EuGH stärkt Flüchtlingsrecht beim Familiennachzug

Der EuGH hat am 01.08.2022 zum Familiennachzug von Flüchtlingen entschieden und klargestellt, dass es bei den Fragen rund um den Familiennachzug minderjähriger Flüchtlinge nur auf den Zeitpunkt der Antragstellung ankommen kann. Maßgeblich sei das Recht auf Familienzusammenführung. Das Ziel der Richtlinie 2003/86/EG sei die Begünstigung der Familienzusammenführung und der Schutz Minderjähriger, die Achtung des Privat- und Familienlebens und das Kindeswohl. Mithin darf bei Volljährigkeit während des Antragsverfahrens der Nachzug nicht verwehrt werden. Die lange Bearbeitung der Anträge in deutschen Behörden dürfe nicht zum Nachteil der Antragsteller führen.

Mit dieser Ansicht übt der EuGH massive Kritik gegen die Entscheidungspraxis deutscher Behörden im Zusammenhang mit Nachzugsanträgen von Familienangehörigen. Nach der Klarstellung dürfen Behörden Familienzusammenführungen in Fällen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen nicht davon abhängig machen, dass das Kind bei der Entscheidung über eine Visaerteilung noch minderjährig ist. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Antragsstellung in Deutschland.

Die Richtlinie steht damit, so sagt es der EuGH, der „nationalen Regelung entgegen, nach der in einem solchen Fall das Aufenthaltsrecht der Eltern mit Eintritt der Volljährigkeit des Kindes endet“, also dem deutschen Aufenthaltsgesetz (AufenthG).

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. In wie vielen Fällen wurde minderjährigen Flüchtlingen auf Antrag hin der Familiennachzug in den letzten fünf Jahren in NRW untersagt bzw. nicht entsprechend beschieden?
  2. Wird jetzt eine zeitnahe automatische neue Prüfung über den Familiennachzug im Sinne der EuGH-Rechtsprechung in den NRW-Behörden erfolgen oder müssen die abgelehnten Anträge neu gestellt werden?
  3. Wenn die Anträge neu gestellt werden müssen, zählt dann das Alter der erstmaligen Antragstellung zugunsten der bisher fehlerhaft abgelehnten Anträge für die entsprechenden Antragsteller und Antragstellerinnen?
  4. Wie setzt die Landesregierung die Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Ur t. v. 01.8.2022, Az. C273/20 und C355/20) vom 01.08.2022 rechtssicher und zur Wahrung der Grundrechtecharta sowie der Grundsätze der Richtlinie rückwirkend und zukünftig um?

Dr. Werner Pfeil