Finanzielle Gewalt in Nordrhein-Westfalen systematisch erfassen und wirksam bekämpfen

I. Ausgangslage

Finanzielle Gewalt ist eine kaum sichtbare, aber äußerst wirksame Form der Machtausübung. Wer seiner Partnerin oder seinem Partner den Zugang zu Geld verwehrt, über Konten bestimmt, Schulden auf deren Namen anhäuft oder eine eigene Erwerbstätigkeit verbietet, beschneidet nicht nur ihre wirtschaftliche Handlungsfreiheit, sondern auch ihre Selbstbestimmung. Für viele Betroffene bedeutet dies, dass sie in einer Abhängigkeitsspirale gefangen bleiben, die ein selbstbestimmtes Leben erschwert oder unmöglich macht.

In Beziehungen, in denen generell Gewalt herrscht, kommt finanzielle Gewalt besonders häufig vor und verstärkt deren Wirkung. Täter halten ihre Opfer dabei nicht durch Zuneigung gefangen, sondern durch Kontrolle über ihr Geld: Sie entziehen ihnen Einkommen, überwachen jede Ausgabe und üben Druck über ihre finanziellen Möglichkeiten aus. Handlungsspielräume, wie zum Beispiel Zugriff auf das eigene Einkommen oder das Recht über Ausgaben mitzuentscheiden, gehen zunehmend verloren. Wer in Teilzeit arbeitet, für Kindererziehung zuständig ist oder gar nicht erwerbstätig sein kann, gerät besonders in Gefahr, in diese wirtschaftliche Abhängigkeit zu geraten oder gar wirtschaftlich entmündigt zu werden. Aus diesen Gründen sind gerade Frauen besonders gefährdet. Ihre finanzielle Abhängigkeit wird zum Hebel, mit dem der Partner Macht ausüben kann.

Die Folgen dieser Gewaltform sind tiefgreifend. Wer nicht über eigenes Geld verfügen darf, kann weder eigenständig eine Wohnung mieten noch eine anwaltliche Beratung bezahlen oder alltägliche Bedürfnisse ohne Genehmigung erfüllen. Die Betroffenen verlieren nicht nur Handlungsspielräume, sondern auch das Vertrauen in ihre eigene Entscheidungsfähigkeit. Finanzielle Gewalt wirkt damit doppelt: Sie hindert an konkreten Schritten in die Unabhängigkeit und untergräbt zugleich die psychische Stabilität.

Gerade weil finanzielle Gewalt oft leise daherkommt, wird sie selten als das erkannt, was sie ist: Gewalt. Anders als sichtbare Verletzungen oder akute Bedrohungen hinterlässt sie keine sofort erkennbaren Spuren. Umso größer ist die Gefahr, dass Betroffene lange schweigen, aus Scham oder weil ihnen die Sprache fehlt, das Erlebte einzuordnen. Trotz dieser gravierenden Folgen ist finanzielle Gewalt bisher kaum im öffentlichen Bewusstsein verankert. Sie wird in Statistiken zur häuslichen Gewalt meist nicht gesondert erfasst, bleibt in Beratungsprozessen oft ein Nebenaspekt und fehlt als klar benannter Tatbestand in rechtlichen Schutzinstrumenten.

In Nordrhein-Westfalen liegen bislang keine empirischen Daten über finanzielle Gewalt, deren Häufigkeit und Dynamik vor. Auch sind die bestehenden Unterstützungsstrukturen zum größten Teil auf physische und psychische Gewalt ausgerichtet, während finanzielle Gewalt bislang nur am Rande thematisiert wird. Obwohl wirtschaftliche Gewalt explizit als Teil von häuslicher Gewalt anerkannt wird, erfolgt keine differenzierte Erhebung dieser Gewaltform. Ohne diese Grundlagen bleibt es jedoch schwierig, passende Schutz- und Präventionsstrategien zu entwickeln.

Zugleich wird deutlich: Betroffene benötigen nicht nur Schutzräume, sondern auch den Zugang zu Beratung, die ökonomische Fragen in den Blick nimmt. Von der Schuldenregulierung bis hin zu rechtlichen Möglichkeiten, sich gegen Missbrauch von Einkommen oder Vermögen zu wehren. Fachkräfte in der Unterstützungsstruktur, Polizei und Justiz brauchen dafür das notwendige Wissen und die Instrumente, um frühzeitig handeln zu können.

Finanzielle Selbstbestimmung ist ein Grundpfeiler von Freiheit. Sie darf nicht durch Gewalt zerstört werden. Wer den Schutz vor häuslicher Gewalt ernst nimmt, muss deshalb alle Dimensionen der Gewalt aufnehmen. Dazu gehört auch finanzielle Gewalt konsequent in den Blick nehmen und Betroffenen Wege in die Unabhängigkeit eröffnen.

Finanzielle Gewalt darf nicht länger ein blinder Fleck in der Gewaltprävention bleiben. Um diesen bislang blinden Fleck zu schließen ist es notwendig, finanzielle Gewalt klar zu definieren, ihre Häufigkeit und Dynamiken systematisch zu erfassen, Fachkräfte für die Problematik zu sensibilisieren und Betroffenen gezielt Unterstützung zu bieten. Denn Freiheit, Gleichberechtigung und Sicherheit bedeuten nicht nur körperliche Unversehrtheit, sondern auch wirtschaftliche Handlungsfähigkeit.

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest:

  • Finanzielle Gewalt ist eine Form häuslicher Gewalt, die Betroffene in wirtschaftliche Abhängigkeit zwingt und ihre Selbstbestimmung massiv einschränkt.
  • Finanzielle Gewalt ist eine Form von Gewalt in engen sozialen Beziehungen, die bislang in der öffentlichen Wahrnehmung und im Hilfesystem unzureichend berücksichtigt wird.
  • Es fehlen bislang systematische Daten und standardisierte Verfahren zur Erfassung von finanzieller Gewalt.
  • Betroffene benötigen spezifische Beratung und Unterstützung, die auch rechtliche, soziale und wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • finanzielle Gewalt als missbräuchliche Beschränkung der finanziellen Unabhängigkeit in den Landesaktionsplan “NRW gemeinsam gegen Gewalt” aufzunehmen.
  • eine landesweite wissenschaftliche Studie mit stichprobenartiger Datenerhebung über Häufigkeit, Erscheinungsformen und Folgen finanzieller Gewalt in Nordrhein-Westfalen in Auftrag zu geben.
  • bestehende Beratungs- und Schutzangebote so auszugestalten, dass Fragen der finanziellen Selbstbestimmung und ökonomische Beratung systematisch berücksichtigt werden.
  • Fortbildungsangebote für Fachkräfte in der Beratungs- und Unterstützungsstruktur sowie Polizei und Justiz zu stärken und weiterzuentwickeln, damit , finanzielle Gewalt frühzeitig erkannt und bearbeitet werden kann.
  • Informationsmaterialien für Betroffene und ihr Umfeld zu entwickeln, die über Erscheinungsformen, Risiken und Handlungsmöglichkeiten finanzieller Gewalt aufklären.
  • zu prüfen, inwieweit Kooperationen mit Banken und Sparkassen mittels Inforationskampagnen oder Ähnliches zur Aufklärung über finanzielle Gewalt beitragen können