Jüdisches Leben schützen – Antisemitismus konsequent bekämpfen

I. Ausgangslage

Der grausame terroristische Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 jährt sich in diesem Jahr zum ersten Mal. Die Motive der Hamas sind die Vernichtung Israels und der Hass gegen Jüdinnen und Juden. Am 7. Oktober hat die Terrororganisation Hamas 1.200 Menschen auf brutalste Weise getötet und schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen. Im Zuge des Terrorangriffs wurden 239 Geiseln in den Gazastreifen entführt. Der 7. Oktober ist eine Zäsur; er markiert den schwerwiegendsten Angriff auf Jüdinnen und Juden seit der Shoah. Die Menschen in Israel leben nun seit einem Jahr mit diesem Trauma und mit der Sorge um die Geiseln, deren Chancen, lebend befreit zu werden, mit jedem Tag schwinden. Derzeit sind noch etwa einhundert Menschen in Gefangenschaft der Hamas. Die Geiseln müssen endlich freigelassen werden.

Die Eskalation des Krieges, die seitdem immer weitere Kreise zieht, verschlechtert die Sicherheitslage Israels und der gesamten Region. Sie verursacht vielfaches Leid der Zivilbevölkerung auf israelischer wie auch palästinensischer und nun auch auf libanesischer Seite. Der demokratische Staat Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht sich gegen Terror und gegen Angriffe zu verteidigen. Dabei muss er das humanitäre Völkerrecht einhalten sowie alles dafür tun, dass die Zivilbevölkerung sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen geschützt werden. Nordrhein-Westfalen setzt sich für einen schnellen und dauerhaften Frieden in der Region ein. Dazu gehört auch weiterhin, die humanitäre Lage in Gaza in den Blick zu nehmen. Der Zugang zu Nahrung und medizinischer Versorgung wird immer schwieriger. Es ist ein Akt der Menschlichkeit, der notleidenden Zivilbevölkerung Hilfe zu leisten.

Gegen die Gewaltspirale im Nahen Osten protestieren immer mehr Menschen in Israel – zuletzt mehrere hunderttausend Menschen im ganzen Land. Sie fordern eine Politik, die in den Fokus setzt, dass die Geiseln unversehrt zu ihren Familien zurückkehren, einen nachhaltigen Frieden in der Region und damit auch die Sicherheit des Staates Israels sichert.

Die Menschen in Israel haben das Recht, in Frieden und Freiheit zu leben. Nordrhein-Westfalen steht an der Seite der Menschen in Israel und zu seiner historischen Verantwortung. Das Existenzrecht und die Sicherheit des Staates Israel sind nicht verhandelbar. Nordrhein-Westfalen setzt sich für einen dauerhaften Frieden in der Region ein, der in einer verhandelten Zwei-Staaten-Lösung weiterhin die beste Chance hat. Diese Chance darf nun durch die Eskalation des Krieges nicht gänzlich vertan werden.

Anlässlich des Jahrestages des fürchterlichen Angriffs der Hamas vom 7. Oktober gedenken wir der Opfer des terroristischen Anschlags, der sich gegen Israel und jüdisches Leben richtet. Nach dem 7. Oktober 2023 ist der auch in unserer Gesellschaft – auch nach dem Ende der Shoah – weit verbreitete Antisemitismus in erschreckender Form sichtbar geworden. Seit dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel wurde ein massiver Anstieg antisemitischer Straftaten und Vorfälle verzeichnet, so geht es aus der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität und aus dem 2. Jahresbericht der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) in NRW hervor. Antisemitismus hat verschiedene Erscheinungsformen. Er ist ein Kernelement des Rechtsextremismus und des Islamismus. Auch in linken Milieus werden antisemitische Narrative verbreitet. Nicht zuletzt findet er sich in der Mitte der Gesellschaft. Die Dunkelfeldstudie „Antisemitismus in der Gesamtgesellschaft von Nordrhein-Westfalen im Jahr 2024“ stellt fest, dass je nach Erscheinungsform 8 bis 24 Prozent der Befragten antisemitischen Einstellungen zustimmen. Mit 19 Prozent ist der sekundäre Antisemitismus, also die Relativierung der Shoah, am weitesten verbreitet. Gleich danach kommt der israelbezogene Antisemitismus mit 14 Prozent. Es ist unsere Pflicht für Aufklärung und Sensibilisierung in unserer Gesellschaft zu sorgen, insbesondere in der heranwachsenden Generation. Schulen sind dabei zentrale Orte für präventive Bildungsarbeit, daher sollten Fahrten an Erinnerungs- und Gedenkorte fester Bestandteil der historisch-politischen Bildung im Unterricht sein.

Experten weisen darauf hin, dass der sogenannte Islamische Staat (IS) den Angriff der Hamas auf Israel und den darauffolgenden Krieg gegen die Hamas als Mobilisierungsthema nutzt. In diesem Kontext der zunehmenden islamistischen Radikalisierung und der Aufrufe des IS zu Terroranschlägen in Europa sind auch der islamistische Anschlag von Solingen am 23. August sowie der mutmaßliche Anschlag von München am 5. September zu sehen.

Auch im Rechtsextremismus bleibt der Antisemitismus ein ideologischer Kernbestandteil. Vor nunmehr fünf Jahren, am 9. Oktober 2019, versuchte ein Rechtsterrorist schwer bewaffnet in die Synagoge in Halle einzudringen und dort Jüdinnen und Juden zu töten, die gerade das höchste jüdische Fest, Jom Kippur, feierten. Er scheiterte an der robusten Holztür, die Schüssen und Sprengsätzen standhielt. Nachdem ihm das Eindringen in die Synagoge nicht gelang, tötete er eine Frau und einen jungen Mann, zwei weitere Menschen wurden schwer verletzt.

