Gerade bei knappen Kassen und akutem Personalmangel ist eine vorausschauende Personalbedarfsermittlung essenziell. Für eine funktionsfähige Justiz brauchen wir eine Übersicht der relevanten Daten und Zahlen in allen 28 Berufsgruppen der Justiz

I. Ausgangslage

Der dringende Personalbedarf in allen Berufsgruppen der NRW-Justiz führt nicht nur zu immer längeren Gerichtsverfahren und einem drohenden Kollaps der Justiz, sondern auch zu massiver Frustration bei den Beschäftigten. Der Bund der Richter und Staatsanwälte in Nordrhein-Westfalen hat vor diesem Hintergrund erst im Mai 2024 einen Brandbrief an Ministerpräsident Hendrik Wüst verfasst. Nach Ansicht der berufsständischen Vertretung fehlen in Nordrhein- Westfalen mehr als 400 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Der Deutsche Richterbund mahnte im Juni 2024 für Deutschland einen Bedarf von zusätzlichen 500 Verwaltungsrichtern zur Abarbeitung der Asylprozesse an. Die Verwaltungsrichtervereinigung NRW schätzt für Nordrhein-Westfalen eine Notwendigkeit von 35 zusätzlichen Stellen. Auch der Vorsitzende des Düsseldorfer Oberlandesgerichts nennt die aktuelle Personalsituation eine der drängendsten Fragen der Justiz.

In zahlreichen Anträgen, Kleinen Anfragen und Berichtswünschen hat die FDP-Landtagsfraktion in den letzten beiden Jahren daher die Personalsituation in der Justiz durchleuchtet. Allerdings fehlt bis jetzt ein Gesamtbild über die Personalsituation in den 28 Justizberufen, zumal diese auch nicht im Haushalt abgebildet werden. Für Geschäftsstellenmitarbeiter der Gerichte und Staatsanwaltschaften gibt es beispielsweise überhaupt keine speziell ausgewiesenen Planstellen. Sie sind in die Laufbahngruppe 1.2. des Justizdienstes eingegliedert.

Somit liegen häufig keine Zahlen zum aktuellen Personalbestand einzelner Berufsgruppen vor. Die Frage nach den fehlenden Stellen bei den Geschäftsstellen aller Gerichte und Staatsanwaltschaften beantwortete die Landesregierung lediglich mit den Worten, dass eine „quantifizierte Beantwortung der Frage nicht möglich sei“. „Der Aufwand sei zu groß“.

Für eine vorausschauende Personalplanung ist jedoch als Grundlage die Kenntnis des aktuellen Personalbestands der einzelnen Justizberufe zwingend erforderlich. Deutlich wird die Relevanz einer professionellen Personalbedarfsermittlung bei Betrachtung der 28 Berufsbildern in der Justiz: Zu diesen Berufen gehören der Amtsanwalt (m/w/d), Buchhalter (m/w/d), Dipl.-Rechtspfleger (m/w/d), die Fachkraft des ambulanten Sozialen Dienstes (m/w/d), der Gerichtsvollzieher (m/w/d), Fachinformatiker (m/w/d), die IT- Führungskraft (m/w/d), der IT-Administrator (m/w/d), Justizfachangestellter (m/w/d), Justizfachwirt (m/w/d), Justizhelfer (m/w/d), Richter (m/w/d), Staatsanwalt (m/w/d), Verwaltungsinformatiker (B.Sc.) (m/w/d), Wirtschaftsreferent (m/w/d), Arzt (m/w/d), Beamter im Allgemeinen Vollzugsdienst (m/w/d), Beamter des Verwaltungsdienstes 1.2 (m/w/d), Beamter im Werkdienst (m/w/d), Diplom-Verwaltungswirt (FH) (m/w/d), Lehrer (m/w/d), Mitarbeiter im Krankenpflegedienst (m/w/d), Mitarbeiter im Sozialdienst (m/w/d), Pädagoge im Erziehungswissenschaftlichen Dienst (m/w/d), Psychologe (m/w/d), Seelsorger (m/w/d), Vollzugsjurist (m/w/d).

