Fehlanreize der Grundsteuerveranlagung für erforderliche Sanierungsmaßnahmen – Nach welchen trennscharfen Kriterien unterscheidet die Landesregierung zwischen Kernsanierungen und mehreren Einzelmaßnahmen?

Zahlreiche Immobilieneigentümerinnen und -eigentümer sind zu ihrem Leidwesen in diesen Wochen mit der Grundsteuerfeststellungserklärung befasst. Die FDP-Landtagsfraktion setzt sich bekanntlich seit längerer Zeit für die Nutzung der Länderöffnungsklausel und zugunsten eines einfachen flächenbasierten Modells ein, in welchem die baulichen Veränderungen am eigenen Objekt für die Steuerlast verantwortlich sind und nicht die allgemeine Entwicklung bei Immobilienpreisen. Ein solches Modell hat den Vorteil, dass es für Bürger transparenter und für Immobilieneigentümer mit weniger bürokratischen Belastungen verbunden ist. Ferner gibt es dort nicht die automatische Steuererhöhung wie im wertbasierten Scholz-Modell. Die FDPLandtagsfraktion hat einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht, über den zeitnah entschieden wird.

Bedauerlicherweise hat die schwarz-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen bislang im Gegensatz zu verschiedenen anderen westdeutschen Landesregierungen noch keine Anstrengungen unternommen, Verbesserungen vorzulegen. Das Scholz-Modell bedingt eine unnötig komplizierte Berechnungsweise für die neue Grundsteuerermittlung, welche viele Angaben erfordert, die für die Bürger wenig transparent und planungssicher sind und mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden ist. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwiefern die Art und Weise, wie in der Grundsteuererklärung Informationen zu Immobilien abgefragt werden, geeignet sind, die jeweiligen Werte der Immobilien tatsächlich korrekt marktgerecht zu bemessen. Diese Fragestellung ist im Scholz-Modell von großer Relevanz, denn schließlich hat das Bundesverfassungsgericht das alte Bemessungsverfahren für die Grundsteuer gerade deshalb als verfassungswidrig eingestuft, da dieses zwangsläufig in zunehmendem Umfang zu Ungleichbehandlungen durch Wertverzerrungen geführt hat. Das Bundesverfassungsgericht verlangt ausdrücklich kein wertbasiertes Modell, aber wenn sich die Politik zu dessen Einführung entscheidet, dann müssen dessen Berechnungsergebnisse auch Marktgegebenheiten möglichst genau entsprechen.

Ein entscheidender Faktor zur sachgerechten Bemessung des Werts einer Immobilie ist die Restnutzungsdauer. Grundsätzlich wird bei Wohngebäuden von einer Nutzungsdauer von 80 Jahren ausgegangen. Bei einer Kernsanierung wird ferner noch von einer Verlängerung der Nutzungsdauer ausgegangen. Das Ende der Sanierung stellt das neue Baujahr dar. Bei der Ermittlung der Restnutzungsdauer erfolgt zugleich ein Abschlag von 10%, so dass sich eine maximale Nutzungsdauer von 72 Jahren ergibt.

In der Grundsteuererklärung gibt es für Eigentümerinnen und Eigentümer allerdings keine Möglichkeit, als Einzelmaßnahmen durchgeführte (energetische) Sanierungsmaßnahmen anzugeben, auch wenn schrittweise mehrere Sanierungsmaßnahmen durchgeführt wurden, welche in der Summe mit dem Umfang einer Kernsanierung identisch sind.  Das bedeutet: Bei einer ursprünglich im Jahr 1950 erbauten Immobilie, bei welcher 2010 mehrere Sanierungsmaßnahmen (wie beispielsweise Strom-, Wasser-, Abwasserleitungen, Dämmungsmaßnahmen, Fenster, Wände, Decken und Fundamente) im Rahmen einer Kernsanierung gleichzeitig durchgeführt wurden, wird somit von der Finanzverwaltung eine Restnutzungsdauer bis zum Jahr 2082 unterstellt. Wurden bei derselben Immobilie jedoch zwischen 2010 und 2020 mehrere Sanierungsmaßen (Strom-, Wasser-, Abwasserleitungen, Dämmungsmaßnahmen, Fenster, Wände, Decken und Fundamente) nur schrittweise als zeitlich gestreckte Einzelmaßnahmen durchgeführt, unterstellt die Finanzverwaltung eine Restnutzungsdauer bis 2032. Zwei sowohl im Hinblick auf die Lage als auch auf den baulichen Zustand identischen Immobilien wird damit im Rahmen der Grundsteuer ein unterschiedlicher Wert beigemessen. (Fallkonstellation A)

