Großes, bisher kaum genutztes Potential: Den Weg für Aquaponik in Nordrhein-Westfalen ebnen

I. Ausgangslage

Aquaponik, eine innovative Verbindung von Fischzucht und Pflanzenanbau, gewinnt in Nordrhein-Westfalen zunehmend an Bedeutung. In einer Zeit, in der nachhaltige und ressourcenschonende Landwirtschaft immer wichtiger wird, bietet diese Methode eine vielversprechende Alternative zu herkömmlichen Anbau- und Zuchtformen.

In Aquaponik-Anlagen wird das Wasser aus den Fischbecken, das mit wertvollen Nährstoffen angereichert ist, direkt für den Pflanzenanbau genutzt. Die Pflanzen filtern das Wasser und geben es gereinigt zurück, wodurch ein Kreislaufsystem entsteht, das kaum externe Eingriffe benötigt. Ein großer Vorteil ist die erhebliche Wasserersparnis: da das Wasser innerhalb des Systems zirkuliert, wodurch Verdunstung und Abfluss minimiert werden, wird bis zu 90 Prozent weniger Wasser benötigt. Aquaponik ermöglicht zudem die gleichzeitige Produktion von Fisch und Pflanzen, was die Nahrungsmittelvielfalt erhöht. In Aquaponik-Systemen können Fische wie Tilapia, Karpfen, Welse und Forellen sowie Pflanzen wie Salat, Tomaten, Kräuter (z. B. Basilikum, Minze, Koriander etc.), Paprika, Kohlarten und Gurken gezüchtet werden. Durch die Kombination von Fisch- und Pflanzenproduktion können höhere Erträge erzielt werden, da die Nährstoffe aus dem Fischkot das Pflanzenwachstum fördern. Umweltfreundlich ist Aquaponik ebenfalls, da sie im Vergleich zu herkömmlichen Methoden eine geringere Umweltbelastung verursacht. Die Zucht von Fischarten in kontrollierten Umgebungen trägt zur Reduzierung der Überfischung bei, während die Möglichkeit, in der Nähe von Verbrauchern zu produzieren, die Transportwege verkürzt und den Energieaufwand für Kühlung minimiert.

Besonders in städtischen Gebieten bietet sie eine Chance, die lokale Lebensmittelproduktion zu fördern. Dabei werden weniger Flächen benötigt, da die Systeme vertikal oder auf begrenztem Raum betrieben werden können. Diese ressourcenschonende Methode fördert die Kreislaufwirtschaft, indem die Fischausscheidungen als Nährstoffe für die Pflanzen genutzt werden.

Aquaponik bietet eine innovative Grundlage für Geschäftsmodelle im Bereich der urbanen Landwirtschaft. Besonders in Städten kann diese Technologie genutzt werden, um frische, lokale Lebensmittel mit einem nachhaltigen Ansatz zu produzieren. Für Start-ups im Bereich Agrartechnologie ist Aquaponik ein spannendes Geschäftsfeld mit Zukunftspotenzial.

Aquaponik stellt auch eine attraktive Alternative für professionelle Landwirte und Gärtner dar, die nach umweltfreundlicheren und ressourceneffizienten Methoden suchen. Der geringere Wasserverbrauch und der Verzicht auf zusätzliche Düngemittel sprechen besonders in Regionen mit Wasserknappheit oder hohen Umweltauflagen für den Einsatz dieser Technologie.

Vorbilder weisen den Weg

Für das Gelingen solcher geschlossenen Kreislaufwirtschaftssysteme gibt es auch bereits gute Beispiele.

Die ECF-Farm (Efficient City Farming) in Berlin ist eines der bekanntesten Aquaponik-Projekte in Europa und liegt in Berlin- Schöneberg auf dem Gelände des ehemaligen Berliner Güterbahnhofs. Die ECF-Farm hat sich auf die Produktion von frischem Fisch (Barsch) und Kräutern (insbesondere Basilikum) spezialisiert und nutzt modernste Aquaponik-Technologie. Dabei werden die Abwässer der Fischzucht direkt für den Pflanzenanbau genutzt, um eine nahezu abfallfreie und ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft zu schaffen. Die ECF-Farm bietet ihre Produkte direkt über Märkte, Einzelhändler und Restaurants in Berlin an. Darüber hinaus steht sie für nachhaltige Stadtentwicklung und urbane Landwirtschaft. Die Farm ist nicht nur ein kommerzieller Betrieb, sondern auch ein Vorbild für andere Städte, wie urbane Räume für die Produktion von Lebensmitteln genutzt werden können. ECF setzt auf kurze Transportwege, minimalen Ressourcenverbrauch und eine enge Verbindung zwischen Produzenten und Konsumenten.

