„Heißer Herbst“: Hilfe gegen Hass und Hetze
I. Ausgangslage
Unsere kommunale Demokratie lebt von den Männern und Frauen, die sich mit Herzblut haupt- und ehrenamtlich für ihre Gemeinde engagieren. Dieses Engagement wird allerdings gefährdet, indem rechte und linke Kreise zu einem „heißen Herbst“ und einem „Winter der Wut“ aufrufen und versuchen, auch kommunale Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger zu verunsichern. Auch wenn sich die Forderungen rechter und linker Kreise unterscheiden, ist zu befürchten, dass zukünftig noch mehr Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker mit Hetze bedroht werden. Denn schon in den letzten Jahren hat der Druck auf die Kommunalpolitik erschreckende Ausmaße erreicht. Das zeigt eine aktuelle Umfrage des Bundeskriminalamtes unter Bürgermeistern und Landräten in Zusammenarbeit mit den Kommunalen Spitzenverbänden.
Fast jeder Zweite der Befragten wurde im letzten halben Jahr Opfer von Hass und Hetze. Die Familie jedes zehnten Befragten wurde angefeindet. Die Studie zeigt ebenfalls auf, dass Männer und Frauen gleichermaßen betroffen sind, jedoch die Familien von Amtsträgerinnen öfters angefeindet werden. Das Diskussionsklima im Netz wird zunehmend als verroht wahrgenommen. Ein an der Studie Beteiligter fasst seine Erfahrungen wie folgt zusammen: „Es ist in den letzten Jahren ein enormer Druck auf das Amt entstanden. Die Schamgrenze ist in den letzten Jahren deutlich gesunken. Ich kenne das aus meinen Anfangsjahren nicht.“
Betroffen machen die Angriffe der letzten Jahre: Zu denken ist exemplarisch an den ehemaligen Bürgermeister von Altena: Nach seiner Entscheidung, 100 Flüchtlinge in seiner Kommune in den Jahren 2016/17 aufzunehmen, bemerkte er einen schleichenden Prozess im Umgang mit ihm. Zunächst sei er von Einzelnen nicht mehr gegrüßt worden, dann wurden seine Frau und Kinder angegangen. Als rechte Gewalttäter ein örtliches Flüchtlingsheim anzündeten, zweifelte der ehemalige Bürgermeister zunächst an seinem Kurs. In 2017 kam es dann zu dem abscheulichen Gewaltausbruch, in dessen Rahmen er unvermittelt mit einem Messer in einem Schnellimbiss attackiert wurde. Er überlebte dank der Zivilcourage und des schnellen Eingreifens anderer Gäste und Mitarbeiter des Schnellimbiss.
Die o.g. Studie des BKA macht auf eine weitere Folge für die kommunale Demokratie aufmerksam. Denn wenn Hass und Hetze zunehmen, beginnen Betroffene über ein Ende ihrer politischen Arbeit nachzudenken. Mehr als jeder zehnte Betroffene hat laut der Studie schon einmal eine Amtsniederlegung erwogen bzw. angegeben, nicht erneut zu kandidieren. Das stellt in einem Umfeld wie der Kommunalpolitik, die darauf angewiesen ist, dass sich engagierte und überzeugende Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Profilen zur Wahl stellen, eine geradezu strukturelle Gefahr dar. In der Umfrage gab eine Person zu Protokoll: „Wenn die Entwicklung so weitergeht, werden sich keine geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten für das Amt mehr finden, mit unmittelbaren (negativen) Auswirkungen auf die Entwicklung unseres Landes.“
Der Oberbürgermeister von Leipzig und Präsident des Deutschen Städtetags, Burkhard Jung, fasste bei einer Podiumsdiskussion die Bedrohungslage seit 2015 prägnant zusammen: Viele seiner Amtskolleginnen und Amtskollegen wären inzwischen der traurigen Ansicht, dass Anfeindungen zum Job dazu gehören würden.
Schon jetzt muss von einem enormen Dunkelfeld ausgegangen werden: Die BKA-Studie kontatiert ein eklatantes Missverhältnis zwischen Hassverbrechen und deren Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Zur Anzeige gebracht wurden nur 14 Prozent der zuletzt persönlich erlebten Vorfälle und 28 Prozent der Vorfälle gegen Familienangehörige der befragten Bürgermeister und Landräten. Mit Blick auf die übrigen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker besteht darüber hinaus ein weiteres Problem auf: Zum einen liegen zwar Zahlen zum Anzeigeverhalten von Ratsmitgliedern in Nordrhein-Westfalen vor, allerdings lassen sich diese Zahlen laut dem nordrhein-westfälischen Innenministerium bisher nur mit großem Aufwand aus bundesweiten Statistiken herausfiltern. Zum anderen gibt es zum Bedrohungsgefühl von Ratsmitgliedern keine qualitative Studie, die der BKA-Umfrage ähneln würde. Dabei dürften Mitglieder von Bezirksvertretungen, Gemeinderäten, Kreistagen und Landschaftsversammlungen in Nordrhein-Westfalen ebenfalls von Hass und Hetze betroffen sein, wie die Amtsträgerinnen und Amtsträger in den jeweiligen Kommunen.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest: Unsere kommunale Demokratie ist dann stolz und stark, wenn jede Bürgerin und jeder Bürger sich für das Gemeinwesen engagieren kann. Zur wehrhaften Demokratie gehört auch, dass wir die offene Gesellschaft gegenüber ihren Feindinnen und Feinden verteidigen. Denn alle Demokratinnen und Demokraten müssen ihre ganz unterschiedlichen Vorschläge und Grundsätze einbringen können ohne Furcht zu haben, dass sie verhetzt oder gar körperlicher Gewalt ausgesetzt werden. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere kommunale Demokratie wieder von dem erfüllt ist, was sie verdient: nämlich Respekt.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- die BKA-Studie „Kommunales Monitoring. Hass, Hetze und Gewalt gegenüber Amtsträgerinnen und Amtsträgern“ um eine NRW-weite Studie zu Hass und Hetze gegen Ratsleute zu ergänzen.
- den Leitfaden „Mehr Schutz und Sicherheit von Beschäftigten im öffentlichen Dienst“ sowie die „Handlungsempfehlungen für Mandats- und besondere Amtsträger“ zu aktualisieren und um die Zielgruppe der Ratsleute zu erweitern.
- das Netzwerk „Stark im Amt“ der Kommunalen Spitzenverbände zu bewerben und unter Hauptverwaltungsbeamtinnen und -beamten bekannt zu machen. Zu prüfen ist, wie Ratsleute ebenfalls in das Netzwerk eingebunden werden können.
- eine großangelegte Aufklärungskampagne über die Arbeit von Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern zu starten, um durch Informationen Ressentiment sowie Vorbehalte gegen sie abzubauen und ihren Beitrag für unsere Demokratie angemessen zu würdigen.
- Ratsleute sowie Amtsträgerinnen und Amtsträger durch Informationsangebote mit Blick auf die präventiven Handlungsmöglichkeiten der Polizei dahingehend zu unterrichten, dass die Polizei bereits bei der Gefahrenabwehr unterstützen kann (Untersuchung von baulichen Schwachstellen am Wohnort, Sensibilisierungsgespräche etc.).
- Haushaltsmittel der Ehrenamtsförderung und Heimatförderung für Projekte zur politischen Bildung zu nutzen, die auf Prävention von politischer Gewalt in der kommunalen Demokratie zielen.
Henning Höne
Marcel Hafke
Marc Lürbke
Dirk Wedel
und Fraktion