Hoch- und Höchstbegabten individuelle Beschulung ermöglichen

I. Ausgangslage

Die bestmögliche Förderung aller Schülerinnen und Schüler ist ein zentrales Anliegen unserer Bildungspolitik.

Das Ziel der Talentschulen etwa ist es, sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen besondere Unterstützung für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn zu ermöglichen. Besondere Förderangebote bestehen darüber hinaus für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler oder für jene mit Beeinträchtigungen.

Für Freie Demokraten gilt:
In gleichem Maße müssen wir auch besonders begabte Kinder fördern und diesen einen auf sie zugeschnittenen individuellen Bildungsweg ermöglichen. Denn keinesfalls ist es so, dass die intellektuell äußerst leistungsfähigen Hoch- und Höchstbegabten zugleich quasi automatisch „aus einem besseren Elternhause“ stammten.

Trotz oder auch gerade aufgrund ihrer besonderen Leistungsfähigkeit haben diese Schülerinnen und Schüler in ihrer Schullaufbahn mit vielfältigen Herausforderungen umzugehen. Dazu gehören

  • Anpassungsschwierigkeiten,
  • Ausgrenzung,
  • Mobbing,
  • mangelndes Verständnis vonseiten der Umwelt und psychischen Problemen aufgrund von Unterforderung und inadäquatem Druck.

Die neurologischen Besonderheiten, die für die Begabung verantwortlich sind, manifestieren sich zudem häufig u.a. als ADHS, ASS (Autismus-Spektrum-Störung) oder Tics. Für die Kinder selbst, aber auch für deren Familien stellt die Begabung ihrer Kinder nicht selten eine große Herausforderung und teilweise auch Belastung dar.

Herausforderungen im Schulalltag

Zunächst ist der Weg zum Bewusstwerden einer besonderen Begabung oftmals lang und steinig. Ohne entsprechende Förderung äußert sich die Begabung der Kinder nämlich häufig nicht unmittelbar in Leistungsfähigkeit. Das Gegenteil kann der Fall sein.

Problematisches Sozialverhalten und Schulprobleme gehen nicht selten der Erkenntnis einer Hochbegabung voraus. Zudem bedarf es eines großen Engagements der Eltern, mit ihren Kindern den für sie passenden Bildungsweg einzuschlagen sowie immer wieder aufs Neue zu hinterfragen und zu gestalten.

Die Kommission zur Verbesserung der Bildungsbedingungen für Hoch- und Höchstbegabte beschreibt die vorherrschende Praxis in den Ergebnissen ihrer Fachtagung wie folgt: „Aktuell ist für jede Maßnahme, die außerhalb der Norm liegt, keine schnelle und verlässliche Entscheidung zu bekommen. Ob die Maßnahme (z.B. das Springen) ermöglicht wird, hängt von der persönlichen Bereitschaft der befugten Person in Schule/ Schulaufsicht/ Bezirksregierung ab, außergewöhnliche Wege zu gehen und die Verantwortung dafür zu übernehmen.“

Erfahrungsberichte betroffener Familien zeigen sehr unterschiedliche Handhabung und Flexibilität der Entscheidungsträger vor Ort. Diese stehen sicherlich u.a. auch mit den Rahmenbedingungen und Möglichkeiten zur Förderung in der jeweiligen Schule sowie den Ausprägungen der neurologischen Besonderheiten der Schülerinnen und Schüler im Zusammenhang.

Vor allem im Bereich des autistischen Spektrums haben Kinder und Jugendliche häufig Schwierigkeiten, sich im sozialen Gefüge der Schule zurechtzufinden und angenommen zu werden. Lern- und Motivationsprobleme treten ebenfalls auf, wenn z.B. Unterforderung und fehlende Anreize vorliegen.

Bei der förderspezifischen Betrachtung der Kinder und Jugendlichen muss daher der Weg ihrer bestmöglichen Förderung im Mittelpunkt stehen, damit sie ihre Begabungen, Kreativität und außergewöhnliche Leistung zur vollen Entfaltung bringen können.

Erfahrungen von entsprechend geförderten Kindern und Jugendlichen, z.B. von Schülerinnen und Schüler des Kinder-College Koblenz, zeigen, dass eine ihren Fähigkeiten entsprechende Förderung und Forderung ihrer intellektuellen Fähigkeiten auch die psychosoziale Festigung mit sich bringt.

Trotz aller bisherigen Bemühungen vieler Lehrerinnen und Lehrer hat sich die individuelle Förderung von Hoch- und Höchstbegabten bisher nicht flächendeckend in den Schulen durchsetzen können. Es mangelt in Nordrhein-Westfalen an Unterstützung, begabungsorientierte, individuelle Bildungswege zu finden und mitzugehen.