In Nordrhein-Westfalen gibt es auch ein Vorzeigeprojekt für nachhaltige Lebensmittelproduktion: die Aquaponik Stadtfarm in Dortmund. Das Projekt zeigt, wie auf wenig Raum eine nachhaltige Produktion von Lebensmitteln direkt in der Stadt erfolgen kann. Es liefert frische Fische und Gemüse, die sowohl lokal vermarktet als auch in Gemeinschaftsprojekten eingesetzt werden. Die Stadtfarm ist auch ein Bildungsprojekt, das Menschen für die Themen Nachhaltigkeit, Umweltbewusstsein und moderne Agrartechnologie sensibilisieren will.

Bürokratie bremst Fortschritt aus

Aquaponik steht trotz ihrer nachhaltigen Vorteile in Nordrhein-Westfalen leider noch vor einigen bürokratischen Hürden, die ihren Ausbau und Einsatz erschweren. Aquaponik-Anlage sind hybride Einrichtungen, die sowohl landwirtschaftliche als auch gewerbliche Ziele verfolgen. Insbesondere in Gebieten, die bislang nicht für landwirtschaftliche Zwecke oder für Fischzuchtbetriebe vorgesehen sind, erschweren bestehende Vorgaben und Strukturen zum Planungsrecht die Einordnung und die Unsicherheit, ob und wie ein Anwendungsfall des § 62 BauO NRW und damit Genehmigungsfreiheit vorliegt.

Diese Unsicherheiten und im Zweifel auch unnötig bürokratische Genehmigungsverfahren belasten das Potential der innovativen Technologie, obwohl die Vorteile auf der Hand liegen - Aquaponik beansprucht im Vergleich zu konventionellen Landwirtschaftsbetrieben weniger Flächen.

Die BauO NRW muss neue technologische Entwicklungen anerkennen und Anpassungsschwierigkeiten verringern. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, die Genehmigungsverfahren grundlegend zu vereinfachen.

Die Landesbauordnung NRW sieht in der sog. Innovationsklausel ausdrücklich eine unkomplizierte, einfache Nutzungsänderung für Leerstände vor, indem eine neue Nutzung bei der Kommune angemeldet und ohne einen Widerspruch binnen Monatsfrist für die Dauer von zurzeit 12 Monaten als genehmigt gilt. Sinnvollerweise sollte (nicht nur für Aquaponik-Anlagen) die Dauer der Genehmigung auf 24 Monate verlängert werden, um für Investoren und Betreibern die Planungssicherheit und damit Attraktivität solcher Projekte zu erhöhen. Unser Ziel muss sein, überall bürokratische Hürden abzubauen und die Rahmenbedingungen für innovative Technologien wie beispielsweise Aquaponik in Nordrhein-Westfalen zu fördern und zu verbessern, um Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung auch in der Landwirtschaft weiter voranzutreiben. Eine gezielte Anerkennung von Aquaponik-Anlagen als innovative Bauvorhaben würde die Rahmenbedingungen für Gründer und Investoren im Bereich nachhaltiger Landwirtschaft verbessern.

In einem darauf abgestellten Verfahren könnten schlanke und transparente gesetzliche Regelungen spezifische baurechtliche Anforderungen, die für Aquaponik-Anlagen relevant sind (z.B. Wassermanagement, Emissionsschutz) berücksichtigen, ohne die Anforderungen an Sicherheit und Umwelt zu vernachlässigen. Die Förderung solcher Technologien entspricht den landespolitischen Zielen von Klimaschutz und Nachhaltigkeit.

In NRW existieren derzeit keine einheitlichen digitalen Portale, die die Dokumentationsanforderungen für tierschutz-, lebensmittel- und wasserrechtliche Vorgaben zentralisieren. Betriebe müssen ihre Nachweise dezentral und oft in redundanter Form bei verschiedenen Behörden und Stellen einreichen (z. B. Veterinärämter, Lebensmittelüberwachungsbehörden, Wasserbehörden). Die Kommunikation erfolgt häufig analog oder über nicht vernetzte Systeme, was zu erhöhtem Aufwand und langen Bearbeitungszeiten führt. Geschlossene Systeme wie Aquaponik-Anlagen werden trotz ihres geringen Risikos für Umwelt und Gesundheit ähnlich streng wie offene Fischzuchten oder landwirtschaftliche Großbetriebe behandelt. Es fehlt eine klare Differenzierung zwischen kleinen, innovativen Betrieben mit geschlossenen Kreisläufen und traditionellen Produktionsformen. HACCP-Konzepte (Hazard analysis and critical control points – Konzepte) sind derzeit für alle Betriebe verpflichtend, die Lebensmittel produzieren oder verarbeiten, unabhängig von ihrer Größe. Kleine Aquaponik-Anlagen stehen vor der Herausforderung, eigenständig ein vollständiges HACCP System zu entwickeln, was sowohl kosten- als auch zeitintensiv ist. Es fehlen branchenspezifische Vorlagen oder Leitfäden, die speziell auf die Bedürfnisse und Herausforderungen kleiner Aquaponik-Betriebe zugeschnitten sind.

