Einrichtungsbezogene Impfpflicht aufheben – Minister Laumann soll seinen Einschätzungen Taten folgen lassen
I. Ausgangslage
Die Impfpflicht für Beschäftigte in Einrichtungen des Gesundheitswesens, in der Pflege und in der Eingliederungshilfe nach § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG) ist am 15. März 2022 in Kraft getreten. Die Regelung sieht vor, dass die in den entsprechenden Bereichen tätigen Personen grundsätzlich über einen Impf- oder Genesenennachweis verfügen müssen. Ziel der Regelung war der Schutz von Personengruppen, für die aufgrund ihres Gesundheitszustandes bzw. Alters ein erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen COVID19-Krankheitsverlauf besteht (vulnerable Personengruppen). So stellten seit Beginn der Pandemie Krankenhäuser und insbesondere Altenpflegeheime immer wieder Orte dar, in denen es nach Eintragung des Virus zu Ausbrüchen mit in einzelnen Fällen hohen Todesfallzahlen kam. Deshalb kommt dem Personal in Gesundheitsberufen und Berufen, die Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen betreuen, eine besondere Verantwortung zu.
Der Deutsche Bundestag hatte am 10. Dezember 2021 den gemeinsamen Gesetzentwurf von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zur Stärkung der Impfprävention gegen Covid-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie mit großer Mehrheit beschlossen. Zu diesem Zeitpunkt erreichte die Delta-Welle ihren Höhepunkt mit zahlreichen schweren Krankheitsverläufen insbesondere unter ungeimpften Personen. Während der Delta-Welle wurde auch noch davon ausgegangen, dass geimpfte Personen in der Regel keine Viren an die von ihnen betreuten Patientinnen und Patienten übertragen können. Insofern war seinerzeit von einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht eine hohe Schutzwirkung für vulnerable Personengruppen zu erwarten.
Mit dem Auftreten der Omikron-Varianten hat sich das Infektionsgeschehen jedoch maßgeblich verändert. Der Corona-ExpertInnenrat der Bundesregierung hat dies bereits in seiner ersten Stellungnahme vom 19. Dezember 2021 festgestellt: „Die kürzlich identifizierte Omikron-Variante bringt eine neue Dimension in das Pandemiegeschehen. Omikron zeichnet sich durch eine stark gesteigerte Übertragbarkeit und ein Unterlaufen eines bestehenden Immunschutzes aus.“ Dies würde bedeuten, dass die neue Variante auch Genesene und Geimpfte stärker in das Infektionsgeschehen einbezieht. In der Stellungnahme wurde auch ausgeführt, dass der Impfschutz gegen die Omikron-Variante rasch nachlässt und auch immune Personen symptomatisch erkranken. Der Schutz vor schwerer Erkrankung würde aber erhalten bleiben. Diese frühen Erkenntnisse zu Omikron haben sich im weiteren Verlauf der Pandemie und auch mit dem Auftreten neuer Omikron-Varianten grundsätzlich bestätigt.
Da eine Impfung bei den Omikron-Varianten weder eine Infektion von Geimpften noch die Ansteckung von Dritten ausschließen kann, ist der mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht beabsichtigte Schutz von vulnerablen Personengruppen im Gegensatz zum Zeitpunkt der Gesetzesverabschiedung erheblich reduziert. Dem stehen die Grundrechtseinschränkungen für die betroffenen ungeimpften Beschäftigten gegenüber, die ihren Beruf nicht mehr ausüben dürfen. Damit wäre die Verhältnismäßigkeit der Regelung grundsätzlich neu abzuwägen.
Die einrichtungsbezogene Impfpflicht wurde zudem von vielen Beteiligten als Vorstufe zur allgemeinen Impfpflicht angesehen. Letztere fand jedoch im Deutschen Bundestag keine Mehrheit. In einer Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestages am 27. April 2022 hat zum Beispiel die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) erklärt, dass die durchschnittliche Impfquote in Kliniken bei 95 Prozent liege. Die Krankenhäuser hätten dennoch die Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht unterstützt, allerdings unter der Maßgabe, dass die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht zwingend folgen werde. Mit der gescheiterten Gesetzesinitiative für eine wenigstens altersbezogene Impfpflicht sei diese Voraussetzung nicht mehr erfüllt. Den Beschäftigten in den Krankenhäusern sei nicht vermittelbar, warum sie zur Impfung verpflichtet würden, während die von ihnen betreuten Patienten von den Regelungen nicht erfasst seien. Daher sollte die sektorale Impfpflicht ausgesetzt werden. Die Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht ist auch mit einem erheblichen bürokratischen Aufwand verbunden. Die Leitungen der entsprechenden Betriebe wie Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen müssen den Gesundheitsämtern ungeimpfte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter melden. Die Gesundheitsämter müssen diese Meldungen überprüfen, bewerten und letztlich in eigenem Ermessen entscheiden, in welchen Fällen Betretungsverbote gegenüber ungeimpften Personen ausgesprochen werden. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums von April stand für landesweit mehr als 20.000 Beschäftigte eine Einzelfallprüfung durch das jeweilige Gesundheitsamt an. Für den damit verbundenen personellen Mehraufwand hat das Land zusätzliche Mittel zur finanziellen Unterstützung vorgesehen.
Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann stellte am 27. Juli die einrichtungsbezogenen Impfpflicht infrage. Er äußerte sich laut DPA-Meldung wie folgt: „Wir wissen heute: Die Impfung schließt Ansteckungen nicht aus. Daher bin ich schon der Meinung, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht in der jetzigen Situation nicht mehr das Nonplusultra ist. Eine Verlängerung halte ich aus heutiger Sicht nicht für sinnvoll.“ Der Bundesgesetzgeber sollte demnach die einrichtungsbezogene Impfpflicht dringend auf den Prüfstand stellen. Bisher hat die Landesregierung aber keine Initiative unternommen, um diese Einschätzung in den Gesetzgebungsprozess zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes einzubringen.
Unabhängig von der Frage der einrichtungsbezogenen Impfpflicht sollte die Aufklärung über Impfungen, ihre Schutzwirkung und die Bedeutung einer verbreiteten Immunisierung der Bevölkerung fortgesetzt werden. Darüber hinaus sind die nötigen Kapazitäten aufzubauen, um den Bedarf an Auffrischimpfungen mit den vor der Zulassung stehenden Impfstoffen, die an Omikron-Varianten angepasst sind, zu erfüllen. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen, in der Pflege und in der Eingliederungshilfe sollten kurzfristig nach der Zulassung entsprechender Impfstoffe ein Angebot zur Auffrischimpfung erhalten. Die Impfkampagne sollte in diesem Sinne mit Nachdruck fortgeführt werden.
II. Beschlussfassung
Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
- sich auf Bundesebene für die Aufhebung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht einzusetzen,
- eine entsprechende Bundesratsinitiative auf den Weg zu bringen sowie
- die Impfkampagne mit Nachdruck fortzuführen.
Henning Höne
Marcel Hafke
Angela Freimuth
Yvonne Gebauer
und Fraktion