Flüchtlingspolitik: Nordrhein-Westfalen muss seinen Beitrag zur Umsetzung des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz leisten
I. Ausgangslage
Seit 2021 steigt die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland erneut deutlich an. Nordrhein-Westfalen hat im Jahr 2022 neben über 220.000 Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine über 50.000 Asylsuchende aufgenommen und damit wesentlich mehr als ganz Frankreich. Von Januar bis August 2023 wurden rund 38.000 Zugänge Asylsuchender in Nordrhein-Westfalen registriert. Die Prognose für das gesamte Jahr liegt bei rund 65.000 Personen. Auswirkungen der aktuellen Situation im Nahen Osten könnten diese Entwicklung noch verstärken.
Diese Zugangszahlen führen zu erheblichen Belastungen für Bund, Länder und Kommunen bei der Durchführung von Asylverfahren und bei der Unterbringung, Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen. Integrationsleistungen können nicht mehr angemessen erbracht werden. Die Aufnahmebereitschaft vor Ort droht weitgehend verloren zu gehen. Vielfach wächst das Gefühl einer Überforderung. Deshalb brauchen wir mehr Ordnung und Verbindlichkeit in der Migrationspolitik. Wir müssen die Einwanderung von Arbeitskräften klar von unseren humanitären Verpflichtungen zur Aufnahme von Schutzbedürftigen unterscheiden und irreguläre Migration von Menschen ohne Aussicht auf ein Bleiberecht reduzieren.
Vor diesem Hintergrund hat die Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder (Ministerpräsidentenkonferenz) am 13. Oktober 2023 einen Beschluss zur Flüchtlingspolitik gefasst. Neben diverser Forderungen an den Bund beinhaltet dieser Beschluss auch Punkte, die in der eigenen Verantwortung der Bundesländer liegen. Erwartungen an den Bund müssen daher mit eigenen Anstrengungen der Länder und damit auch von Nordrhein-Westfalen verknüpft werden. Eine rein höhere finanzielle Beteiligung des Bundes an den Kosten für Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen wäre ansonsten nicht zielführend. Mit dem Gesetzentwurf zur Verbesserung der Rückführung, der u. a. eine Verlängerung des Ausreisegewahrsams von derzeit zehn auf 28 Tage vorsieht, hat die Bundesregierung bereits einen wesentlichen Baustein auf den Weg gebracht. Auch dürften die eingeführten stationären Grenzkontrollen ihre Wirkung entfalten, da sie auch die möglichen Transitländer zu verstärkten Kontrollen motivieren.
Verteilung auf die Kommunen
Aufgrund einer unzureichenden Steuerung des Zuzuges muss aktuell eine hohe Zahl von Menschen ohne dauerhafte Bleibeperspektive in Verantwortung der Kommunen untergebracht werden. Die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen sind mit ihren Finanzmitteln und ihrem Platzangebot in Unterkünften, Kitas und Schulen bereits an ihrer Leistungsgrenze an- gelangt. Puffer- und Reservekapazitäten des Landes würden hingegen die Kommunen bei der Unterbringung entlasten und eine bessere Planung und mehr Vorlauf vor der Verteilung ermöglichen.
Der Asylstufenplan des Landes von 2018 sah vor, dass Asylsuchende mit geringer Bleibeperspektive möglichst bis zum Abschluss des Verfahrens in den Landeseinrichtungen bleiben sollen. Dazu hatte das Land u. a. ein beschleunigtes Asylverfahren für bestimmte Personengruppen eingeführt und die Aufenthaltszeiten in Landeseinrichtungen auf bis zu 24 Monate verlängert. Bei einer längeren Unterbringung in den Landeseinrichtungen sollten vorrangig nur Personen mit Bleibeperspektive den Kommunen zugewiesen werden. Die Städte und Gemein- den könnten so ihr Engagement bei der Integration vor Ort auf die Menschen konzentrieren, die voraussichtlich in unserem Land bleiben werden.
Im August kündigte die Landesregierung jedoch an, vorzeitige Zuweisungen von Geflüchteten aus den Landeseinrichtungen in die Kommunen vorzunehmen. Konkret ging es zunächst um etwa 1.500 Personen. Zudem will die Landesregierung die Wohnverpflichtung in den Landeseinrichtungen perspektivisch auf sechs Monate reduzieren. In der Krise von 2015/2016 hatte das Land hingegen gezeigt, dass rund 80.000 Plätze zur Verfügung gestellt werden konnten.
Eine vergleichbare Anstrengung ist auch jetzt gefordert. Stattdessen müssen die Kommunen mit den angekündigten vorzeitigen Zuweisungen vermehrt auch Personen ohne Bleibeperspektive aufnehmen.