Wir brauchen landwirtschaftliche Innovationshubs in Nordrhein-Westfalen. Dafür wollen wir die Zusammenarbeit von Forschung, Landwirtschaft und Start-ups fördern, um unser Bundesland zu einer Modellregion für die Agrartechnologie zu machen. Dafür setzen wir auf eine wirtschaftliche und wissenschaftliche „Freiheitszone“: In der Region soll es begrenzte regulatorische Freiräume geben für Forschung, Entwicklung und Nutzung von nachhaltigen und ressourcenschonenden Landwirtschaftsmodellen wie dem Aquaponik.

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest:

  • Aquaponik gewinnt in Nordrhein-Westfalen zunehmend an Bedeutung als innovative und nachhaltige Methode der Lebensmittelproduktion, insbesondere im städtischen Bereich.
  • die Kombination von Fischzucht und Pflanzenanbau in einem geschlossenen Kreislaufwirtschaftssystem bietet eine ressourcenschonende Alternative zu traditionellen landwirtschaftlichen Verfahren.
  • Aquaponik spart im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft bis zu 90 % Wasser und reduziert den Einsatz von Düngemitteln.
  • Aquaponik-Anlagen im urbanen Umfeld sind zugleich auch ein Bildungsprojekt, das Menschen für die Themen Nachhaltigkeit, Umweltbewusstsein und moderne Agrartechnologie sensibilisieren kann.
  • Aquaponik-Anlagen stoßen in Nordrhein-Westfalen auf erhebliche bürokratische Hürden, insbesondere bei Genehmigungsprozessen und Nutzungsänderungen
  • Die bestehende Bauordnung ist nicht ausreichend auf moderne, nachhaltige Technologien wie Aquaponik ausgelegt.
  • Start-ups und innovative landwirtschaftliche Projekte werden durch komplizierte Regulierungen in ihrer Entwicklung gehemmt.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • klarzustellen, dass nach § 62 „Verfahrensfreie Bauvorhaben“ in der Bauordnung NRW auch die Errichtung von Aquaponik-Anlagen verfahrensfrei sind, hilfsweise dem Parlament einen Vorschlag zur Anpassung der Landesbauordnung NRW vorzulegen.
  • die Vorgaben zur Nutzungsänderungen im städtischen Bereich zu liberalisieren. Wenn eine Kommune nicht innerhalb von einem Monat widerspricht, gilt eine neue Nutzung für die Dauer von zwei Jahren als genehmigt.
  • landwirtschaftliche Förderprogramme des Landes zusammenzufassen und für die Nutzerinnen und Nutzer einfach und digital handhabbar zu machen, sodass auch Aquaponik-Landwirte davon profitieren können.
  • die Entwicklung eines digitalen Portals voranzutreiben, in dem Betriebe alle tierschutzlebensmittel- und wasserrechtlichen Dokumentationen zentral und standardisiert erfassen können.
  • die Einführung von risikobasierten Dokumentationspflichten, bei denen kleine, geschlossene Systeme wie Aquaponik-Anlagen weniger strenge Anforderungen erfüllen müssen, da diese weniger Umwelt- und Gesundheitsrisiken bergen.
  • einen standardisierten HACCP- Musterplan speziell für kleine Aquaponik-Anlagen zu entwickeln zur Erleichterung der Umsetzung und Reduzierung des administrativen Aufwands.
  • in bestimmten Regionen des Landes so genannte Freiheitszonen einzurichten, in denen ein geringerer Regelungsgrad herrscht zur Erprobung und Förderung neuartiger und innovativer Landwirtschaftsmodelle und somit die Zusammenarbeit von Forschung, Landwirtschaft und Wirtschaft fördern.
  • einen praxisnahen Leitfaden für kommunale Genehmigungsbehörden zu erarbeiten. Dieser Leitfaden soll Klarheit über technische Anforderungen und rechtliche Regelungen schaffen und so den Verwaltungsaufwand und Unsicherheiten reduzieren.
  • zur Stärkung der Wissensbasis und zur Unterstützung von Start-Ups und Landwirtinnen und Landwirten ein landesweites Netzwerk aufzubauen, das Forschungseinrichtungen, Aquaponik-Betriebe und kommunale Fachleute verbindet. Ziel ist es Good-Practice-Beispiele und neuste Forschungserkenntnisse auszutauschen und den Zugang zu Expertise zu erleichtern.