Die aktuelle Dunkelfeldstudie über die Verbreitung von Antisemitismus in Nordrhein-Westfalen sowie antisemitische Vorfälle im Alltag bis hin zum rechtsterroristischen Anschlag in Halle zeigen, wie verwundbar jüdisches Leben auch 79 Jahre nach dem Ende der Shoah ist. Alle Demokratinnen und Demokraten sind aufgefordert, sich allen Formen von Antisemitismus entgegenzustellen. Es gilt, jüdisches Leben hier in Nordrhein-Westfalen und weltweit zu schützen.

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest:

  • Nordrhein-Westfalen zeigt Solidarität mit den Jüdinnen und Juden hier in Nordrhein-Westfalen und überall in der Welt. Das Land Nordrhein-Westfalen stellt sich gegen jede Form von Antisemitismus.
  • Das Land Nordrhein-Westfalen steht solidarisch an der Seite der israelischen Bevölkerung: Die Sicherheit und Existenz des Staates Israel sind unverbrüchlicher Teil deutscher Staatsräson. In einer verhandelten Zwei-Staaten-Lösung wird weiterhin die beste
  • Chance für eine tragfähige Friedenslösung gesehen.
  • Der demokratische Staat Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich gegen Terror und gegen Angriffe zu verteidigen. Dabei ist das humanitäre Völkerrecht zu beachten.
  • Die israelischen Geiseln der Hamas müssen umgehend und bedingungslos freigelassen werden.
  • Israel muss einen sicheren und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung in Gaza ermöglichen. Angriffe auf die Zivilbevölkerung sowie auf Hilfsorganisationen und ihre Mitarbeitenden in Gaza sind inakzeptabel.
  • Es müssen weiter alle Anstrengungen auf einen humanitären Waffenstillstand gerichtet werden, der zu einer Befreiung der Geiseln führt und der das Sterben beendet.
  • Nordrhein-Westfalen hat eine historisch enge Verbindung zum Staat Israel und den Menschen in Israel, pflegt diese Verbindung intensiv durch ein eigenes Büro in Tel Aviv und fördert strukturell den Austausch in den Bereichen Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Dieses Engagement wollen wir weiter ausbauen und insbesondere den Wiederaufbau unterstützen.
  • Das Land Nordrhein-Westfalen bietet seine Ressourcen und Kompetenzen im Bereich medizinischer Notfallversorgung, Wiederaufbau, Wirtschaftsförderung und Infrastrukturmaßnahmen an, um nach einem Ende des Krieges einen Wiederaufbau in Israel und Gaza zu unterstützen.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • sich an der Seite der Bundesregierung um eine friedvolle Perspektive für den Nahen Osten und die Freilassung der Geiseln zu bemühen.
  • ihren Beitrag zur Verbesserung der humanitären Lage in Gaza zu leisten.
  • die Hilfsinitiative Shalom-Chaveruth fortzuführen und weiter auszubauen.
  • Städtepartnerschaften zwischen israelischen, palästinensischen und nordrhein-westfälischen Städten verstärkt zu unterstützen und zu fördern.
  • Projekte und Initiativen, die aus NRW heraus in den unterschiedlichsten Bereichen der Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft für Versöhnung und friedliche Perspektiven in der Region Nahost arbeiten, gezielt und noch stärker zu unterstützen.
  • das Auslandsbüro des Landes NRW in Tel Aviv vor diesem Hintergrund noch mehr als Kompetenzzentrum für Austauschformate auszubauen, sowohl durch eine Stärkung der Präsenz in Tel Aviv wie auch durch eine Stärkung der Anbindungen nach Nordrhein-
  • Westfalen. Dies soll die Beziehungen zu Akteurinnen und Akteuren der Wirtschaft, der Kultur, der Bildung, der Justiz, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft, insbesondere aus der Mitte der israelischen und palästinensischen Gesellschaft, untereinander und mit Nordrhein-Westfalen intensivieren.
  • in NRW eine Plattform zu bieten, um alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen – wie beispielsweise die IHKen – zusammenzubringen, um konkrete Hilfen, Unterstützung und Perspektiven zu erarbeiten.
  • eine alle zwei Jahre stattfindende internationale Jugendbegegnung zu initiieren und zu unterstützen, an der deutsche, israelische und palästinensische Jugendliche sowie junge Erwachsene teilnehmen.
  • Gedenkstättenfahrten als festes Element im historisch-politischen Bildungsunterrichts zu verankern und jeder Schülerin und jedem Schüler die Möglichkeit zu geben sich intensiv und erfahrbar mit den Folgen des Antisemitismus auseinander zu setzen
  • Die Dunkelfeldstudie auszuwerten und die Ergebnisse für neue Ansätze in der Antisemitismusprävention zu nutzen.
  • die Arbeit der Antisemitismusbeauftragten, der spezialisierten Beratungsstellen zu Antisemitismus und der Meldestelle RIAS NRW weiterhin zu unterstützen.
  • ein Landesantidiskriminierungsgesetz aufzusetzen und eine Antidiskriminierungsstelle einzurichten, denn neben der strafrechtlichen Bekämpfung von antisemitischen Straftaten sollen Betroffene von Alltagsdiskriminierung in ihren Rechten gestärkt werden.
  • sich auf Bundesebene für die dauerhafte Absicherung von Projekten für Demokratie so- wie gegen Rassismus und Antisemitismus einzusetzen.