Das Einstein-Teleskop: Spitzenforschung als europäisches und trinationales Projekt national vorantreiben!

I. Ausgangslage

Im Jahr 2017 wurde der Nobelpreis für Physik für die Entdeckung der Gravitationswellen verliehen. Die darauf aufbauende Forschung will aus der Beobachtung der Gravitationswellen lernen, wie sich unser Universum entwickelt. Damit wird ein neues Feld der Astronomie erschlossen. Der Bau eines sog. „Einstein-Teleskops“ soll das Spektrum beobachtbarer Gravitationswellen erheblich erweitern, was wissenschaftlich als vielversprechend eingestuft wird. Das Einstein-Teleskop ist eines von mehreren ähnlichen Großprojekten, die in den nächsten Jahren weltweit umgesetzt werden sollen.

Projekt

Das Einstein-Teleskop ist eine geplante unterirdische Infrastruktur für ein Gravitationswellen-Observatorium der dritten Generation. Es baut auf dem Erfolg der aktuellen laserinterferometrischen Detektoren der zweiten Generation, Advanced Virgo und Advanced LIGO, auf, deren bahnbrechende Entdeckungen von verschmelzenden Schwarzen Löchern und Neutronensternen in den letzten Jahren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die neue Ära der Gravitationswellenastronomie geführt haben.

Entschließung des Landtags Nordrhein-Westfalen im Jahr 2020

Im Rahmen eines gemeinsamen Antrags von CDU, FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit dem Titel „Das Einstein-Teleskop – die Euregio Maas-Rhein überzeugt als Standort des internationalen Großprojektes“ aus dem November 2020 wurde von der NRW-Landespolitik einstimmig wertschätzend festgehalten, dass sich die RWTH Aachen und die damalige Landesregierung bereits gemeinsam maßgeblich an Vorbereitungsprojekten des Einstein-Teleskops beteiligten (ETpathfinder, E-Test). Auch die Helmholtz-Gemeinschaft, die Fraunhofer- und Max-Planck-Gesellschaft engagieren sich bei der Konzeptionierung. Das Einstein-Teleskop wurde bereits damals als Projekt der Spitzenforschung mit globaler Ausstrahlung bewertet.

Gründung der Einstein Telescope Scientific Collaboration 2022

Die Gemeinschaft europäischer Forscherinnen und Forscher, die seit den frühen 2000er Jahren an der Entwicklung des Einstein-Teleskops arbeiten, hat sich neu organisiert. Im Rahmen des 12. Einstein Telescope Symposium am 7. und 8. Juni 2022 in Budapest wurde die „Einstein Telescope Scientific Collaboration“ gegründet. Ziel der wissenschaftlichen Kollaboration ist, das Einstein-Teleskop zu realisieren und damit Europas weltweit führende Rolle auf diesem Forschungsgebiet zu festigen und auszubauen.

„Wir waren eine wissenschaftliche Gemeinschaft, heute sind wir eine wissenschaftliche Kollaboration, d.h. ein strukturiertes und organisiertes System, das nach gemeinsamen Regeln arbeitet, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen: die Realisierung des Einstein-Teleskops. ET ist eine große europäische Forschungsinfrastruktur, die es uns ermöglichen wird, unsere weltweite wissenschaftliche und technologische Führungsrolle in diesem vielversprechenden Bereich der physikalischen Grundlagenforschung zu behalten.“, sagt Michele Punturo vom Istituto Nazionale di Fisica Nucleare, der die Einstein-Teleskop-Gemeinschaft bisher geleitet hat und nun Interimssprecher der Kollaboration ist.

Mit der Gründung der Einstein Telescope Scientific Collaboration wird die exzellente wissenschaftliche Zusammenarbeit in Europa auf ein solides organisatorisches Fundament gestellt. In Deutschland beteiligen sich rund zwanzig Institutionen aus unterschiedlichen Fachbereichen. So ist das AEI Hannover seit langem eine führende Institution in der Gravitationswellenforschung und Mit-Initiator des Einstein-Teleskops. Die Schwerpunkte der Forschung liegen in den Bereichen quantenlimitierte interferometrische Messungen, Laserentwicklung, der Entwicklung von Quetschlichtquellen sowie Steuerung und Betrieb von Gravitationswellendetektoren. Am Institut in Hannover wurde eine Laserquelle für den Einstein Telescope Pathfinder – so der Name des Prototyps des Observatoriums – entwickelt und getestet und am Prototypen in Maastricht installiert.

Auch das AEI Potsdam spielt seit langem eine führende Rolle in der Gravitationswellenforschung. In den letzten Jahren waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hier an der Erforschung der wissenschaftlichen Grundlagen für die Gravitationswellendetektoren der dritten Generation beteiligt. Sie wollen diese zukünftigen Detektoren nutzen, um einzigartige astrophysikalische und kosmologische Informationen sowie Erkenntnisse zur Grundlagenphysik aus Schwarzen Löchern und Neutronensternen zu gewinnen.

Standortauswahl

Es ist nachvollziehbar, dass ein großes nationales und europäisches wissenschaftliches und wissenschaftspolitisches Interesse am Einstein-Teleskop besteht, um langfristig die Spitzenforschung in Deutschland und Europa durchzuführen und zu unterstützen. Für das Teleskop stehen im Rahmen der europäischen Roadmap für Forschungsinfrastrukturen (ESFRI)-Roadmap zwei Standorte im Raum.

