Intensive fachliche Auseinandersetzung statt schwarz-grüner Scheuklappen: Neues Gutachten eines ehemaligen Bundesverfassungsrichters begründet umfassende Neubewertung der Besoldungsreform der Landesregierung

I. Ausgangslage

Am 12. Juni 2024 brachte die Landesregierung ihren Gesetzentwurf „Gesetz zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge in den Jahren 2024 und 2025 sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen“ (LT-DS 18/9514) in das Parlament ein. Neben einer eins zu eins Übertragung des Tarifergebnisses auf den Bereich der Beamten, Richter und Versorgungsempfänger sieht der Gesetzentwurf eine umfassende Strukturreform vor, die das Besoldungsgefüge in Nordrhein-Westfalen grundlegend ändert.

Ab 2024 soll nach Willen der Landesregierung ein fiktives Partnereinkommen in der Höhe der Geringfügigkeitsgrenze für eine geringfügige Beschäftigung mit in die Berechnung der Amtsangemessenheit der Alimentation einbezogen werden. Sofern das tatsächliche Partnereinkommen diese Grenze unterschreitet und die Summe der Nettoalimentation und des Nettoeinkommens des jeweiligen Partners oder der Partnerin nicht 15 Prozent über dem grundsicherungsrechtlichen Gesamtbedarf liegt, sieht der Gesetzentwurf die Möglichkeit der Antragstellung auf einen sogenannten Ergänzungszuschlag zum Familienzuschlag vor, mit dem die Verfassungskonformität nachträglich hergestellt werden soll. Weitere Änderungen sind im Bereich der Familienzuschläge und der jährlichen Rügeobliegenheit vorgesehen.

Die Landesregierung begründet diese Anpassungen mit der Modernisierung des dem Landesbesoldungsgesetz zu Grunde liegenden Familienbildes. Das bisherige Modell der Alleinverdienerfamilie entspreche in den meisten Fällen nicht mehr der gelebten Realität. Fakt ist, dass die Landesregierung bereits Ende 2024 antizipierte, dass es mit Verabschiedung des Gesetzentwurfs Fälle im „niedrigen vierstelligen Bereich“ geben wird, bei denen die Alimentation unter dem verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Mindestmaß zurückbleiben wird und dementsprechend ein Anspruch auf Ergänzungszuschlag zum Familienzuschlag besteht (Plenarprotokoll 18/76). Dafür muss der Beamte oder die Beamtin allerdings zunächst selbst tätig werden und einen entsprechenden Antrag stellen.

In der Sachverständigenanhörung vom 5. September 2024 haben Experten teils massive Kritik am Vorstoß der Landesregierung geäußert und die Verfassungskonformität des Gesetzentwurfs infrage gestellt (Ausschussprotokoll 18/653). Darüber hinaus bemängelten sowohl viele Sachverständige als auch die Oppositionsfraktionen die Verstrickung einer tiefgreifenden Besoldungsstrukturreform mit der fraktionsübergreifend als begrüßenswert und unkritisch erachteten Tarifübertragung in einem einzigen Gesetzentwurf.

Ungeachtet dieser Bedenken wurde der Gesetzentwurf am 10. Oktober 2024 mit schwarz-grüner Mehrheit und gegen die Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen (Plenarprotokoll 18/77). Das beschlossene Gesetz ist auf den 29. Oktober 2024 datiert.

II. Handlungsnotwendigkeiten

Am 9. Dezember 2024 veröffentlichte der Deutsche Beamtenbund NRW (DBB NRW) auf seiner Website die Pressemeldung „Ehemaliger Bundesverfassungsrichter erkennt Verfassungswidrigkeit der Beamtenbesoldung in NRW“. Der DBB NRW hat den anerkannten Staats- und Verfassungsrechtler, früheren Richter am Bundesverfassungsgericht, Inhaber der Professur für Öffentliches Recht und zugleich Direktor des Forschungskollegs normative Gesellschaftsgrundlagen an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio mit der gutachterlichen Prüfung des Gesetzes der Landesregierung in der Fassung vom 29. Oktober 2024 beauftragt.

Das Gutachten wurde Mitte Februar 2025 in der Publikation „Verfassungsmäßigkeit des Leitbilds der Mehrverdienerfamilie im nordrhein-westfälischen Besoldungssystem“ von Prof. Dr. Dr. Di Fabio in „Schriften zum öffentlichen Dienstrecht - Band 13“ veröffentlicht. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass das Gesetz in der Fassung vom 29. Oktober 2024 insgesamt verfassungswidrig sei. Die Berücksichtigung eines „Partnereinkommens“ in der Besoldungsbemessung stehe nicht im Einklang mit Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes. Die Besoldung eines Beamten, die das Mindestabstandsgebot zur Grundsicherung wahre, dürfe nicht von einem Antragserfordernis abhängig gemacht werden. Außerdem werde das besoldungsinterne Abstandsgebot zwischen den normierten Besoldungsgruppen durch den Ergänzungszuschlag zum Familienzuschlag verletzt.

Laut Artikel „Beamtenbesoldung in NRW wackelt“ der Rheinischen Post vom 10. Dezember 2024 habe sich ein Sprecher des Finanzministeriums auf Nachfrage dahingehend geäußert, dass die Landesregierung sich angeblich durch das Gutachten in zentralen Fragen der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bestätigt sehe. Die von Prof. Dr. Dr. Di Fabio geäußerten Bedenken beträfen lediglich Detailfragen der Umsetzung. Der bisherige Hauptkritikpunkt am neuen besoldungsrechtlichen Leitbild der Mehrverdienerfamilie sei aus Sicht der Landesregierung nicht aufgegriffen worden. Zu diesem Zeitpunkt war das Gutachten noch nicht veröffentlicht; lediglich die Grundzüge waren durch die Pressemeldung des DBB NRW bekannt.

Die neue gutachterliche Würdigung des Gesetzes durch einen renommierten Experten im Bereich des Staats- und Verfassungsrechts und ehemaligen Verfassungsrichter konfrontiert die Landesregierung mit dem harten Urteil der Verfassungswidrigkeit. Diese geänderte Ausgangslage erfordert eine intensive Auseinandersetzung und tiefgreifende juristische Erörterung. Darüber hinaus ist es erforderlich, dass die Landesregierung die Auswirkungen des Gesetzes auf die nordrhein-westfälische Beamtenschaft und die öffentliche Verwaltung – insbesondere in Hinblick auf den Bürokratiezuwachs – kontinuierlich erfasst, evaluiert und transparent darüber berichtet.

III. Beschlussfassung

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • sich intensiv mit dem Mitte Februar 2025 veröffentlichten Gutachten von Prof. Dr. Dr. Di Fabio und dessen Argumentation auseinanderzusetzen, welches das Gesetz der Landesregierung in der Fassung vom 29. Oktober 2024 als verfassungswidrig einstuft,
  • die Besoldungsstrukturreform und insbesondere die neue Berücksichtigung eines fiktiven Partnereinkommens bei der Besoldungsbemessung aufgrund dieser fundierten verfassungsrechtlichen Einordnung neu zu bewerten,
     
  • dem Parlament und der Öffentlichkeit regelmäßig über Entwicklungen im Zusammenhang mit den beschlossenen Maßnahmen – beispielsweise die Anzahl an Anträgen auf Ergänzungszuschlag zum Familienzuschlag und den damit korrespondierenden Bürokratieaufwand – zu berichten und diese zu evaluieren.