„Europakonferenz für Energiesicherheit und Wachstum“: Gemeinsam mit Belgien und den Niederlanden schaffen wir warme Wohnungen, sichere Stromnetze und internationale Verständigung

I. Ausgangslage

Europa ist vor allem dann stark, wenn es Chancen für seine Bürgerinnen und Bürger eröffnet. Frieden und Freiheit werden wir nur sichern können, wenn wir dieses europäische Versprechen gemeinsam mit unseren europäischen Nachbarn von der Basis her erneuern.

Nirgends anders als im Dreiländereck Nordrhein-Westfalen, Belgien und den Niederlanden können Menschen so einfach die Vorteile der europäischen Einigung erfahren. Die drei Länder sind durch langjährige Freundschaft eng miteinander verbunden. Ausdruck dessen ist etwa die gute Praxis gemeinsamer Regierungskonsultationen zwischen den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen. Ende November plant die Landesregierung nunmehr auch eine Regierungskonsultation mit der belgischen Föderalregierung.

Regierungskonsultationen sind ein wichtiges Instrument zur Stärkung der Beziehungen der beteiligen Länder. Denn hier treffen sich Entscheiderinnen und Entscheider direkt, lernen die Denkweisen und Haltungen der anderen kennen und schätzen und können die Agenden ihrer jeweiligen Länder verbinden.

In der Energiekrise braucht es ein Zeichen der Hoffnung. Denn nicht nur in diesem Winter, sondern auch in den nächsten Wintern muss die Energieversorgung unter weiterhin mutmaßlich deutlich erschwerten Bedingungen sichergestellt werden. Gemeinsam mit Belgien und den Niederlanden sollte daher für warme Wohnungen, ein sicheres Stromnetz und gemeinsames Wachstum gesorgt werden. Deswegen sollte Nordrhein-Westfalen künftig nicht nur bilateral mit Belgien und den Niederlanden verhandeln. Vielmehr braucht es eine gemeinsame Konsultation aller drei Partner, am besten unter Beteiligung des Bundes und des Landes Rheinland-Pfalz: Eine „Europakonferenz für Energiesicherheit und Wachstum“. In diesem Format sollten zentrale Großprojekte vereinbart werden, die für alle Partner von gemeinsamem Vorteil sind.

Große Gasleitungen verbinden heute bereits Belgien und Nordrhein-Westfalen. Wie Herzadern transportiert die Zeelink-Pipeline Erdgas aus dem Hafen Antwerpen-Zeebrügge in das Münsterland. Wegen der großen Nachfrage ist die Pipeline bereits jetzt voll ausgelastet. Ein ähnliches Bauprojekt könnte die Häfen von Amsterdam und Rotterdam mit den Städten in Westfalen, dem Rheinland und der Pfalz verbinden, um das für die industrielle Produktion und die Wärmeversorgung der Bürgerinnen und Bürger so wichtige Gas zu liefern. Mittelfristig bieten die Pipelines für Erdgas auch das Potenzial auf ein echtes ökologisches Update: Denn wenn die Bedingungen erfüllt sind, kann über dieselben Leitungssysteme künftig grüner Wasserstoff transportiert werden. Für Nordrhein-Westfalen sind diese Projekte auch deswegen so interessant, weil der Transportweg über Belgien oder die Niederlande zu uns viel kürzer ist als bis in den hohen Norden, wo aktuell die neuen LNG-Terminals entstehen.

