Geburtshilfe sichern – Hebammen unterstützen – selbstbestimmte Geburt für Frauen ermöglichen!
I. Ausganglage
Die geburtshilfliche Versorgung in Nordrhein-Westfalen steht unter wachsendem Druck. In einem Flächenland mit einer stark unterschiedlichen Bevölkerungsstruktur in urbanen und ländlichen Räumen sind funktionierende und gut erreichbare geburtshilfliche Strukturen unabdingbar. Die Versorgungssicherheit und Wahlfreiheit werdender Mütter darf nicht gefährdet werden; weder durch überbordende Bürokratie noch durch wirtschaftliche Fehlanreize oder unattraktive Arbeitsbedingungen für Hebammen.
Der Landesverband der Hebammen warnt allerdings angesichts neuer Vergütungsregelungen vor weiteren Schließungen von Kreißsälen in Nordrhein-Westfalen. Die Vorsitzende des Verbandes sagte dazu: „Die Geburtshilfe in Nordrhein-Westfalen ist ohnehin auf Kante genäht. Mit den ausstehenden deutlichen Verschlechterungen fürchten wir einen Rückzug insbesondere von Beleghebammen.“ Dadurch wäre die Versorgung von Frauen und ihren Neugeborenen in Gefahr bis hin zu Schließungen ganzer geburtshilflicher Stationen, die bislang ausschließlich von Beleghebammen getragen würden. „Wege für Schwangere werden dann noch weiter. Das ist einfach nicht hinnehmbar“, so die Vorsitzende.
Hintergrund ist ein zum 1. November in Kraft getretener Vergütungsvertrag zwischen Krankenkassen und freiberuflichen Hebammen auf Bundesebene. Statt angesichts von Inflation und Kostensteigerungen erhoffter Verbesserungen der Vergütungen erwarten insbesondere die sogenannten Beleghebammen nach Auskunft des Hebammenverbandes Einbußen von 25 bis 30 Prozent. Beleghebammen sind freiberuflich tätig, sie begleiten in Kliniken Geburten, ohne dort angestellt zu sein. Ihre Leistungen rechnen sie direkt mit den Krankenkassen der Mütter ab.
Bisher konnte eine Beleghebamme, wenn sie eine oder auch zwei Frauen gleichzeitig betreut, für jede Frau ihre erbrachte Leistung zu 100 Prozent in Rechnung stellen. Mit dem neuen Hebammenhilfevertrag erhält eine Beleghebamme für die Betreuung einer Frau zukünftig lediglich 80 Prozent der üblichen Vergütung von freiberuflichen Hebammentätigkeiten. Nur wenn die Eins-zu-eins Betreuung durchgehend während zwei Stunden vor und zwei Stunden nach der Geburt stattfindet, erhält die Hebamme für diese vier Stunden einen Zuschlag für die Eins-zu-eins Betreuung.
Betreut die Hebamme aber eine zweite oder in Ausnahmefällen eine dritte Frau innerhalb dieses Zeitraums, fällt nicht nur der Zuschlag komplett weg. Sie erhält darüber hinaus die erbrachten zusätzlichen Leistungen für die zweite oder dritte Frau nur zu 30 Prozent vergütet. Dieses Ergebnis des im Rahmen der Selbstverwaltung von der Schiedsstelle festgesetzten Vertrags bedeutet für Beleghebammen eine deutliche Schlechterstellung und Vergütungseinbußen.
Zwar ist der Anteil von Beleghebammen in Nordrhein-Westfalen geringer als zum Beispiel in Bayern, rund 17 Prozent der Geburten finden aber auch in NRW im Beleghebammensystem statt. Rund 26.000 Geburten seien 2024 von einer Beleghebamme begleitet worden. Mindestens 18 Kliniken in Nordrhein-Westfalen betreiben ihre geburtshilfliche Station ausschließlich mit Beleghebammen. Darunter seien auch große Maximalversorger wie etwa Bonn, Coesfeld, Datteln oder Paderborn. „Wenn sich ihre Arbeit nicht mehr rentiert, werden sich Kolleginnen aus dem Beruf zurückziehen, etwas anderes machen“, befürchtet die Vorsitzende des Landeshebammenverbandes.
