IT-Talente wecken – Mädchen und Frauen für IT-Berufe begeistern

I. Ausgangslage

Die Digitalisierung verändert Gesellschaft und Wirtschaft, Staat und Politik und beeinflusst alle Lebensbereiche. Die so genannte Künstliche Intelligenz (KI) wird diesen Megatrend verstärken – weltweit, natürlich auch in Deutschland sowie mit ungeahnten Chancen und großen Herausforderungen.

Um diese Chancen zu nutzen und die Herausforderungen zu bestehen, braucht es dringend IT-Fachkräfte in unserem Land. Der Branchenverband Bitkom meldete für das Jahr 2023 rund 149.000 unbesetzte IT-Stellen in deutschen Unternehmen und lange Stellenbesetzungsverfahren. Dabei bestehe der Mangel an IT-Fachkräften unabhängig von Konjunkturzyklen und sei ein systemisches Problem der deutschen Wirtschaft, das sich angesichts der demographischen Entwicklung noch weiter verschärfen werde. Zudem moniert der Verband, dass zu wenig junge Menschen ein Informatikstudium aufnehmen, insbesondere zu wenig Frauen.

Historisch haben Frauen die Informationstechnik maßgeblich beeinflusst: Die britische Mathematikerin Lady Ada Lovelace entwarf im 19. Jahrhundert den ersten Algorithmus, was bis heute als Geburtsstunde der IT gilt. Viele Frauen prägten seitdem die IT-Geschichte, beispiels- weise wäre die Entwicklung von Programmiersprachen ohne die US-amerikanische Informatikerin Grace Hopper ganz anders verlaufen. Die Ordensfrau Mary Kenneth Keller hat sich um
die Entwicklung der Programmiersprache BASIC verdient gemacht. Die durch das Buch und den Spielfilm „Hidden Figures“ bekannten Mathematikerinnen Katherine Johnson, Dorothy Vaughan und Mary Jackson hatten einen entscheidenden Beitrag am Gelingen der Mercury-und Apollo-Programme der NASA.

Wenig Informatikerinnen in Ausbildung, Studium und Unternehmen

Trotz dieser beeindruckenden historischen Vorbilder ist der Frauenanteil heute in der Ausbildung und im Studium gegenüber dem Männeranteil gering. Für das Jahr 2021 hat das Projekt #FrauWirktDigital die Zahlen für verschiedene Bildungswege zusammengeführt. Demnach betrug im Jahr 2021 der Frauenanteil bei neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen zur Fachinformatikerin 9 Prozent, für Digitalisierungsmanagement 24 Prozent. Im Universitätsfach Informatik waren 24 Prozent der neuen Erstsemester Frauen. Während der Frauenanteil in der beruflichen Bildung über die Jahre leicht anstieg, blieb der Anteil der Frauen an den Informatik-Studiengängen auf ähnlichem Niveau.

Das Bild setzt sich in der Wirtschaft fort: Wie #FrauWirktDigital mit Bezug auf Bitkom-Umfragen berichtet, hatte 2021 jedes zehnte Unternehmen überhaupt keine Frau in der Belegschaft. Jedes zweite Unternehmen hatte keine Frau im Top-Management. Bei rund 75 Prozent der Unternehmen lag der Frauenanteil unter 25 Prozent. Lediglich in sieben Prozent der Unternehmen lag der Frauenanteil zwischen 26 und 50 Prozent. Drei von vier Unternehmen haben
diesen Geschlechtersplit als Problem erkannt und gaben an, ohne Frauen ihre Zukunft zu verspielen.

Geschlechterstereotype als Hürde zu den IT-Berufen

Leider gibt es vergleichbar mit den Bereichen Naturwissenschaften und Technik auch für Berufe in der IT starke Geschlechterklischees und -zuschreibungen. Auch wenn in der Pionierphase der Informatik das Programmieren weiblich assoziiert wurde, erlebte sie mit dem Bedeutungszuwachs der Informatik und der Aufwertung des Programmierens aber seit den 80er Jahre einen Domänenwechsel.

