Hochlauf von Speichertechnologien als Schlüssel für klimaneutrale Energiewirtschaft vorantreiben
I. Ausgangslage
Die Bundesregierung hat das Ziel ausgegeben, dass bis zum Jahr 2030 mindestens 80 Prozent des Stromverbrauchs aus Erneuerbaren Energien stammen sollen - bei steigendem Verbrauch. Wegen der stark schwankenden Erzeugungsleistung von Photovoltaik (PV) und Windkraft klafft aber eine immer größere Lücke zwischen Erzeugung und Verbrauch, die sich ohne große Stromspeicher nicht schließen lässt. Bis zum Jahr 2030 plant die Bundesregierung insgesamt 360 Gigawatt (GW) installierte Leistung aus Erneuerbaren Energien bereitzustellen, davon allein 215 GW aus Solaranlagen. Hingegen schwankt im Tagesverlauf der Verbrauch lediglich zwischen etwa 40 und 80 GW. Selbst wenn die installierte Leistung aufgrund der schwankenden Erzeugungsbedingungen nie komplett zur Verfügung steht, müssen Erzeugungsanlagen ständig abgeregelt werden, wenn die überschüssige Energie nicht gespeichert werden kann. Allein im Jahr 2022 mussten insgesamt 8 000 Gigawattstunden Strom aus Erneuerbaren Energien aufgrund von Netzengpässen abgeregelt werden. Netzengpässe machen ein regulatives Eingreifen der Übertragungsnetzbetreiber bei Energieerzeugern notwendig. Diese Eingriffe müssen entschädigt werden und verursachen hohe Kosten.
Je mehr Erneuerbare Energien in das System integriert werden, desto mehr werden die Überschussproduktion an sonnigen und windigen Tagen und die Kapazitätsengpässe an bedeckten und/oder windarmen Tagen relevant. Speicherung kann Erzeugungsüberschüsse aufnehmen und zeitversetzt bei Bedarf abgeben. Abriegelungen bei Überproduktionen können so vermieden werden. Mit zunehmendem Anteil an fluktuierender Energieerzeugung nimmt der Bedarf an kurzfristiger Speicherung hin zu langfristiger Speicherung zu. Ab einem Anteil zwischen 50 und 80 Prozent ist eine hohe Flexibilität des Netzes erforderlich, die längere Speicherung nötig macht.
Für eine sichere und zuverlässige Stromversorgung, basierend auf einem Großteil Erneuerbarer Energie, sind also dezentrale und zentrale stationäre Energiespeicher in großem Umfang notwendig. Eine wesentliche Aufgabe dieser Speicher ist, das Stromnetz angesichts fluktuierender Einspeisung von Photovoltaik und Wind, stabil und ausfallsicher zu halten. Darüber hinaus ermöglichen dezentrale Speicher die Steigerung des Anteils der Selbstversorgung mit Energie und bieten angesichts stark steigender Energiemarktpreise, ökonomische und ökologische Einsparungspotenziale. Intelligente Leistungselektronik und Energiemanagementsysteme optimieren dabei das Zusammenspiel von Erzeugern, Verbrauchern, Speichern und Stromnetzen.
Neben einer zuverlässigen Energieversorgung bieten Speichertechnologien erhebliche wirtschaftliche Wertschöpfungspotentiale. Der wachsende Speichermarkt mit seinen Potentialen kann Zugpferd einer klimaneutralen Wirtschaft der Zukunft sein. Heimspeicher als kleinere, dezentrale Batteriespeicher, sind längst state-of-the-art in Eigenheimen und dienen dort als Zwischenspeicher für PV-Strom, erzeugt auf dem Hausdach. Größer dimensionierte Quartierspeicher, eingesetzt als Zwischenspeicher in Siedlungen und Wohnvierteln, ermöglichen die gemeinschaftliche Nutzung des lokal erzeugten Stroms. Aufgrund stark gestiegener Energiekosten sind Gewerbe- und Industrie -Speicher zunehmend interessant für den Einsatz in Industrie, Dienstleistung und Gewerbe, um sich unabhängiger von schwankenden Energiepreisen zu machen und die eigene Energieversorgung zuverlässiger auszugestalten. Ebenfalls ein enormes Potenzial besteht im Zubau stationärer Großspeicher. Diese können einerseits die Abschaltung von Kern- und Kohlekraftwerken zu Teilen kompensieren und bieten darüber hinaus eine klimafreundliche Perspektive für ehemalige Kraftwerksstandorte.
Speichertechnologien sind dabei vielfältig. Neben mechanischen Speichern, wie Pumpspeichern und Schwungmassespeichern sind elektro-chemische Speicher wie Batterien, chemische Speicher wie Wasserstoff und Methan sowie thermische Speicher, wie Wasser und Salzschmelzen und rein-elektrische Speicher wie Supercaps verfügbar und/oder in der Entwicklung.
