
Die niederländische Krankenversicherung weigerte sich zunächst die Kosten zu ersetzen.
Denn die deutsche Behandlung sei nicht „state-of-the-art“gewesen.
Europäische Regeln und ihre Schwachstellen
Gesundheitspolitik gehört zu den Kernaufgaben der EU-Mitgliedstaaten. Die Europäische
Union wirkt an der Gesundheitsversorgung lediglich unterstützend mit. Verschiedene Regeln
setzen aber den Rahmen. Eine EU-Verordnung und eine EU-Richtline ergänzen sich dabei
gegenseitig.
Besonders die Richtlinie 2011/24 ist für die Einwohner der Grenzregion von Interesse. Damit
ordnet die EU an, dass sich im Prinzip alle Versicherten in einem anderen europäischen Land
behandeln lassen können –ohne zuvor ihre eigene Krankenversicherung zu fragen: •Die Kosten werden im Nachgang bis zu der Höhe übernommen, wie sie auch im Heimatland von den Kassen getragen worden wären.
•Dies kann zu Problemen führen, wenn das jeweilige nationale Recht Unterschiede beim
Leistungsniveau bzw. Ausschlüsse von Leistungen vorsieht.
•In bestimmten Fällen müssen Patientinnen und Patienten auch weiterhin die Genehmigung ihrer Krankenversicherung abfragen, etwa bei besonders teuren Behandlungen.
Wie viele Personen im Grenzland die o.g. EU-Regelungen aktiv nutzen, ist bisher allerdings
weitgehend unbekannt. Die EU-Kommission fragt regelmäßig die Daten ab, leider sind sie
immer wieder sehr lückenhaft. Je nach Erstattungsgrundlage melden die Versicherer unterschiedliche Zahlen zurück:
•Im Fall der einschlägigen EU-Verordnung5 haben niederländische Versicherer in 2021 lediglich 2.600 Rechnungen übernommen und für 230 Fälle Gelder erhalten. Die belgischen Versicherer haben 60 Behandlungen bezahlt und 90 erstattet bekommen. In der Gesamtschau fällt auf: Die Fallzahlen sind verschwindend gering. Zumal Deutschland dazu keine Zahlen vorgelegt hat.
•Im Fall der hier geschilderten EU-Richtlinie6 haben alle drei Staaten keine brauchbaren
Informationen geliefert. Denn die Daten wurden jeweils nach unterschiedlichen Standards erhoben. Die Grenzinfopunkte werden vergleichsweise selten von den Bürgerinnen und Bürgern zum europäischen Erstattungssystem konsultiert.
Das zeigt: Das europäische Erstattungssystem ist noch zu wenig bekannt. Patientinnen und
Patienten sind nicht gut genug über ihre Rechte informiert. Auch viele Krankenkassen selber
scheinen die europäischen Regeln aus Unkenntnis nicht anzuwenden. Das muss sich ändern.
Euregio ist schon Pionierregion
Die Bürgerinnen und Bürger im Dreiländereck Aachen-Lüttich-Maastricht haben schon viel er-
reicht, gerade mit Blick auf die Gesundheitsversorgung:
•In der Universitätsklinik Aachen ist es gängige Praxis, Patientinnen und Patienten aus den Nachbarländern zu behandeln. Umgekehrt suchen Deutsche in den Niederlanden und Belgien Hilfe bei Fachärzten und Spezialkliniken.
•Die Kooperation zwischen der AOK und dem niederländischen Versicherer CZ ist eine wichtige Säule für die lokale Abrechnung von Behandlungen. Mit der Not- und Ambulanzhilfe arbeiten die Fachleute bereits über die Grenzen hinweg.
•Die Versorgung von kranken Kindern könnte mit dem geplanten Euregionalen Zentrum für Kinderchirurgie (Euregional Centre for Paediatric Surgery) einen beeindruckenden Schub bekommen.
Wir müssen an diese wichtigen Meilensteine europäischer Integration anknüpfen und die Ver-
sorgung von Patientinnen und Patienten lokal verbessern. Dafür brauchen wir belastbare Da-
ten.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:
Europa ist vor allem dann stark, wenn es Chancen für seine Bürgerinnen und Bürger eröffnet. Nirgendwo anders als im Dreiländereck von Nordrhein-Westfalen, Belgien und den Niederlanden können Menschen so einfach die Vorteile der europäischen Einigung erfahren. Gerade bei der Gesundheitsversorgung müssen wir an die bisherigen Erfolge anknüpfen.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
•mit einem wissenschaftlichen Gutachten die bisherige Datenerhebung zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung überprüfen zu lassen. Im Rahmen dieser Studie werden die in den Grenzregionen aktiven Krankenversicherungen zum europäischen Erstattungssystem befragt. Zudem werden die jeweiligen nationalen Rechtsrahmen miteinander verglichen und konkrete Fallbeispiele zu verweigerten Kostenübernahmen analysiert.
•aus den Ergebnissen des Gutachtens konkrete Optionen für politische Reformen abzuleiten. Dabei werden Vorschläge über mögliche bilaterale oder multilaterale Vereinbarungen zwischen den Partnerländern oder den Versicherern gemacht.
•gemeinsam mit den Partnern in Belgien und den Niederlanden die jeweiligen Bedürfnisse und strategischen Ziele in der Gesundheitsversorgung miteinander zu verbinden. Dafür ist eine gemeinsame Regierungskonsultation das richtige Format.