  1. Limburg (NL) mit starker Unterstützung von den Niederlanden, Belgien, Nordrhein-Westfalen und weiteren EU-Staaten
  2. Sardinien (IT)

Die Standort-Entscheidung soll im „European Strategy Forum on Research Infrastructures“ (ESFRI) -Verfahren zwischen 2024-2026 fallen. Jenseits der ESFRI-Roadmap bringt sich ggf. noch Sachsen mit dem Deutschen Zentrum für Astrophysik (DZA) als Standort ins Spiel. Eine Kostenteilung mit anderen EU-(Nachbar)Staaten ist bei diesem Standort nicht vorgesehen. Für Nordrhein-Westfalen, Deutschland und Europa wäre der Standort in Limburg als trinationales grenzüberschreitendes Projekt im Herzen Europas einmalig.

Das Einstein-Teleskop stellt hohe Anforderungen an seinen Standort. Benötigt wird ein stabiler Untergrund ohne nennenswerte störende Umgebungseinflüsse. Weitere Voraussetzungen sind ein Netzwerk von Know-how-Partnern sowie Unternehmen, welche die anspruchsvolle Technik zuliefern können. In der Grenzregion von Belgien, Deutschland und den Niederlanden (Euregio Maas-Rhein) treffen all diese Erfolgsfaktoren aufeinander.

Der Boden, in dem das unterirdische Einstein-Teleskop gebaut werden muss, ist einer der entscheidenden Faktoren für dessen Genauigkeit. Je undurchdringlicher der Untergrund für Schwingungen ist, desto geringer fallen die Störungen der Messgeräte aus. Der feste Untergrund in der Region Limburg, kombiniert mit einer dämpfenden Deckschicht, wäre sehr gut geeignet für das Einstein-Teleskop. Außerdem gibt es in dieser Region nur wenige Bahnlinien, Schwerindustriebetriebe und Windgeneratoren. Die Ruhe und die Stille, und auch die Gewissheit, dass diese Umgebung geschützt wird, machen die Region zu einem geeigneten Standort. Die Steuerung der unterirdischen Geräte und das Auslesen der damit gesammelten Daten kann aus der Ferne in den umliegenden, bereits bestehenden Wissenschaftsinstituten und Universitäten stattfinden.

Finanzierung

Für das Projekt werden insgesamt rund 1,9 Mrd. EUR (nach derzeitiger Schätzung) aufzubringen sein, davon der Großteil von europäischen Partnern. Der weitaus größte Teil (> 1,7 Mrd.) wird beim Bau i.e.S. fällig (insb. Tunnelbohrung und Vakuumröhren), dieser wird nach derzeitigen Planungen nicht vor 2030 beginnen. Mit rd. 170 Mio. EUR Kosten für FuE wird ab 2026 aufwachsend gerechnet. Frühestens ab 2035 werden Betriebskosten von rd. 40 Mio. EUR im Jahr erwartet. Der geforderte deutsche Investitionskostenanteil von rund 425 Mio. EUR (ca. 25% der Gesamtkosten) für den Bau würde in den Jahren 2030 bis 2035 anfallen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass mit erheblichen Mehrkosten angesichts der steigenden Energiepreise, Materialkosten und der hohen Inflation für die energieintensiven Großgeräte zu rechnen sein dürfte. Darüber hinaus sind deutsche Mittel auch für die Betriebskosten vorgesehen (es ist ebenfalls ein Beteiligung von rund 25% angedacht, dass ca. 10 Mio. EUR jährlich bedeuteten würde). Belgien und die Niederlande haben bereits klare Erklärungen zur Finanzierung getroffen. Die beiden Nachbarländer haben langfristig bis zu 1,4 Mrd. EUR in Aussicht gestellt.

Aufgrund der Haushaltslage im Bund und in Nordrhein-Westfalen stellt sich zurzeit auch die Frage, ob nicht eine Beteiligung von Deutschland an dem Projekt durch entsprechende Beteiligung der Niederlande an einem bisher auf deutscher Seite alleine investierten Forschungsprojekt im Spitzenforschungsbereich (o.ä.) möglich wäre. Dies würde zum einen die europäische Forschungsgemeinschaft stärken und zum zweiten langfristig dies Bewerbung des Projekts Einstein-Teleskop auf sichere Füße stellen, indem alle drei Länder (Niederlande, Belgien und Deutschland) eine klare Finanzierungsaussage träfen.

Forschung und Verfahren

Auf deutscher Seite müsste für einen entsprechenden Beschluss der deutsche Anteil am Einstein-Teleskop in die zu aktualisierende „Nationale Roadmap Forschungsinfrastrukturen“ aufgenommen werden. Im Gegenzug könnte durch Gespräche mit den Niederlanden und der Bundesregierung eine Regelung der oben skizzierten Art parallel erfolgen.

II. Beschlussfassung

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. sich bei der Bundesregierung dafür stark zu machen, dass das Einstein-Teleskop-Projekt mit Standort Limburg in die zu aktualisierende „Nationale Roadmap Forschungsinfrastrukturen“ aufgenommen wird.
  2. mit der niederländischen Provinzregierung Gespräche zu führen, um zu einer Klärung und Lösung der Finanzierungsfrage beizutragen.
  3. mit der im Juni 2022 gegründeten „Einstein Telescope Scientific Collaboration“ Gespräche aufzunehmen, um die Umsetzung des Einsteinteleskop-Projektes am Standort Limburg zu unterstützen.
  4. mit den Niederlanden und Belgien sowie mit der Europäischen Union Gespräche aufzunehmen, um die Umsetzung des Einsteinteleskop-Projektes am Standort Limburg zu unterstützen.
  5. eine eigene anteilige Landes-Co-Finanzierung des Projekts zu prüfen, damit die Lasten zwischen Bund und Land geteilt werden.

Henning Höne
Marcel Hafke
Dr. Werner Pfeil
Dietmar Brockes

und Fraktion