Die Vorteile von Energiespeichern liegen damit deutlich auf der Hand: Sie erhöhen den Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromversorgung und damit CO2 –Einsparungen. Sie verringern den Netzausbaubedarf, ermöglichen eine intelligente Sektorkopplung, optimieren die Netzauslastung, senken Netzentgelte und Stromkosten und schaffen neue innovative Vermarktungsmodelle für Betreiber von Erneuerbaren Energien-Anlagen.
II. Handlungsnotwendigkeiten
Als größtes Energieverbrauchszentrum in Deutschland ist für Nordrhein-Westfalen eine zuverlässige Energieversorgung essentiell. Der geplante starke Zubau von PV und Windkraft mit ihrer schwankenden Erzeugungsleistung machen im Gleichschritt den parallelen Zubau von Energiespeichern notwendig, um die wachsende Lücke zwischen Erzeugung und Verbrauch abzudecken und eine sichere, zuverlässige und effiziente Energieversorgung in Nordrhein-Westfalen zu gewährleisten. Der vorgezogene Kohleausstieg für das Jahr 2030 verstärkt hier- bei den Bedarf an Energiespeichern.
Der tatsächliche Bedarf an Energiespeicherkapazitäten in Nordrhein-Westfalen ist bisher nicht bekannt, weil er von einer Vielzahl von Bedingungen abhängt. Die in Zukunft optimale Menge und Kombination an Stromspeichern wird insbesondere abhängig sein von den Investitionskosten für neue Speichersysteme, der Verfügbarkeit von alternativen Flexibilitätsoptionen sowie der Art und Geschwindigkeit des Netzausbaus und der Erneuerbaren Energien. Das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) prognostiziert beispielsweise in einer Kurzstudie aus dem Jahr 2022 den Speicherbedarf in Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2030 auf insgesamt auf 9,4 GW und für das Jahr 2045 auf 16,2 GW. Zum Vergleich: Allein die Kraftwerksleistung des Braunkohle-Kraftwerksparks in Nordrhein-Westfalen lag Ende des Jahres 2021 bei 9,8 GW. Der tatsächliche Speicherbedarf in Nordrhein-Westfalen muss dringend konkreter ermittelt und mit entsprechenden Maßnahmen des Landes gedeckt und gestützt werden. Erkenntnisse und Maßnahmen sollten hierbei dringend Aufnahme in die für das zweite Quartal 2024 angekündigte Energie- und Wärmestrategie der Landesregierung finden.
Auf Bundesebene sind zwischenzeitlich mit der am 1. Juli 2023 in Kraft getretenen Energiespeicher-Definition aus § 3 Nr. 15d EnWG Energiespeicher als eigenständige Säule des Energiesystems neben Produzenten, Netzen sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern rechtlich definiert und etabliert worden.
Darauf aufbauend gilt es, die Investitionsbedingungen für Energiespeicher konsequent weiter zu verbessern, um den Hochlauf von Speichertechnologien anzureizen und diese reibungslos in das Energiesystem zu integrieren. Dazu zählen etwa die Entfristung der Freistellung von Speichern von Netzentgelten, die Befreiung von Einmalzahlung des Netzanschlusses an die Netzbetreiber bei Speichererrichtungen, Wegerecht für Netzanschlussleitungen für Energiespeicher, eine Duldungspflicht für Netzanschlussleitungen bei Speichern, Aufhebung des speicherspezifischen Ausschließlichkeitsprinzips bei Innovationsausschreibungen und im EEG und die Ermöglichung einer Gewerbesteuerbeteiligung der Kommunen bei Speichern. Energiespeicher haben die gleiche Priorität bei der Transformation des Energiesystems wie der Windkraft- und PV-Ausbau. Entsprechend sollte neben einer PV-Strategie, Wind-an-Land-Strategie und Kraftwerksstrategie eine echte Speicherstrategie auf Bundesebene erarbeitet werden, die Rechts- und Ausbaurahmen von Energiespeichern kohärent ausgestaltet und fortentwickelt.
Die Bemühungen auf Bundesebene müssen in Nordrhein-Westfalen als Impuls genutzt werden, um sämtliche Energiespeicherpotentiale des Landes für eine zuverlässige und sichere Energieversorgung zu heben und den Hochlauf der Speichertechnologien bestmöglich ökonomisch und ökologisch zu nutzen. Insbesondere in den Technologiefeldern elektrischer Energiespeicher, Power-to-Gas (Wasserstoff), Power-to-Liquids/Chemicals und Stromerzeugungstechnologien zur Wärmenutzung sind NRW-Akteure in Wissenschaft, Wirtschaft und Industrie gut aufgestellt und bieten sich erhebliche regionale Wertschöpfungspotentiale.