Bei einer ursprünglich im Jahr 1950 erbauten Immobilie, bei welcher seit der Errichtung keine Sanierungen durchgeführt wurden und welche demnach in einem baulich sehr schlechten Zustand ist, wird von der nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung eine Restnutzungsdauer bis zum Jahr 2032 unterstellt. Wurden bei derselben Immobilie im Zeitraum zwischen 2010 und 2020 sogar mehrere Sanierungsmaßen (wie Strom-, Wasser-, Abwasserleitungen, Dämmungsmaßnahmen, Fenster, Wände, Decken und Fundamente) schrittweise in der Form von Einzelmaßnahmen durchgeführt, unterstellt die Finanzverwaltung ebenfalls eine Restnutzungsdauer bis 2032. Zwei zwar im Hinblick auf die Lage vergleichbaren, aber im Hinblick auf ihren baulichen Zustand stark unterschiedlichen Immobilien, wird somit im Rahmen der Grundsteuerfestsetzung derselbe Wert beigemessen. (Fallkonstellation B)

Die Behandlung dieser exemplarisch dargestellten Sachverhalte macht in der eigenen Logik des wertbasierten Scholz-Modells wie viele andere Parameter auch erkennbar keinen Sinn.

Darüber hinaus führt das Scholz-Modell zu ganz offensichtlichen steuerlichen Fehlanreizen bei der dringend erforderlichen energetischen Sanierung der vielen Bestandsgebäude in unserem Land. Nach einer energetischen Kernsanierung wird eine entsprechend höhere Restnutzungsdauer angenommen. Mit steigender Restnutzungsdauer wird im Scholz-Modell der hypothetische kapitalisierte Reinertrag einer Wohnimmobilie mit einem für den Besitzer ungünstigeren Kapitalisierungsfaktor abgezinst (vgl. § 253 Grundsteuer-Reformgesetz i.V.m. Tabelle Anlage 37). Im Ergebnis führt die Kernsanierung im Regelfall zu einem weiteren Anstieg der Grundsteuerlast und damit zu einem negativen steuerlichen Anreiz für die Durchführung von Sanierungen.

Im von der FDP-Landtagsfraktion in das Beratungsverfahren eingebrachten Gesetzesentwurf für ein flächenbasiertes Grundsteuergesetz gibt es diesen eklatanten Fehlanreiz aber nicht: Solange sich bei einer energetischen Kernsanierung die Wohnfläche nicht ändert, bleibt nach abgeschlossener Maßnahme auch der Grundsteuerwert gleich. Für Investitionen in Bestandsimmobilien nachteilige Folgen existieren im Flächenmodell nicht.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie begründet die Finanzverwaltung rein sachlich dieses undifferenzierte Vorgehen wie in Fallkonstellation A in einem ansonsten detailreichen Wertermittlungsmodell?
  2. Welche genauen einzelnen Tatbestandsmerkmale verwendet die Finanzverwaltung zur Abgrenzung einer Kernsanierung von einer ebenfalls grundlegenden zeitlich gestreckten Sanierung, die definitorisch grundsteuerrechtlich nicht als Kernsanierung gilt? (vollständige Darstellung aller einschlägigen Beurteilungskriterien erbeten)
  3. Wie rechtfertigt der Finanzminister fachlich die Ungleichbehandlung von offensichtlich wertgleichen Immobilien in identischer Lage, wenn steuerrechtlich unterschiedliche Restnutzungsdauern unterstellt werden, abhängig davon, ob mehrere identische Sanierungsmaßnahmen im Rahmen einer Kernsanierung zeitgleich erbracht wurden oder die Immobilie schrittweise in mehreren Einzelmaßnahmen wertidentisch saniert worden ist?
  4. Was unternimmt der Finanzminister umgekehrt zur Verhinderung einer sachlich nicht gebotenen Gleichbehandlung von offensichtlich nicht wertgleichen Immobilien, wenn für eine nicht sanierte und eine andere in mehreren Einzelmaßnahmen umfassend sanierte Immobilie mit demselben Ursprungsbaujahr bei identischer Lage von der Finanzverwaltung dieselbe Restnutzungsdauer unterstellt wird? (Fallkonstellation B)
  5. Wie bewertet die Landesregierung die Sinnhaftigkeit des von ihr bislang favorisierten wertbasierten Grundsteuermodells hinsichtlich des aus einer längeren hypothetischen Restnutzungsdauer resultierenden negativen steuerlichen Anreizes für die dringend erforderlichen energetischen Kernsanierungen der zahlreichen Bestandsimmobilien in Nordrhein-Westfalen?

Angela Freimuth
Ralf Witzel