Herr Justizminister, werden Sie endlich tätig! Die Staatsanwaltschaften in NRW müssen auch zur Bekämpfung von Cybercrime besser aufgestellt werden!
I. Ausgangslage
Am 13.05.2024 wurde in Berlin das Bundeslagebild „Cybercrime für 2023“ vorgestellt. Die Zahl der Straftaten im Bereich Cyberkriminalität ist erneut gestiegen. Die Professionalisierung der Cyberkriminalität schreitet weiter voran und erreicht 2024, angetrieben durch den Aufstieg der KI und innovativer Technologien, einen neuen Höhepunkt. Die beunruhigenden Entwicklungen der letzten Jahre sind allerdings erst die Spitze des Eisbergs, denn Cyberkriminelle
werden auch in Zukunft ihre Methoden weiter perfektionieren.
Entsprechend rüstet sich die Polizei Nordrhein-Westfalen gegen Kriminalität im Internet und hat im März 2024 in den Polizeipräsidien Bielefeld, Dortmund, Düsseldorf, Essen, Köln und Münster Kriminalinspektionen zur Bekämpfung von Cybercrime eingerichtet. Für den neuen Aufgabenbereich „Digitale Tatorte“, der sich dem Auffinden digitaler Spuren nach Cyberangriffen auf kritische Infrastruktur und der Bekämpfung dieser Attacken widmet, wurden 94 neue
Stellen geschaffen.
Diese von der Polizei ermittelten Fälle müssen allerdings anschließend von den Strafverfolgungsbehörden der Justiz weiterverfolgt werden. Hier kommt es zu einem Engpass, denn die Staatsanwaltschaften und ihre Geschäftsstellen sind am Limit. Die Zahl unerledigter Fälle bei den Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen ist im vergangenen Jahr weiter gestiegen. Ende 2023 waren im Bundesland noch 242.677 Verfahren offen. Damit ist innerhalb von zwei
Jahren die Anzahl unerledigter Fälle demnach um fast 27 Prozent (2021: 191.604) angestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr beträgt der Anstieg rund neun Prozent (2022: 224.025).
Laut Mitteilung des Landeskriminalamtes NRW hat sich die Anzahl der ermittelten Tatverdächtigen in 2022 um 9,36 Prozent auf 6.623 (6.056) erhöht. Gleichzeitig sank die Aufklärungsquote auf 25,84 Prozent.
Leider kann das Justizministerium weder mitteilen, wie viele Meldungen bzw. Strafanzeigen seit 2020 bei der Staatsanwaltschaft im Bereich Cybercrime eingegangen sind noch wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft seit 2020 diese Meldungen von der Anzeige bis zum Abschluss möglicher Strafverfahren bearbeiten. Differenzierte Angaben zu der Anzahl erledigter Ermittlungs- und Strafverfahren im Bereich Cybercrime werden ebenfalls nicht erhoben. Mangels Zahlen und Statistiken ist natürlich auch der Bedarf im Bereich der Staatsanwaltschaften gänzlich unbekannt.
Damit erhalten weder die Bürgerinnen und Bürger von Nordrhein-Westfalen noch die Politik geeignete Zahlen, um überprüfen zu können, ob die Staatsanwaltschaften personell ausreichend aufgestellt sind, um im Kampf gegen Internetkriminalität bestehen zu können. Stattdessen zeigt sich, dass die NRW-Justiz in der Digitalisierung und Datenverwaltung dringend nachbessern muss. Die Antwort des Ministers offenbart organisatorische Defizite und einen er-
schreckenden Transparenzmangel.
In einem so rasant wachsenden Bereich der Kriminalität auf Blindflug zu fahren, ist unverantwortlich. Es ist hier am Justizministerium, die notwendigen Zahlen zu ermitteln, um handeln und auch die Staatsanwaltschaften und Strafgerichte in Nordrhein-Westfalen schlagkräftig auf- stellen zu können. Um es klar zu sagen: Niemand hindert den Justizminister weitere Zahlen zu erheben, um schlagkräftiger handeln zu können. Wir fordern daher dringend eine Erhebung von Zahlen und eine Bedarfsüberprüfung des erforderlichen Personals bei Gerichten und Staatsanwaltschaften.
Herausgehobene Ermittlungsverfahren im Bereich der Cyberkriminalität werden von der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW), die bei der Staatsanwaltschaft Köln eingerichtet ist, bearbeitet. Hier liegen Zahlen vor, allerdings sind diese eher ernüchternd:
Als Beispiel: Nur drei bis fünf Staatsanwältinnen und Staatsanwälte mit jeweils unterschiedlichen Arbeitsanteilen (zwischen 0,2 und 1,0) bearbeiten die gesamten Verfahren der Zentralstelle im Bereich Hasskriminalität mit insgesamt 2,8 Arbeitskraftanteilen.
So verwundert es nicht, dass es in dem Bereich Hasskriminalität bei der ZAC im Jahr 2020 652 Ermittlungsverfahren, im Jahr 2021 1.084 Ermittlungsverfahren, im Jahr 2022 562 Ermittlungsverfahren, im Jahr 2023 2.005 (!!) Ermittlungsverfahren und im Jahr 2024 bis zum Sommer 1.094 Ermittlungsverfahren12 gegeben hat. Angeklagt wurde nur ein Bruchteil.