Stillgelegte oder zur Stilllegung vorgesehene Kohlekraftwerksstandorte sollten für den Aufbau von großen Energiespeichern genutzt werden, um die vorhandene Netzanschlusstechnik zu nutzen. Neben der Neuerrichtung von H2-ready-Kraftwerken sollte vor allem der Umbau von Kohlekraftwerken zu elektro-thermischen Speicher nochmals in den Blick genommen werden, bei denen nicht nur Strom sondern auch Wärme gewonnen werden kann. Ein Umbau ist schnell möglich und die Kombination aus Strom und Wärme verspricht hohe Effizienzgrade und eine Wirtschaftlichkeitsperspektive. Insbesondere das Rheinische Revier als Transformations-Hotspot der kommenden Jahre kann hier eine zentrale Rolle spielen.
Ebenfalls sollte die Wiederbelebung von Pumpspeicherprojekten im Hinblick auf veränderte Wirtschaftlichkeits- und Investitionsbedingungen geprüft werden. Basis dafür bietet die Potentialstudie Pumpspeicherkraftwerke Nordrhein-Westfalen des LANUV aus dem Jahr 2016. Gerade ehemalige Kohlebergwerke, wo der Flächenverbrauch geringer ist als bei oberirdischen Projekten und Einwirkungen auf Natur und Anwohnerinnen und Anwohner gering sind, könnten sich dafür besonders eignen. Auch das Energiespeicherpotential und die energetische Nutzung von Talsperren sollte einer intensiven Prüfung unterzogen werden.
Nordrhein-Westfalen verfügt bereits über einer Vielzahl vielversprechender Projekte bei der Forschung und Entwicklung von vielfältigen Energiespeicherlösungen im Rahmen der Landesinitiativen Energieforschungsoffensive.NRW, der neuen Landesgesellschaft NRW.Energy4Climate und des Zentrums für Innovation und Technik in Nordrhein-Westfalen (ZENIT). Ergänzt werden die Landesinitiativen durch ein breites Netzwerk aus mehr als 30 renommierten Hochschulen und 20 exzellenten außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die zu den zentralen Themen des Energiesystems der Zukunft forschen. Dazu gehören unter anderem Leuchtturmprojekte wie die Batterieforschungsfabrik in Münster und das Helmholtz- Cluster für nachhaltige und infrastrukturkompatible Wasserstoffwirtschaft (HC-H2) im Rheinischen Revier.
Um Nordrhein-Westfalen zu einem führenden Energiespeicherland zu machen, ist es notwendig, die zahlreichen Forschungs- und Entwicklungsbemühungen im Bereich der Energiespeicher zu konzentrieren und zu fokussieren, den anwendungsorientierten Austausch zwischen Wissenschaft und Unternehmen zu fördern und im Rahmen einer kohärenten Gesamtstrategie des Landes fortzuentwickeln, die auf die Deckung zukünftiger Speicherbedarfe abzielt und die verfügbaren Wertschöpfungspotentiale im Bereich der Speichertechnologien hebt. Der Aufbau eines zentralen Energiespeicherclusters unter dem Dach der Landesgesellschaft NRW.Energie4Climate mit einer gemeinsamen Plattform, die Synergieeffekte bei gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsbemühungen und den Austausch zwischen Wissenschaft und Unternehmen ermöglicht, kommt hierfür generell in Frage.
Regulatorische Hindernisse für die Errichtung von stationären Speichern im Landesrecht sollten darüber hinaus dringend zügig identifiziert und beseitigt werden, um den Hochlauf der Speichertechnologien in Nordrhein-Westfalen nicht auszubremsen.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:
- Der wachsende Zubau von Photovoltaik und Windkraft-Anlagen mit ihrer schwankenden Erzeugungsleistung machen den zügigen Zubau von Energiespeichern notwendig, um die wachsende Lücke zwischen Erzeugung und Verbrauch abzudecken und eine sichere und zuverlässige und effiziente Energieversorgung in Nordrhein-Westfalen zu gewährleisten.
- Energiespeicher haben die gleiche Priorität bei der klimaneutralen Transformation des Energiesystems wie der Windkraft- und Photovoltaik-Ausbau.