Geldkarte statt Bargeld
Bei den Grundleistungen für Personen, die ein Asylgesuch geäußert haben, sowie für vergleichbare Personengruppen wird nach § 3 Absatz 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zwischen dem notwendigen Bedarf (Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege, Haushaltsgüter) und dem notwendigen persönlichen Bedarf (Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens wie z. B. Freizeit, Kultur, Kommunikation und Mobilität) unterschieden. Die Leistung für den notwendigen persönlichen Bedarf liegt bei 182 Euro im Monat, also rund 42 Euro in der Woche für alleinstehende Erwachsene. In den Landeseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen wird diese Leistung in der Praxis bar als „Taschengeld“ zu einem festen Termin wöchentlich ausgezahlt.
Der Einsatz von guthabenbasierten Kreditkarten wäre eine unbürokratische Alternative zur Bargeldauszahlung. Mit derartigen Karten kann wie mit handelsüblichen Prepaid-Kreditkarten an den entsprechenden Terminals in Geschäften gezahlt werden. Zahlungen sind dabei in der Höhe auf das aufgeladene Guthaben beschränkt. Zudem wären Einschränkungen bei der Auszahlung von Bargeld an Geldautomaten und in Geschäften sowie hinsichtlich bestimmter Online-Zahlungen sinnvoll. So kann die Geldüberweisung an ausländische Empfänger erschwert werden. Damit könnten mögliche Fehlanreize der Bargeldauszahlung für irreguläre Migration
reduziert werden, wie z. B. Zahlungen an Schlepper. Da die Karten zentral aufgeladen werden und keine Zahlstellen in den Unterkünften mehr betrieben werden müssen, sinkt auch der Verwaltungsaufwand.
In Frankreich wird die Geldleistung bereits seit etlichen Jahren auf einer speziellen Geldkarte ausgezahlt. Sie kann für elektronische Käufe in Geschäften oder online genutzt werden. Die Abhebung von Bargeld ist hingegen seit 2019 nicht mehr möglich. In Bayern, Hamburg und Hannover soll eine Geldkarte in entsprechenden Pilotverfahren erprobt werden. Ministerpräsident Hendrik Wüst hat sich in der Rheinischen Post vom 12. Oktober 2023 für die bundesweite Einführung von Bezahlkarten ausgesprochen. Mit Bezahlkarten werde, so Wüst, sichergestellt, dass das Geld auch dahin fließe, wo es hin soll. Das sei ein pragmatischer Ansatz, um Fehlanreize für irreguläre Migration zu reduzieren.
Im Landtag hatte die schwarz-grüne Regierungskoalition jedoch vorher einen entsprechenden Antrag der FDP-Landtagsfraktion (Drs. 18/5837) abgelehnt. So erklärte der Abgeordnete Rauer (Bündnis 90/ Die Grünen), die Mittelverwendung des sog. Taschengelds dürfe nicht „von staatlicher Seite mit Auflagen eingeschränkt werden“, wie es der Antrag fordere, um Fehlanreize zu reduzieren. Auch erklärte das von Ministerin Josefine Paul geführte Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen (MKJFGFI) noch am 5. Oktober 2023, dass das Land derzeit nicht plane Bezahlkarten einzuführen, um Bargeld-Leistungen für Asylbewerber zu ersetzen. Der Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz fordert nun allerdings ebenfalls die Einführung einer bundesweit einheitlichen Bezahlkarte nach schnellstmöglicher Evaluation der in Erprobung befindlichen Systeme. Die schwarz-grüne Landesregierung ist daher aufgefordert, eine entsprechende Karte umgehend in ihrem Verantwortungsbereich umzusetzen.
Ausbau der Zentralen Ausländerbehörden
Das Land muss die Rückführung von ausreisepflichtigen Personen und insbesondere von Straftätern und Gefährdern weiter konsequent verfolgen. In Nordrhein-Westfalen gibt es mit den Städten Bielefeld, Essen und Köln sowie den Kreisen Coesfeld und Unna in jedem Regierungsbezirk eine Zentrale Ausländerbehörde (ZAB). Diese unterstützen als fachlich und personell besonders qualifizierte Behörde kommunale Ausländerbehörden und koordinieren Rückführungen. Sie sind direkt zuständig für Personen in Landeseinrichtungen und deren Rückführung. Das Land erstattet den Städten und Kreisen, die im Auftrag des Landes eine
ZAB betreiben, die für den Betrieb notwendigen Auslagen. Dies betrifft insbesondere die Personalkosten und umfasst eine Summe von aktuell knapp 47 Millionen Euro.