Für die notwendige Überarbeitung des Netzentwicklungsplans Gas 2022–2032 aufgrund veränderter gaswirtschaftlicher Rahmenbedingungen infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, ist es deshalb aus NRW-Sicht dringend notwendig, dass der Gasinfrastrukturausbau auf der West-Achse mit Belgien und den Niederlanden stärker ins Gewicht fällt. Dafür ist auch ein verstärkter Einsatz des Landesregierung beim Bund vonnöten. Bei Planungs- und Genehmigungsverfahren von gemeinsamen Infrastrukturprojekten braucht es von nordrhein-westfälischer Seite das gleiche Tempo wie auf Seiten der Nachbarländer. Häufig sind Leitungen auf niederländischer und belgischer Seite fertig verlegt, gewartet werden muss hingegen auf den Anschluss von nordrhein-westfälischer Seite. Hier darf nicht nur auf eine Genehmigungsrevolution des Bundes gewartet werden. In Nordrhein-Westfalen muss alles unternommen werden, um bereits jetzt alle Hebel für Planungs- und Genehmigungsbeschleunigungen in Bewegung zu setzen. Dafür ist die Modernisierung der landeseigenen Verwaltungs- und Planungsstrukturen voranzutreiben. Auch die Entwicklung gemeinsamer Standards mit den Nachbarländern bei Planungs- und Genehmigungsverfahren kann zu erheblichen Ausbaubeschleunigungen führen.

Auf unsere Industrie und unseren Mittelstand müssen wir besonders Acht geben. Als einer der größten Industrien weltweit ist die chemische Industrie ein wichtiger Lieferant für zahlreiche Wirtschaftszweige und bietet innovative Lösungen für die heutigen wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen. Mit rund 180 Milliarden Euro Jahresumsatz belegt die trilaterale Region (Niederlande, Belgien, Nordrhein-Westfalen) nach China, den USA und Japan Rang vier der weltweit bedeutsamsten Chemieregionen. Wird Rheinland-Pfalz hinzugezogen, ist der Jahresumsatz sogar noch größer. Trotz dieser guten Position steigt der globale Wettbewerbsdruck, weshalb die kommenden Jahre entscheidend für die Zukunft der Chemie-Akteure sind. Das gilt besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Pläne der EU Kommission, künftig mit pauschalen Verboten die Chemikalienproduktion in Europa im Kern zu schwächen.

Der Rhein ist eine der wichtigsten Wasserstraße der Welt. Die letzten Sommer haben gezeigt, wie sehr der Klimawandel die logistische Lebensader unseres Landes bedroht. Insbesondere die Binnenschifffahrt wird dadurch erheblich beeinträchtigt und getroffen, Binnenschiffe konnten oftmals nur mit minimaler Auslastung fahren. Wenn sich auf dem Rhein wegen Niedrigwassers nichts bewegt, drohen Wirtschaft und Industrie der Stillstand. Denn dann können wichtige Güter wie Brennstoffe, Kohle, Chemikalien oder Baumaterial von der Nordsee nicht ihre Bestimmungsorte in Nordrhein-Westfalen oder in Rheinland-Pfalz erreichen. Die Umladung auf die Schiene oder die Straße würde das System in seiner aktuellen Form mittelfristig überlasten. Deswegen ist einerseits eine Rheinvertiefung und Abladeoptimierung am Niederrhein ganz im Sinne von Nordrhein-Westfalen, Belgien, den Niederlanden und Rheinland-Pfalz als betroffene Wirtschaftsregion. Nur durch die Maßnahme kann der Rhein ein verlässlicher und gut befahrbarer Transportweg bleiben. Andererseits müssen zusätzliche Schienen-Transportrouten wie die Betuwe-Linie und der „Eiserne Rhein“ endlich umgesetzt werden, um Straßen von Schwerlasttransporten nachhaltig zu entlasten.

Mit der „Europakonferenz für Energiesicherheit und Wachstum“ können wir die Zusammenarbeit von Nordrhein-Westfalen, Belgien und den Niederlanden auf eine neue Stufe heben. Sie kann Startpunkt eines langen gemeinsamen Weges sein. Auf diese Weise können die Partner eine Vorreiterrolle für grenzüberschreitende, regionale Kooperation einnehmen. Das wäre besonders vor dem Hintergrund des erhöhten Konkurrenzdenkens zwischen anderen Mitgliedern der Europäischen Union ein Lichtblick.