Geschlechterstereotype sind in der Gesellschaft und mehr oder weniger bewusst auch im Elternhaus nach wie vor wirksam. Mädchen wird fünfmal häufiger von ihren Familien, Freunden und Bekannten von einer technischen Ausbildung abgeraten als Jungen: Rund 40 Prozent der Schülerinnen gab gegenüber dem „MINT-Nachwuchsbarometer“ an, sie hätten sich gegen eine technische Ausbildung entschieden, weil sie ihr soziales Umfeld entmutigt habe.

Hinzu kommt, wie eine Studie des RWI - Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung erläutert, dass weibliche Jugendliche ihr Potenzial im MINT-Bereich und im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie häufig unterschätzten und in der Folge ab der weiterführen- den Schule oftmals auch das Interesse an der Informatik verlören.

Schule als Ort für „Empowerment“

Wir sind der Auffassung, dass alle Schülerinnen und Schüler ihre Talente und Fähigkeiten entdecken und entwickeln sollten. Das Geschlecht darf daher keine Auswirkung darauf haben, ob sich eine junge Frau für eine IT-Karriere entscheidet oder nicht. Die Schule kann hier ein wichtiger Ort für dieses „Empowerment“ sein.

Ein besonders wichtiger Schritt war daher die Einführung des Pflichtfaches Informatik in der Unterstufe: An allen Schulformen wird es seit dem Schuljahr 2021/22 in den Jahrgangsstufen 5 und 6 unterrichtet. In den Jahrgangsstufen 7 bis 10 können sich Schülerinnen und Schüler je Schulform für Informatik im Wahlpflichtbereich entscheiden. Bei allen Herausforderungen mit Blick auf den Lehrkräftemangel eröffnet sich in diesem Kontext eine wichtige Chance, Mädchen die Grundlagen der Informatik und Digitalisierung nahe zu bringen und sie für die IT zu begeistern. Es kann also ein Grundstein dafür gelegt werden, dass sie aktiv an der Entwicklung einer digitalen Wirtschaft, Arbeit und Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen mitwirken.

Besonders der Kontakt zu weiblichen IT-Fachkräften kann für Schülerinnen ein wichtiger Impuls sein, um Vorbilder zu gewinnen. Deswegen können Schulen im Rahmen der Berufsorientierung, Wettbewerben oder Projekttagen zum Beispiel mit Informatikerinnen regionaler Unternehmen zusammenarbeiten. Auch Informationsveranstaltungen für Eltern zu Karrierechancen für ihre Kinder sollten die Digitalberufe für Frauen besonders hervorheben.

Lehrmaterialien bilden eine wichtige Referenzgröße, um über Berufe und Bildungswege aufzuklären. Sie müssen ohne die herkömmlichen Geschlechterklischees auskommen, sondern im Gegenteil besonders die Geschichten von erfolgreichen Coderinnen erzählen.

Power für Frauen in der beruflichen und akademischen Bildung

Um die Begeisterung von Frauen für IT-Berufe in der beruflichen und akademischen Ausbildung zu fördern, ist es entscheidend, die Vielfalt in der Ausbildungs- und Hochschullandschaft sichtbar zu machen. Ein Beispiel dafür ist, dass Professorinnen und Professoren gezielt Studierende ansprechen, die als Erste in ihrer Familie studieren. Sie teilen dabei ihre eigenen Geschichten, um zu zeigen, dass Universitäten auch für Menschen ohne akademischen Hintergrund offen sind. Diese scheinbar einfache Maßnahme kann viel bewirken, indem sie Aufmerksamkeit schafft und positive Vorbilder bietet.

IT-Branche kann nicht auf das Potential von Frauen verzichten

Die IT-Branche kann und will nicht länger auf das Potential von Frauen verzichten. Der Fachkräftemangel macht vielen Unternehmen zu schaffen und lähmt wirtschaftliches Wachstum, Fortschritt und Wettbewerbsfähigkeit. IT-Berufe bieten Frauen hervorragende Perspektiven und interessante Aufgaben. „Eine Branche, die nie stillsteht, in der man sich stetig entwickeln und wachsen kann. Diese Chance dürfen sich Frauen nicht entgehen lassen, denn die IT lebt
von unterschiedlichen Ansätzen und Blickwinkeln, Logik, Tatendrang, Mut und Kreativität. Eigenschaften die Millionen von Frauen besitzen”, so lautet eines von vielen Plädoyers von Frauen für mehr Diversität und damit für mehr Frauen in der IT-Branche.