Einen Rückzug von Beleghebammen müssten die übrigen Hebammen auffangen. Dies würde wiederum für eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der Versorgung von Frauen sorgen. Seit 2007 sind nach Angaben des Hebammenverbandes bereits rund 60 Kreißsäle in Nordrhein-Westfalen geschlossen worden. Schon jetzt gebe es insbesondere in einigen ländlichen Gebieten erhebliche Engpässe.
Bereits heute denkt aber fast jede zweite Hebamme ans Aufhören. Laut der Hebammenstudie 2025 erwägen rund 44 Prozent der Hebammen einen Berufswechsel. Rund 57 Prozent sehen die Zukunft ihres Berufs eher negativ. „Die Ergebnisse der Studie müssen alle wachrütteln“, meinte dazu ein Präsidiumsmitglied des Deutschen Hebammenverbandes (DHV), weiter: „Sie spiegeln das wider, was Hebammen mir über ihre Situation berichten.“
Rund die Hälfte der Hebammen kritisiert zudem zu viel Bürokratie. Dadurch wird die selbständige Tätigkeit erheblich erschwert. Vor allem aber drückt dies ein Kernproblem bei den Berufen im Gesundheitswesen aus: Eigenverantwortlich tätige Fachkräfte werden durch administrative Vorgaben und Dokumentationspflichten in ihrer eigentlichen Tätigkeit eingeschränkt. Mehr Zeit für Bürokratie bedeutet somit weniger Zeit für den Dienst an den Menschen. Dabei ist jede Minute, bei der Menschen betreut werden, besser investiert als in Dokumentationen. Darüber hinaus befördert übermäßige Bürokratie den Rückzug aus Gesundheitsberufen.
Sowohl die besondere Situation der Beleghebammen aufgrund des neuen Vergütungsvertrags wie auch die generelle Berufsunzufriedenheit vieler Hebammen lassen einen Rückzug von Hebammen aus der klinischen Versorgung befürchten. Damit wäre nicht nur ein flächendeckendes Angebot in der Geburtshilfe in Gefahr, zeitgleich sinkt die Möglichkeit einer selbstbestimmten Geburt für Frauen.
Das Land hat zwar in den letzten Jahren einige Studien zu Themen rund um die Geburt initiiert wie beispielsweise das Forschungsprojekt „Geburtshilfliche Versorgung durch Hebammen in Nordrhein-Westfalen“ (HebAB.NRW). Es fehlt allerdings ein umfassendes Konzept zur geburtshilflichen Versorgung in Nordrhein-Westfalen, das den Ursachen des Rückzugs von Hebammen und der Schließung von geburtshilflichen Abteilungen in Krankenhäusern entgegenwirkt. Aktuell müssen die Rahmenbedingungen für die Tätigkeit von Beleghebammen dringend verbessert werden, um die geburtshilfliche Versorgung in Nordrhein-Westfalen zu sichern.
II. Beschlussfassung
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- ein Konzept zur geburtshilflichen Versorgung in Nordrhein-Westfalen in Zusammenarbeit mit den Beteiligten wie Vertreterinnen der Hebammen und Krankenhäuser zu entwickeln, das an vorherige wissenschaftliche Studien wie beispielsweise das Forschungsprojekt „Geburtshilfliche Versorgung durch Hebammen in Nordrhein-Westfalen“ (HebAB.NRW) anknüpft und konkrete Handlungsvorschläge zur Verbesserung der Versorgung beinhaltet,
- im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung des Landes regelmäßig über die Entwicklung der geburtshilflichen Versorgung und die Situation freiberuflicher Hebammen zu berichten,
- Zu eine Initiative zum Abbau von Bürokratie in der geburtshilflichen Versorgung zu starten, mit der konkret übermäßige bürokratische Vorgaben identifiziert werden und Schritte zu deren Aufhebung vorgeschlagen werden
- ein Beratungsangebot für freiberuflich tätige Hebammen auf Landesebene zu initiieren, das über rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen informiert sowie
- sich gegenüber dem Bundesministerium für Gesundheit dafür einzusetzen, dass Maßnahmen eingeleitet werden, mit denen die Belastungen in Folge des neuen Vergütungsvertrags reduziert werden und die Rahmenbedingungen für die Tätigkeit von Beleghebammen wieder verbessert werden.