Im Jahr 2020 wurden kam es nur zu 17 Anklagen und 14 rechtskräftigen Entscheidungen, im Jahr 2021 zu 41 Anklagen und 15 rechtskräftigen Entscheidungen, im Jahr 2022 zu 77 Anklagen und 55 rechtskräftigen Entscheidungen, im Jahr 2023 zu 107 Anklagen und 55 rechtskräftigen Entscheidungen und im Jahr 2024 zu 77 Anklagen und 52 rechtskräftigen Entscheidungen.
Das dürfte auch verständlich sein, denn zieht man von 365 Kalendertagen, die ein Jahr aufweist, die Wochenenden von 52 Wochen (Samstag und Sonntag) ab (-104) sowie die gesetzlichen Feiertage in NRW (-10) und den Urlaub (-angenommen 20 Tage), der auch Staatsanwälten in Nordrhein-Westfalen zusteht, dann verbleiben 231 Tage. Sollte ein Staatsanwalt auch einmal krank sein, so reduzieren wir die zur Verfügung stehenden Tage auf 230 im Jahr. Geht man davon aus, dass die Staatsanwälte auch die Verfahren in NRW vor den zuständigen Amtsgerichten von Köln aus führen, dann müssen Sie zumindest zwei Tage der Woche mit Autobahnfahrt, Gerichtstermin und Rückfahrt nach Köln verbringen und die restliche Zeit würden sie mit Vorbereitung der Verfahren und der neu hinzukommenden Verfahren bestreiten. Das bedeutet, dass sie ca. 100 Verfahren pro Jahr und Staatsanwalt bei dieser Berechnung
durchführen könnten. Dabei bleiben Planungen der Richter, Ausfälle der Beschuldigten und Rechtsanwälte etc. unbeachtet. Bei 2,8 Arbeitsanteilen wären dies bestenfalls 280 Verfahren bei obiger Vorgehensweise zur Bekämpfung der Hasskriminalität in NRW. Der geneigte Leser wird jetzt etwas merken: Dem stehen im Jahr 2023 die Zahl von 2.005 tatsächliche Anzeigen/ Strafanträgen bzw. Ermittlungsverfahren gegenüber.
Die Frage, welche Verbesserungen vom Justizministerium seit 2022 vorgenommen wurden bzw. im Jahr 2025 geplant sind, um das Versprechen im Koalitionsvertrag einzulösen, die ZAC zu verstärken und zum bundesweit führenden Kompetenz- und Forschungszentrum der Cyberbekämpfung auszubauen14, wurde mehr als ernüchternd beantwortet. Neben der Einrichtung von Räumlichkeiten wurden lediglich im Bereich Kindesmissbrauch fünf neue Planstellen
eingerichtet und die IT-Ausstattung der ZAC NRW verbessert. Was 2025 passiert, hängt von der Haushaltslage ab.
Die notwendigen Handlungen in einem so wichtigen Bereich der Kriminalität allein von der Haushaltslage abhängig zu machen, zeigt erneut mangelnde Initiative, denn im Bereich der Ermittlungstätigkeit wurden ja für mehr Personal gesorgt!
Das Handeln des Justizministers ist vollkommen unzureichend, denn
- bei Zunahme der Meldungen bzw. Anzeigen/Strafanträge, wie im Bereich Hasskriminalität im Jahr 2023 auf 2.005 Fälle, muss auch das Personal bei der Staatsanwaltschaft spürbar und dauerhaft aufgestockt werden, um auch alle Straffälle, die sich aufklären lassen, zur Anklage zu bringen.
- bei Aufstockung des Polizeibereichs durch das Innenministerium müssen auch die Ermittlungszahlen steigen, so dass auch die entsprechenden Kräfte im Bereich der Staatsanwaltschaft angepasst werden müssen, um diese weiteren Ermittlungsergebnisse abarbeiten zu können.
- bei der Neueinrichtung von 6 Polizeipräsidien als Spezialeinheiten gegen Cybercrime und den neuen Interventionsteams, muss auch die Staatsanwaltschaft mit entsprechendem Personal aufgerüstet werden, um die Ermittlungsergebnisse zur Anklage zu bringen.
Es nützt nichts, wenn das Innenministerium die Schlagkraft bei der Polizei weiter ausbaut, um Cyberkriminellen das Handwerk zu legen, wenn die ermittelten Fälle aufgrund Personalmangels nicht effektiv von der Justiz weiterverfolgt werden und es kaum zu rechtskräftigen Entscheidungen kommt. Im Jahr 2023 waren es im Bereich der Hasskriminalität nur 2,7 % der ermittelten Verfahren. Hierüber freuen können sich lediglich Cyberkriminelle.
Die Basis eines friedlichen Zusammenlebens in einem Rechtsstaat basiert darauf, dass kein rechtsfreier Raum existiert und Verstöße gegen die Rechtsordnung und Straftaten wirksam verfolgt werden. Dieser rechtsfreie Raum existiert bereits teilweise und es ist dringend erforderlich, entschiedene Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass Cyberkriminelle mit immer professionelleren Methoden die virtuelle Welt ungehindert beherrschen.
II. Beschlussfassung
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- landesweit Zahlen und Daten zu den Fällen von Cyberkriminalität zu ermitteln.
- den tatsächlichen Personalbedarf bei den Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen zur Bekämpfung von Cyberkriminalität zu ermitteln.
- im Haushalt 2025 die Stellen bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten entsprechend dem tatsächlichen Bedarf unter Berücksichtigung der personellen Verstärkung der Ermittlungsbehörden in den letzten Jahren anzupassen und aufzustocken.