II. Beschlussfassung

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • das Schulfach Informatik weiter zu stärken. Ziel ist es, eine kontinuierliche IT-Bildung sicherzustellen und Schülerinnen langfristig für IT-Berufe zu begeistern. Dies soll ihnen helfen, vertiefte Kenntnisse und Fähigkeiten zu entwickeln, die für eine erfolgreiche Karriere im digitalen Bereich notwendig sind.
  • Schulen dabei zu unterstützen, im Rahmen der Berufsorientierung mit weiblichen IT-Fachkräften zusammenzuarbeiten, damit Schülerinnen weibliche Vorbilder kennenlernen können. Elternveranstaltungen sollen auf die besonderen Chancen von Informatikerinnen und anderen IT-Expertinnen am Arbeitsmarkt aufgeklärt werden.
  • für Lehrkräfte eine spezielle Sensibilisierungskampagne zu entwickeln, um unbewusste Vorurteile abzubauen und Schülerinnen aktiv in MINT-Fächern zu fördern.
  • die Gewinnung von Lehrkräften für Informatik in der Sekundarstufe I und II deutlich zu stärken. Dies kann beispielsweise durch gezielte Beratung von Abiturientinnen und Abiturienten, Interessierten für Lehramtsstudien und Bestandslehrkräften bezüglich Zertifikatskursen für Informatik und die weitere Erleichterung und Attraktivierung des Seiteneinstiegs erfolgen.
  • in Zusammenarbeit mit IT-Unternehmen Schülerinnen verstärkt Praktika im IT-Bereich anzubieten und zu vermitteln.
  • regionale Partnerschaften und Netzwerke von Schulen und IT-Unternehmen zu fördern. Auf diese Weise können IT-Unternehmerinnen und Gründerinnen als Vorbilder für Schülerinnen fungieren und sie durch Vorträge, Workshops und Mentoring-Programme inspirieren.
  • ein Programm in Anlehnung an das Programm Medienscouts NRW zu entwickeln, bei dem sich Schülerinnen zu Mentorinnen für IT-Berufe ausbilden lassen. Diese Mentorinnen können dann in Schulen und den sozialen Medien für IT-Berufe werben und andere Mädchen motivieren.
  • gemeinsam mit Hochschulen, IT-Unternehmen und Schulen die Konzepte für „Nächte der Informatik“ und „Science Festivals“ zu evaluieren und für weitere Ausrichtungsorte, besonders Schulen, nutzbar zu machen. Das damit verbundene Ziel soll sein, Mädchen und Frauen verstärkt für Karrieren, auch wissenschaftlicher Art, in der Informatik zu sensibilisieren.
  • die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern zu vereinfachen, damit zum Beispiel Informatik-Wettbewerbe zielgruppengerecht gestaltet und angeboten werden können. Dabei soll der Fokus auf Stärkung der fachlichen Selbstwirksamkeit liegen.
  • landesseitig Mittel zur Verfügung zu stellen, um gezielt die IT-Kompetenz von Schülerinnen und Schülern mithilfe außerschulischer Partner sowohl im Rahmen des schulischen Unterrichts als auch durch freiwillige Angebote, etwa im Rahmen des Angebots des Offenen Ganztags, zu fördern.
  • bei den vom Land beziehungsweise über den Europäischen Sozialfonds geförderten Programmen zum Übergang Schule-Beruf wie „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA) und „Übergangslotsen“ die Ausbildung von Frauen in IT-Berufen verstärkt in den Blick zu nehmen.
  • Lehrmaterialien auf die Darstellung von IT-Fachkräften zu überprüfen, nötigenfalls zu aktualisieren und die besonderen Verdienste von Informatikerinnen für den gesellschaftlichen Fortschritt hervorzuheben.