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest:

Mit der „Europakonferenz für Energiesicherheit und Wachstum“ kann Nordrhein-Westfalen ein Zeichen setzen und gemeinsam mit Belgien und den Niederlanden für warme Wohnungen, sichere Stromnetze und internationale Verständigung sorgen. Durch die Vereinbarung zentraler Großprojekte kann auch das Vertrauen in den Standort NRW, das durch die Energiekrise schwer erschüttert ist, wieder wachsen. Dafür können neue Pipelines für Wasserstoff und Gas, mehr Leitungssysteme für grundlegende chemische Produkte und eine Vertiefung des Rheins sorgen.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • gemeinsam mit den Partnern in den Niederlanden und in Belgien jährlich eine gemeinsame Regierungskonsultation unter Beteiligung des Bundes und von Rheinland-Pfalz zu vereinbaren und durchzuführen mit dem Ziel, den Ausbau gemeinsamer Infrastruktur und Wirtschaftsbeziehungen voranzutreiben. Wichtige Stakeholder aus dem Wirtschafts-, Verkehr- und Energiesektor sind in die Konsultationen miteinzubeziehen.
  • den gemeinsamen Ausbau weiterer Leitungssysteme für Erdgas und Wasserstoff mit den Niederlanden und Belgien zu vereinbaren. Dabei kann die etablierte Zeelink-Pipeline zwischen Antwerpen-Zeebrügge und dem Münsterland ein Vorbild sein.
  • sich auf Bundesebene im Rahmen der Überarbeitung des Netzentwicklungsplans Gas 2022–2032 dafür einzusetzen, dass der Ausbau der Gas- und Wasserstoffinfrastruktur auf der West-Achse mit Belgien und den Niederlanden zukünftig stärker forciert wird.
  • die ersten Ergebnisse der „Trilateral Chemical Region Initiative” aus dem Sommer auszuwerten und, wie im gemeinsamen Memorandum der beteiligten Länder vereinbart (Drucksache 17/5186), die Umsetzung der „Sustpipe-Initiative“ für wichtige chemische Güter voranzutreiben.
  • sich im Rahmen des europäischen Trilogs über die REACH-Verordnung und die Europäische Chemikalienstrategie gemeinsam mit den Partnern dafür einzusetzen, dass – statt der vorgesehenen pauschalierten Verbote für ganze Stoffgruppen - für die Marktzulassung der Nutzen und das Risiko einzelner chemischer Güter entscheidend sind.
  • über die Zukunft des Rheins mit den Niederlanden und Rheinland-Pfalz als Anrainerstaaten und Belgien als betroffene Wirtschaftsregion gemeinsam zu beraten, die jeweiligen Bedürfnisse und strategischen Ziele miteinander zu verbinden und dabei insbesondere die Rheinvertiefung zu thematisieren. Als Vorleistung soll die Landesregierung sich umgehend beim Bund für die rasche Umsetzung geplanter flussbaulicher Maßnahmen im Bundesverkehrswegeplan am Niederrhein einsetzen.
  • sich beim Bund für eine umfassende Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung der Betuwe-Linie und einen neuen Anlauf für den Ausbau bzw. die Erneuerung des Eisernen Rheins einzusetzen, um einen besseren und schnelleren Schienengüterverkehr zu den Seehäfen Rotterdam und Antwerpen-Zeebrügge sicherzustellen, der mit Blick auf die Energiekrise ganz wesentlich an Attraktivität und Dringlichkeit gewonnen hat.
  • dem Landtag jährlich über die alle gemeinsamen Projekte und Bemühungen des Landesregierung mit den Niederlanden und Belgien für den Ausbau gemeinsamer Wirtschaftsbeziehungen und Infrastrukturen Bericht zu erstatten.

Henning Höne
Marcel Hafke
Dietmar Brockes
Prof. Dr. Andreas Pinkwart

und Fraktion