Die Gewinnung heimischer Gasvorkommen für mehr Versorgungssicherheit und Klimaschutz ergebnisoffen prüfen
I. Ausgangslage
Die Gasknappheiten an den europäischen Energiemärkten offenbaren mehr als deutlich, dass der groß angelegte Import von Energierohstoffen mit erheblichen wirtschaftlichen und politischen Risiken verbunden ist. Ein günstiger Importrohstoff von heute kann die nächste wirtschaftliche Abhängigkeit von morgen sein. Neben der Diversifizierung von Lieferbeziehungen bei dem Import von Erdgas kann insbesondere die Erschließung und Förderung heimischer Gasvorkommen einen Beitrag leisten, wirtschaftliche Abhängigkeiten zu reduzieren und die Versorgung der heimischen Industrie und Wirtschaft zuverlässiger auszugestalten. Die Förderung von heimischen Gasvorkommen können darüber hinaus einen Beitrag zum weltweiten Klimaschutz leisten. Denn: Erdgas wird häufig im Ausland unter deutlich weniger strengen Umwelt- und Klimaschutzvorgaben gefördert. Mit dem Transport von verflüssigtem Erdgas (LNG) per Schiff über die Weltmeere sind zusätzlich hohe CO2-Emissionen und Umweltkosten verbunden. Zu einem verantwortungsvollen Klimaschutz gehört, mit dem Konsum von Erdgas verbundene Umwelt- und Klimaprobleme nicht in andere Weltregionen auszulagern, sondern einen eigenen Beitrag dazu zu leisten, den Abbau möglichst umwelt- und klimaschonend auszugestalten.
Mit Blick auf die anstehende Füllung der Erdgasspeicher über den Sommer im Jahr 2023 besteht nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur das Risiko einer Angebots-Nachfrage-Lücke von bis zu 30 Milliarden Kubikmetern Erdgas in Europa. Alle Energiemarktszenarien gehen davon aus, dass selbst bei einem erfolgreichen Ausbau der Erneuerbaren Energien und neuer Energieinfrastruktur für die sichere Versorgung von Wirtschaft, Industrie und Haushalten in den nächsten zehn Jahren weiter erhebliche Mengen an Gas benötigt werden. Angesichts der ernsten Lage braucht es ein ideologiefreies Nachdenken über alle Alternativen, um die Gasversorgung für Industrie, Wirtschaft und Haushalte zuverlässiger und klimafreundlicher abzusichern. Dazu gehört zwangsläufig also auch die Aufsuchung und Gewinnung heimischer Gasvorkommen neu zu evaluieren und ergebnisoffen zu prüfen.
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) hat 2016 die förderbaren Schiefergasvorkommen in Deutschland auf 380 bis 2.340 Milliarden Tonnen, im Mittel auf 800 Milliarden Kubikmeter, geschätzt. Würde diese Menge gefördert, könnte Deutschland etwa zehn Jahre lang aus eigenen Quellen versorgt werden. Auch in Nordrhein-Westfalen treten sowohl Kohleflözgas sowie Schiefergas als unkonventionelles Erdgasvorkommen auf. Nordrhein-Westfalen verfügt laut Angaben des Geologischen Dienstes des Landes über Ressourcen von mindestens 2.200 Kubikmetern Kohleflözgas, von denen voraussichtlich zehn Prozent förderbar sind. Diese können gänzlich ohne Einsatz umstrittener Fördertechnologien gewonnen werden. Hinzukommen noch nicht erkundete Mengen von Schiefergas in Schichten des Unterkarbons, des Juras, der Unterkreide sowie in Nebengesteinen der Steinkohle, die mittels Frack-Technik gewonnen werden können. Dabei wird zu Förderzwecken tief bis in das Schiefergestein gebohrt. Unter hohem Druck wird Wasser in die Tiefe gepumpt, so dass das Schiefergestein aufbricht und das darin eingeschlossene Gas freigibt. Dafür werden dem Wasser auch in geringem Maße Chemikalien beigemischt. Das mit Gas versetzte Wasser wird anschließend wieder an die Oberfläche gepumpt.
Auch wenn diese Fördertechnologie in vielen anderen Ländern seit Jahren angewendet wird, wurde aufgrund offener Fragen und fehlender Daten bezüglich der Umwelteinwirkungen und möglicher Risiken auf Bundesebene die Genehmigung kommerzieller Fördervorhaben zur Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas in unkonventionellen Lagerstätten im Jahr 2017 verboten. Ebenfalls wurde in Nordrhein-Westfalen in dem am 8. Juli 2017 in Kraft getretenen Landesentwicklungsplan (LEP) eine Zielformulierung aufgenommen, mit der die Gewinnung von Schiefergas ausgeschlossen wird. Bereits im Jahr 2015 wurde von der damaligen Landesregierung eine mögliche Neubewertung der Frack-Technik nicht ausgeschlossen, „sofern Risiko- und Gefährdungspotentiale von Frackingnutzungen zukünftig wissenschaftlich und technologisch ausreichend abgeschätzt bzw. beherrscht werden können.“ Trotz des grundsätzlichen Verbots auf Bundesebene wurde mit Blick auf unkonventionelle Fracking- Vorhaben gemäß § 13 a Abs. 6 Wasserhaushaltsgesetz (WHG)eine unabhängige Expertenkommission eingesetzt, die den Bundestag und die Öffentlichkeit regelmäßig über Erprobungsmaßnahmen, den Stand der Technik und neu gewonnene Erkenntnisse zu Umweltauswirkungen informieren sollte. Ihren Abschlussbericht hat die Expertenkommission im Jahr 2021 gemäß § 13 a Abs. 7 WHG vorgelegt, damit der Bundestag aufbauend auf neuen Erkenntnissen die Angemessenheit des Verbots überprüfen kann.
