Katastrophen kennen keine Grenzen. Die gemeinsame Zusammenarbeit mit den Beneluxländern ausbauen.

I. Ausgangslage

Es gibt Situationen im Leben, die Staat sowie Gesellschaft und damit jeden einzelnen Bürger und Bürgerin auf eine harte Probe stellen können. Katastrophen, die einem die Fassung rauben und uns vor schier unlösbare Probleme stellen, wie im Sommer 2021 bei der Flutkatastrophe oder jüngst die Menschen in der Türkei und Syrien, gehören dazu. In solchen Momenten ist schnelles Handeln gefragt, um Leben zu retten und Schäden zu reduzieren. Doch was passiert, wenn eine Katastrophe nicht an der Grenze Halt macht? Die Antwort auf diese Frage lautet: grenzüberschreitender Katastrophenschutz. Nur durch eine enge Zusammenarbeit und Koordination auf nationaler sowie internationaler Ebene können wir im Ernstfall schnell und effektiv in der gesamten Grenzregion handeln. Katastrophenschutz multinational denken Auf multinationaler Ebene ist der Katastrophenschutz 2015 durch die Dritte Weltkonferenz der Vereinten Nationen zur Reduzierung von Katastrophenrisiken in Sendai (Japan) weit vorangekommen. Dort wurde das „Sendai-Rahmenwerk für Katastrophenvorsorge 2015-2030 (Sendai Framework for Disaster Risk Reduction 2015-2030)“ verabschiedet. Die Regierungsvertreter der 187 Staaten einigten sich auf ein sieben Ziele umfassendes Vertragspapier, das für 15 Jahre angelegt ist.

Die verbindlichen Ziele des Abkommens sind wie folgt formuliert:

  1. Die weltweite Zahl der Todesopfer durch Katastrophen erheblich senken,
  2. die Zahl der von Katastrophen betroffenen Menschen deutlich senken,
  3. die volkswirtschaftlichen Katastrophenschäden mindern,
  4. die Katastrophenschäden an wichtiger Infrastruktur und Störungen der Grundversorgung zu verringern,
  5. die Zahl der Länder mit nationalen und lokalen Strategien zur Reduzierung von Katastrophenrisiken deutlich erhöhen,
  6. die internationale Zusammenarbeit und Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Umsetzung nationaler Aktivitäten wesentlich verbessern,
  7. den Zugang zu Frühwarnsystemen sowie zu Informationen über und Bewertungen von Katastrophenrisiken verbessern.

Die Halbzeitüberprüfung des Sendai-Rahmenwerks hat im Oktober 2021 begonnen und wird mit einem Hauptbericht abschließen, der im Zuge des Review-Prozesses der Mitgliedstaaten, der Konsultation der Akteure und der Auswertung anderer UN-Konferenzen und Gipfeltreffen erstellt wird. Der Hauptbericht und die politische Abschlusserklärung sollen auf einer Sitzung der Generalversammlung im Mai 2023 angenommen werden.

In einer ersten Auswertung wurde festgestellt, dass es mehrere Themenbereiche gibt, die sich länderübergreifend abzeichnen. Dazu gehören zum Beispiel Fragen im Zusammenhang mit „Datenerfassungen und Auswertungen“, aber auch Fragen im Zusammenhang nationaler und grenzüberschreitender Strategieansätze sowie von verbesserten Governance-Mechanismen.

Vorhandene Netzwerke effektiv nutzen und ausbauen

Die Corona-Pandemie und auch das Hochwasser vom 14./15.Juli 2021 haben gezeigt, dass wir grenzüberschreitend mit unseren belgischen und niederländischen Nachbarn zusammenarbeiten müssen. In dem Bericht des Ministeriums für Bundes- und Europaangelegenheiten zum Thema „Corona: Wie erfolgreich war das grenzübergreifende Krisenmanagement?“ vom März 2023 wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass es zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Krisensituationen u. a. eines gemeinsamen Monitorings der Situation braucht. So waren im Rahmen der Bekämpfung der Corona-Pandemie vergleichbare Daten die Grundlage für ein grenzüberschreitendes Monitoring der epidemiologischen Lage.

Richtigerweise heißt es in dem Bericht auch wie folgt:

„Im Hinblick auf die Weiterentwicklung des grenzüberschreitenden Krisenmanagements für die Zukunft ist es aber wichtig, den Fokus nicht auf eine Pandemie zu verengen. Die nächste Krise könnte einer vollkommen anderen Natur sein. Es braucht daher Lösungen, die vor allem auf einer Vernetzung der zuständigen Personen auf allen Ebenen sowie vor allem im Grenzgebiet abzielen.“

Das Netzwerk Niederlande und NRW nichtpolizeiliches Krisenmanagement (N4), das im September 2021 gegründet wurde, ist daher ein erster richtiger Schritt. Es soll nämlich die für das Krisenmanagement zuständige Partner in der Grenzregion stärker vernetzen und für einen leichteren Informationsaustausch sowie eine leichtere Koordination sorgen.