Wenn Rückführungen intensiviert werden, ist auch ein höherer Aufwand für die Koordination und Organisation durch die ZAB zu erwarten. Bereits aktuell müssen die ZAB aber nach Aus- kunft von Praktikern aus der Verwaltung Aufträge ablehnen. Daher müssen die Haushaltsmittel für die ZAB aufgestockt werden. Mit diesen Mitteln können die verantwortlichen Städte und Kreise die Personalstellen für die ZAB ausbauen und so deren Arbeit stärken. Mit einer besseren personellen und materiellen Ausstattung der ZAB könnte die Anzahl der Rückführungen spürbar gesteigert werden.
Sichere Herkunftsstaaten
Neben den Hauptherkunftsländern mit hohen Schutzquoten wie Afghanistan oder Syrien sind unter den Asylanträgen auch viele, die von vornherein sehr geringe Erfolgsaussichten haben. Für diese stellt das Konzept sicherer Herkunftsstaaten ein wichtiges Instrument zur Beschleunigung der Verfahren dar. Für sichere Herkunftsstaaten wird grundsätzlich angenommen, dass dort aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse keine Verfolgung zu befürchten ist. Artikel 16a Absatz 3 Grundgesetz regelt, dass durch ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, entsprechende
Staaten bestimmt werden können.
Für Asylsuchende aus diesen Ländern sind beschleunigte Verfahren nach § 29a des Asylgesetzes mit verkürzten Fristen für Rechtsmittel und in der Regel eine Ablehnung des Asylantrags als „offensichtlich unbegründet“ vorgesehen. Damit sollen Asylanträge, die von vornherein sehr geringe Erfolgsaussichten haben, schneller entschieden werden, so dass im Falle einer Ablehnung auch die Rückkehr schneller erfolgen kann. Aber auch bei Antragstellern aus einem sicheren Herkunftsland findet eine persönliche Anhörung statt. Eine Schutzgewährung ist damit nicht ausgeschlossen. Vielmehr können während der Anhörung Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht werden, die abweichend von der Regelannahme eine Verfolgung im Herkunftsland belegen. Ein Anspruch auf Asyl kann so weiterhin individuell geprüft werden.
Neben den Mitgliedstaaten der EU sind derzeit die Westbalkan-Staaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien sowie Ghana und Senegal als sichere Herkunftsstaaten eingestuft. Die Verknüpfung der Einstufung der Westbalkan-Staaten als sichere Herkunftsländer mit der Westbalkan-Regelung zur legalen Einwanderung für Arbeitskräfte mit einem Arbeitsplatzangebot hat zu einem erheblichen Rückgang der Asylsuchenden aus diesen Staaten geführt und damit gezeigt, dass auf diesem Weg irreguläre Migration drastisch reduziert werden kann. Im Sinne einer geordneten Migrationspolitik sollte
deshalb eine Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsländer verbunden werden mit Migrationsabkommen, die nicht nur Rücküberstellungen erleichtern, sondern auch eine Möglichkeit eröffnen, legal als Arbeitskraft nach Deutschland zu kommen.
Am 18. Januar 2019 beschloss der Deutsche Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung Georgiens, der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten (Bundestag Drs.19/5314). Die Abstimmung im Bundesrat wurde jedoch am 15. Februar 2019 abgesetzt und seitdem nicht wieder auf die Tagesordnung genommen. Diese Vertagung erfolgte, da die in mehreren Bundesländern an der Regierung beteiligten Grünen die Initiative ablehnten und eine Zustimmungsmehrheit nicht zu erwarten war. Die Bundesregierung hat am 30. August 2023 den Entwurf
eines Gesetzes zur Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau als sichere Herkunftsstaaten beschlossen. Dieser bedarf ebenfalls der Zustimmung des Bundesrats.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:
Eine höhere Beteiligung des Bundes an den Kosten für Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen muss verbunden werden mit eigenen Anstrengungen der Bundesländer, Anreize für irreguläre Migration zu reduzieren und die Rahmenbedingungen für die freiwillige Rückkehr und für Rückführungen zu verbessern.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- die vorzeitigen Zuweisungen aus den Landeseinrichtungen zu beenden und nur Menschen mit Bleibeperspektive auf die Kommunen zu verteilen,
- dazu die Kapazität der Landeseinrichtungen vergleichbar 2015/16 zu erhöhen,
- die Bargeld-Auszahlung des notwendigen persönlichen Bedarfs in den Landeseinrichtungen durch die Ausgabe von guthabenbasierten Kreditkarten zu ersetzen,
- die Zentralen Ausländerbehörden (ZAB) weiter auszubauen und die Haushaltsmittel für die ZAB aufzustocken,
- dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau als sichere Herkunftsstaaten im Bundesrat zuzustimmen sowie
- sich auf Bundesebene für eine Einstufung weiterer Staaten wie insbesondere der Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten einzusetzen.