Die Expertenkommission kommt in ihrem Abschlussbericht zu dem Schluss, „dass sich die Umweltrisiken aufgrund von Fracking unkonventioneller Lagestätten durch eine angepasste Steuerung und Überwachung der Maßnahmen minimieren lassen.“ Zentrale Voraussetzungen für die Risikominimierung bei der Anwendung sei dabei, dass die beste verfügbare Technologie angewendet werde und ein strenges Monitoring vor, während und nach der Betriebsphase stattfinde. Dazu gehört die Beteiligung aller Stakeholder auf allen Planungsebenen, Baseline Erhebungen und ein Monitoring aller relevanten Umweltindikatoren. Auf Basis weltweiter technischer und wissenschaftlicher Fortschritte und entsprechend weiterentwickelter Regelwerke bei Zusammensetzung der Bohrflüssigkeiten, des Bohrplatzdesigns und der Bohrlochsicherheit hält die Expertenkommission eine Überprüfung des Verbots für angemessen.
Zu möglichen Risiken der Schiefergasgewinnung hat der Geologische Dienst NRW bereits im Jahr 2016 festgehalten, dass das Risiko durch Frackmaßnamen induzierte Erdbeben im größten Teil möglicher Explorationsgebiete in Nordrhein-Westfalen als sehr gering eingeschätzt werden kann. Beeinträchtigungen des Grundwassers durch Bohrflüssigkeiten könnten bei den in Nordrhein-Westfalen vorliegenden geologischen Verhältnissen weitestgehend ausgeschlossen werden. Auch der Austritt von Methan an die Erdoberfläche oder in grundwasserführende Schichten als Folge von Frackmaßnahmen sei aufgrund der geologischen Verhältnisse als wenig wahrscheinlich einzuschätzen.
Nur auf Basis gesicherter Untersuchungsergebnisse sind sachliche und rechtssichere Entscheidungen möglich, ob und unter welchen Bedingungen die Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas in unkonventionellen Lagestätten möglich ist. Auch die Ablehnung der Erschließung und Förderung braucht eine gesicherte Datengrundlage. Die neuen Erkenntnisse müssen die Grundlage für eine sachlich fundierte Neubewertung des Fracking-Verbots sein. Dafür sollten die notwendigen geophysikalischen Untersuchungen, Messungen und Erprobungen jetzt aktiv politisch eingeleitet und wissenschaftlich begleitet werden. Erprobungen sind auch jetzt schon im Rahmen des WHG möglich.
In der aktuellen Situation der Knappheiten am Gasmarkt müssen alle denkbaren Optionen geprüft werden, um einen Teil des eigenen Gasbedarfs zu decken. Experten rechnen damit, dass nach einer möglichen Aufhebung des Fracking-Verbots Deutschland 10 bis 15 Prozent seines jährlichen Bedarfs aus heimischen Vorkommen decken könnte. Vor allem die weltweite Nachfrage nach Flüssiggas wird in den kommenden Jahren weiter steigen und entsprechend die Preise. Nicht nur aus Gründen der Versorgungssicherheit, sondern auch für stabile Preise spricht alles dafür eine Neubewertung des Verbots der Erschließung und Förderung unkonventioneller Gasvorkommen vorzunehmen.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:
- Die Erschließung und Förderung heimischer Gasvorkommen können einen Beitrag dazu leisten, wirtschaftliche Abhängigkeiten zu reduzieren und die Versorgung der heimischen Industrie und Wirtschaft zuverlässiger auszugestalten.
- Auf Basis technischer und wissenschaftlicher Fortschritte und entsprechend weiterentwickelter Regelwerke ist die Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas in unkonventionellen Lagerstätten mittels Frack-Technik neu zu evaluieren und ergebnisoffen zu prüfen.
- Die Umweltrisiken bei der Aufsuchung und Gewinnung unkonventioneller Lagestätten lassen sich durch eine angepasste Steuerung und Überwachung der Maßnahmen deutlich minimieren. Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die Angemessenheit des Verbots von Fracking-Maßnahmen gemäß § 13 a Abs. 1 Satz 1 Nr.1 WHG neu evaluiert und ergebnisoffen geprüft wird.
- Forschung und Erprobungsmaßnahmen nach § 13 a WHG in Nordrhein-Westfalen möglich zu machen und zu unterstützen.
- eine Potentialstudie für die Gewinnung und Nutzung von Erdgas in unkonventionellen Lagerstätten in Nordrhein-Westfalen in Auftrag zu geben.
Henning Höne
Marcel Hafke
Dietmar Brockes
und Fraktion