Erfolgreiche Ansätze

Mit dem Kinder-College Koblenz besteht in Rheinland-Pfalz eine außerschulische Fördereinrichtung, die es hochbegabten Kindern ermöglicht, in einem vielfältigen Kursprogramm ihren Interessen nachzugehen sowie neue Themenbereiche kennenzulernen und zu erschließen. Das Lernangebot setzt schwerpunktmäßig bei der Frühförderung begabter Kindergartenkinder und junger Schulkinder an und reicht bis zum Alter von 16 Jahren. Neben der intellektuellen Förderung ist es ein wesentliches Ziel der außerschulischen Einrichtung, dass die Kinder und Jugendlichen die Akzeptanz ihrer nicht altersgemäßen Entwicklung erfahren und ein gesundes Selbstwertgefühl aufbauen können.

Das erfolgreiche Konzept des Kinder-College in Koblenz ist auch für Schülerinnen und Schüler aus Nordrhein-Westfalen zugänglich. Attraktiv ist der Besuch der Wochenendangebote jedoch nur für Familien in der Grenzregion zu Rheinland-Pfalz.

Eine flächendeckende Unterstützung für Kinder und Jugendliche mit einer Hoch- oder Höchstbegabung, sowohl in der Schule, als auch begleitend durch außerschulische Angebote, ist unerlässlich, damit sie ihre Chancen auf adäquate Bildung wahrnehmen können.

II. Beschlussfassung

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  • Kitas und Schulen mit einem begabungsfreundlichen Bildungskonzept beim Fördern und Fordern hochbegabter Kinder und Jugendlicher zu unterstützen.
  • Kitas und Schulen sollen strukturelle Hilfestellung bei der fortwährenden Suche nach dem geeigneten Bildungsweg der Schülerinnen und Schüler erhalten.
  • landeseigene außerschulische Förderstrukturen aufzubauen und ausreichend zu finanzieren
  • durch Sensibilisierung, Aufklärung und Fortbildung von Erzieherinnen und Erziehern sowie Pädagoginnen und Pädagogen eine frühe Förderung von Hoch- und Höchstbegabung zu ermöglichen.
  • Schul-/und oder Studienbegleitung zu ermöglichen, wenn Kinder z.B. altersbedingt Unterstützung im Schulalltag benötigen.
  • die Schaffung eines Zertifikats „begabungsfreundliche Schule“ zu initiieren, welches Eltern die Orientierung bei der Suche nach einer geeigneten Schule für ihr Kind vereinfacht.
  • besondere Bildungskonzepte für Kinder und Jugendliche mit Hoch- und Höchstbegabung zu entwickeln und dabei die Ergebnisse der Kommission zur Verbesserung der Bildungsbedingungen für Hoch- und Höchstbegabte der „Fachtagung Neurointensive Kinder und Jugendliche - Konzepte zum Verständnis und zum Bildungsgang Hoch- und Höchstbegabter" am 12. Juli 2022 in Windhagen, zugrunde zu legen. Folgende Aspekte sind dabei zu berücksichtigen:
  • Beim Übergang von der KiTa zur Grundschule auf mehr Flexibilität setzen.
    • Vorgegebene Muster durchbrechen und Hoch- und Höchstbegabten individuelle Bildungswege ermöglichen.
    • Ein unterstützendes Gremium einrichten, welches Schulen, Eltern sowie die Schülerinnen und Schüler bei der individuellen Förderung und bestmöglichen Gestaltung der Bildungslaufbahn unterstützt.
    • Drehtürmodelle etablieren und auch in die Oberstufe ermöglichen
    • Begabungsfreundliche Unterrichtspraxis (z.B. Zulassung individueller Strategien zur Konzentrationsförderung) fördern und entsprechende Anleitungen und Impulse bei Lehrkräften bekannter machen.
    • Möglichkeiten des Nachteilsausgleichs ähnlich dem Prinzip, das bei anerkannten leistungsrelevanten Zuständen und Störungen wie LRS, ADHS oder ASS, angewandt wird, zu schaffen.
  • das Springen zu flexibilisieren und auch innerhalb der Oberstufe zu ermöglichen.
  • außerschulische Fördereinrichtungen für Hoch- und Höchstbegabte nach dem Vorbild des Kinder-College Koblenz verstärkt zu fördern.
  • auf das Knowhow und die Ressourcen sowie das Beratungsangebot des Kinder-College Koblenz zurückzugreifen.

Henning Höne
Marcel Hafke
Prof. Dr. Andreas Pinkwart

und Fraktion