- Um Nordrhein-Westfalen zum führenden Energiespeicherland zu machen, ist es notwendig die zahlreichen Forschungs- und Entwicklungsbemühungen im Bereich der Energiespeicher zu konzentrieren und zu fokussieren, den anwendungsorientierten Austausch zwischen Wissenschaft und Unternehmen zu fördern und im Rahmen einer kohärenten Gesamtstrategie des Landes fortzuentwickeln, die auf die Deckung zukünftiger Speicherbedarfe abzielt und die verfügbaren Wertschöpfungspotentiale im Bereich der Speichertechnologien hebt.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- den konkreten kurz-, mittel-, und langfristigen Bedarf an Energiespeicherkapazitäten in Nordrhein-Westfalen zu ermitteln und im Rahmen der in Bearbeitung befindlichen Energie- und Wärmestrategie des Landes entsprechend zu berücksichtigen.
- im Rahmen einer Potentialstudie zu stationären Großspeichern passende Standorte für Großspeicherlösungen in Nordrhein-Westfalen zu ermitteln und dabei sowohl stillgelegte oder zur Stilllegung vorgesehene Kohlekraftwerksstandorte, ehemalige Kohlebergwerke und die energetische Nutzung von Talsperren zu berücksichtigen.
- eine landeseigene Energiespeicherstrategie zu erarbeiten, die den Zubaubedarf von Energiespeichern mit geplanten Ausbau der Erneuerbaren Energien synchronisiert. Zur Umsetzung der Strategie soll ein zentrales Energiespeichercluster auf Landesebene in Verbindung mit einer gemeinsamen Plattform eingerichtet werden, die Synergieeffekte bei gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsbemühungen und den Austausch zwischen Wissenschaft und Unternehmen ermöglicht.
- den Abbau von regulatorischen Hindernissen für die Errichtung von stationären Speichern im Landesrecht zu identifizieren und zu beseitigen.
- Anreize für Investitionen in Erneuerbare-Energie-Anlagen, Speicher und Technologien der Sektorenkopplung zu setzen durch eine anwendungsbezogene Förderung und zeitlich begrenzte Unterstützung bei Investitionen in die Dekarbonisierung. Dazu gehörenauch erheblich vergünstigte NRW.Bank-Darlehen.
- sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die Investitionsbedingungen für Energiespeicher weiter verbessert werden und mit einer Speicherstrategie bundesweit einheitliche Rahmenbedingungen für den Hochlauf von Speichertechnologien geschaffen werden.
Dazu gehören:
o Die Freistellung von Speichern von Netzentgelten zu entfristen, um Investitionssicherheit zu geben.
o Die in der Solarstrategie und Windstrategie vorgesehenen Duldungspflicht für Netzanschlussleitungen durch Grundeigentümer für Erneuerbare Energien auch für Energiespeicher vorzusehen.
o Analog zu PV- und Windenergie für Energiespeicher eine Gewerbesteuerbeteiligung der Kommunen zu ermöglichen.
o Das Wegerecht für Netzanschlussleitungen auch für Energiespeicher vorzusehen.
o Speicher von der Einmalzahlung des Netzanschlusses an den Netzbetreiber zu befreien (Baukostenzuschuss –§ 11 I Niederspannungsanschlussverordnung), damit der Zubau nicht unnötig gebremst wird.
o Innovationsausschreibungen zu stärken. Dazu zählen die Erhöhung der maximalen Zuschlagsgröße, die Erweiterung der Speicherkapazitäten von Jahr zu Jahr, die Aufhebung des speicherspezifischen Ausschließlichkeitsprinzips bei Innovationsausschreibungen und im EEG (vgl. § 13 Abs. 4 InnAusV und § 19 Absatz 3 EEG) und eine wettbewerbliche Ermittlung von nichtfrequenzgebundenen Systemdienstleistungen (sog. Blindleistungen) als Anforderung in Ausschreibungen.
o Keine existierenden Energiespeicher im Netz außer Betrieb stellen, ohne adäquaten Ersatz am Netz zu haben, um die Netzstabilität zu gewährleisten.
o Die Regeln für die Förderung transeuropäischer Netze so zu ändern, dass Energiespeicher davon auch profitieren können.
o Speicherausbau und Netzausbau eng zu verzahnen, um sog. Geisterstrom zu verhindern.
o Anreize für Investitionen in Erneuerbare-Energie-Anlagen, Speicher und Technologien der Sektorenkopplung zu setzen durch eine anwendungsbezogene Förderung und zeitlich begrenzte Unterstützung bei Investitionen in die Dekarbonisierung. Dazu gehören auch erheblich vergünstigte KfW-Darlehen.
o Abschreibungszeiträume von Energiespeichern hin zu einer kürzeren betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer zu überprüfen und sicherstellen, dass die angekündigte Investitionsprämie des Bundes auch auf bewegliche Energiewendeanlagen wie Energiespeicher ohne zusätzlichen bürokratischen Aufwand anwendbar ist.