Aber dies kann nur ein erster Schritt sein. Denn das Netzwerk N4 bietet viel mehr Möglichkeiten, die nicht ungenutzt gelassen werden dürfen. Unter Punkt 8 des „Grundlagenkonzepts Grenzenlose Sicherheit N4“ heißt es nämlich: „Folgende Themen könnten in die Mehrjahresplanung aufgenommen werden:

  • Risikobestandsaufnahme und -analyse
  • Grenzüberschreitende Risikoprofile, wo relevant
  • Grenzüberschreitende Krisenpläne/Katastrophenschutzpläne
  • Austausch von Daten im Rahmen der Risikobestandsaufnahme und -analyse für die Einsatzzentralen und Krisenteams
  • Vorbereitung und strukturelle Verankerung des Unterstützungszentrums für grenzüberschreitendes Krisenmanagement
  • Durchführung breit angelegter grenzüberschreitender Übungen
  • Verankerung von Wissen und Erfahrung in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
  • Planung und Vertiefung von Themen im Netzwerk“

Vorhandene Defizite klar aufzeigen

Derzeit fehlt eine einheitliche Bündelung und Koordinierung auf übergeordneter Ebene innerhalb der Beziehungen zwischen den Niederlanden, Belgien und Deutschland. Viele der gemeinsamen Projekte zeichnen sich zudem durch einen ad-hoc Charakter aus. Eine übergeordnete Planung und Strategie ist nicht vorhanden, weil es hierfür generell an klaren Strukturen für den Katastrophenschutz fehlt. Auch fehlen die Daten nicht nur im Gesundheitsbereich. Vielmehr ist hier eine generelle Überlegung notwendig, welche Daten im Sinne des Sendai-Abkommens grenzüberschreitend gesammelt werden sollten. Weitere Kooperationsabsprachen, etwa beim Katastrophenschutz oder im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Feuerwehren, fehlen ebenfalls.

Hinzu kommt, dass in den drei Ländern unterschiedliche Feuerwehr- und Katastrophenschutzeinteilungen bestehen. Im Zuge einer effizienten grenzüberschreitenden Hilfeleistung muss vor Ort sofort ersichtlich werden, wie die Zuständigkeitsbereiche definiert sind und bei welcher Feuerwehr bzw. bei welchen Katastrophenhelfern Unterstützung anzufordern ist.

Auch sind in allen drei Ländern die Feuerwehren und Katastrophenhelfer der jeweiligen Nachbarländer in die Ausrückpläne aufzunehmen, damit verlässlich beurteilt werden kann, wo sich in der Grenzregion die Anfahrtszeiten beim Einsatz verkürzen lassen. Daher bedarf es auch verbindlicher Schutzziele sowie der Verbesserung der internen sowie grenzüberschreitenden Kommunikation.

Insbesondere muss auch die Bevölkerung wissen, was im Katastrophenschutzfall zu tun ist. Durch die geografische Lage an der Grenze bedarf es einer verlässlichen sowie mehrsprachigen Information und Kommunikation. Anders als im grenzfernen Gebiet reicht es nicht aus, auf Behörden vor Ort sowie auf das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zu verweisen. Deswegen muss eine gut funktionierende sowie einheitliche, auf die Besonderheiten der Grenzregionen zugeschnittene, Risikokommunikation etabliert werden.

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest:

Katastrophen kennen keine Ländergrenzen, weshalb der Ausbau des grenzüberschreitenden Katastrophenschutzes und die Weiterentwicklung von N4 unabdingbare Bausteine für den Schutz der Menschen in der Grenzregion sind.

Die Landesregierung wird beauftragt,

  1. den Hauptbericht der Generalversammlung von Mai 2023 zur Halbjahresbilanz zur Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 3. Juni 2015 (69/283. Sendai-Rahmen für Katastrophenvorsorge 2015-2030) bei der weiteren Entwicklung des nationalen und grenzüberschreitenden Katastrophenschutzes zu berücksichtigen.
  2. die unter Punkt 8 des „Grundlagenkonzepts Grenzenlose Sicherheit N4“ des Netzwerks Niederlande und NRW nicht-polizeiliches Krisenmanagement von Mai 2021 aufgeführten Punkte für eine Mehrjahresplanung im Rahmen der BENELUX-Strategie von deutscher Seite prioritär zu verfolgen und gemeinsam mit den niederländischen Partnern umzusetzen.
  3. gemeinsame grenzüberschreitende Schutzzieldefinitionen zu schaffen. Diese müssen für unterschiedliche Szenarien (Wald- und Vegetationsbrände, Stromausfälle, Tierseuche, Pandemien, Cybercrime bei KRITIS, Anschlag auf grenznahes Atomkraftwerk) national definiert, grenzüberschreitend abgestimmt und gemeinsam entwickelt und umgesetzt werden.
  4. die Voraussetzungen für die Einführung einer landeseinheitlichen, zentral bewirtschafteten Lagedarstellungssoftware, auf die die unteren Katastrophenschutzbehörden zugreifen könnten, zu schaffen und einzuführen.
  5. sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, gemeinsam mit der belgischen Regierung zu einem Abkommen zu gelangen, dass für einen nuklearen Unfall ein länderübergreifendes Katastrophenschutzkonzept festlegt. Dabei sollen die Erkenntnisse der EMRIC-Arbeitsgruppe Strahlenunfälle genutzt werden.
  6. die Gespräche zur grenzüberschreitenden Notfallrettung und zur grenzüberschreitenden Luftrettung mit den Niederlanden und Belgien weiterzuführen und zu einem positiven Abschluss zu bringen.
  7. eine Strategie zu entwickeln, wie die Risikokommunikation mit Blick auf die Grenzregionen ausgebaut sowie verbessert werden kann.