Der Personalmangel in den einzelnen 28 Berufsgruppen hat unterschiedliche Gründe. Zum Beispiel sind Planstellen nicht vorhanden, weil vorschnell Stellen für Verwaltungsrichter für Asylverfahren abgebaut wurden und keine weitsichtige Personalpolitik betrieben wurde.  Hingegen können vorhandene Planstellen wegen unzureichender Bezahlung, mangelnder Wertschätzung oder fehlender Bewerber nicht besetzt werden. Nur selten werden Stellen mit KW-Vermerk in neue Stellen umgewandelt, indem KW- Vermerke gestrichen werden. Einige Berufe, zum Beispiel im Strafvollzug, leiden unter zu geringer Attraktivität, um ausreichend Bewerber zu gewinnen. Das hat zur Folge, dass Beschäftigte den hohen Belastungen nicht mehr standhalten und es zu erheblichen Krankheitsfällen und Fehlzeiten kommt.

Besonders enttäuschend für die Vertreter der einzelnen Justizberufe – abgesehen vom Bereich der Staatsanwaltschaft – ist die fehlende Anerkennung des dramatischen Personalmangels durch den Justizminister. Das Ministerium beschränkt sich darauf, regelmäßig auf die vermeintlich hohen Besetzungs- und niedrigen Belastungsquoten zu verweisen. Dabei ist offensichtlich, dass die Berechnung des Personalbedarfs nach dem 20 Jahre alten PEBB§Y System überholt ist. Aus diesem Grunde hat die Justizministerkonferenz eine neue Vollerhebung für die ordentliche Gerichtsbarkeit und die Staatsanwaltschaften für das Jahr 2027 beschlossen.

Dass die Berechnungen nicht mehr zeitgemäß sind und an der Realität vorbeigehen, lässt sich am Beispiel der Ordentlichen Gerichtsbarkeit verdeutlichen. Die Planstellen liegen hier deutlich über dem durch PEBB§Y berechneten Personalbedarf. Die tatsächlich kontingentierten Stellen liegen dazwischen.

Da das aktuelle Personalberechnungssystem bekanntermaßen keine belastbaren Zahlen mehr hervorbringt, ist es unangebracht, sich darauf zu berufen. Vielmehr müssen in allen 28 Berufsgruppen umfassende Daten mit allen Komponenten ermittelt werden, die für eine vorausschauende Personalplanung maßgeblich sind. Dabei geht es insbesondere um die vorhandenen Planstellen, die kontingentierten Stellen, Ausfallzeiten (z.B. durch Krankheit, Elternzeit), die stellenbasierte Belastungsquote sowie die personalverwendungsbasierte Belastungsquote. Ein Abwarten bis zu einer Neuevaluierung im Jahr 2027 ist angesichts der prekären personellen Situation im Justizbereich nicht zumutbar.

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest:

  • In vielen Justizberufen herrscht akuter Personalmangel.
  • Der bestehende Personalmangel wird im Haushalt nicht korrekt abgebildet, da das für die Berechnung verwendete System PEBB§Y veraltet ist.
  • Mangels vorhandener Zahlen gibt es keine Aufstellung über das vorhandene und tatsächlich benötigte Personal und den darauf resultierenden Personalbedarf in den 28 einzelnen Berufsgruppen der Justiz in Nordrhein-Westfalen.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • eine Aufstellung aller tatsächlich besetzten und im Vergleich dazu tatsächlich benötigten Stellen in allen 28 Berufen der Justiz anzufertigen, um anhand der ermittelten Zahlen die tatsächliche stellenbasierte und personalverwendungsbasierte Belastungsquote zu berechnen;
  • die Planstellen für die 28 Justizberufe neu zu bestimmen;
  • eine Personalbedarfsermittlung für sämtliche Justizberufe für die Jahre 2025, 2026, 2027, 2028 und 2029 aufzustellen, in der auch sämtliche altersbedingte Abgänge aufgrund des demographischen Wandels berücksichtigt werden, um gegensteuern zu können.