Kein Verschiebebahnhof im Landeshaushalt! – „Zusätzlichkeit“ von Investitionen aus dem Infrastruktur-Schuldentopf muss dringend sichergestellt werden

I. Ausgangslage

Im Frühjahr 2025 haben CDU/CSU, SPD und Grüne in Bundestag und Bundesrat die Finanzarchitektur der Bundesrepublik grundlegend geändert: Die Schuldenbremse in ihrer bisherigen Form wurde faktisch abgeschafft. Der Bundesrat stimmte am 21. März 2025 auch mit den Stimmen der nordrhein-westfälischen Landesregierung dem zuvor vom Deutschen Bundestag beschlossenen Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (GG) zu. Das Gesetz sieht neben Ausnahmen für Verteidigung, Zivilschutz und Nachrichtendienste sowie Militärhilfen ab einer Höhe von mehr als einem Prozent des BIP von der Schuldenbremse ein sogenanntes Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für Investitionen in die Infrastruktur sowie zur Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 mit einer Laufzeit von zwölf Jahren vor.

Unverständlicherweise werden nach wie vor staatliche Schuldenpakete außerhalb der öffentlichen Kernhaushalte euphemistisch als „Sondervermögen“ bezeichnet, obwohl die Kredite keinesfalls einen Vermögenzuwachs darstellen – weder gehört das geliehene Geld dem Staat, noch stellen die Gläubiger die Mittel kostenfrei zur Verfügung. Von diesem neuen Schuldentopf sollen 100 Milliarden Euro an die Länder und Kommunen fließen und 100 Milliarden Euro an den Klima- und Transformationsfonds (KTF). Außerdem haben Bundestag und Bundesrat die Möglichkeit für die Gesamtheit der Bundesländer geschaffen, sich zukünftig strukturell in Höhe von 0,35 Prozent des BIP zu verschulden. Nachdem die Landesregierung, allen voran Finanzminister Dr. Marcus Optendrenk, sich früher stets als Verfechter der bislang grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse gab, hat die CDU mit ihrer Zustimmung „aus voller Überzeugung“ im Bundesrat nun eine 180-Grad-Wende vollzogen. Im Ergebnis haben sich die Grünen mit ihrem Schuldenkurs durchgesetzt, die bereits seit Jahren die Schuldenbremse schleifen wollen. Dass durch das sogenannte Sondervermögen jedoch faktisch vor allem zusätzliche Spielräume für konsumtive Ausgaben im Kernhaushalt geschaffen werden, wird von den Befürwortern entweder verkannt, sehenden Auges hingenommen oder sogar begrüßt.

Beispielsweise muss durch die Änderung des Grundgesetzes nur noch ein Prozent der Verteidigungsausgaben im regulären Bundeshaushalt abgebildet sein. Das NATO-Ausgabenziel beträgt jedoch bereits seit langem zwei Prozent und ist soeben auf fünf Prozent angehoben worden (3,5 Prozent für Kernaufgaben plus 1,5 Prozent für verteidigungsunterstützende Infrastruktur). Durch dieses Vorgehen wird also im Ergebnis der Verteidigungsetat auf Bundesebene entlastet.

Das Infrastruktur-Schuldenpaket soll laut des neuen Artikels 143h GG „zusätzliche“ Investitionen ermöglichen. Diese „Zusätzlichkeit“ ist dann erfüllt, wenn die Investitionen eine Quote von zehn Prozent des Bundeshaushalts übersteigen. Diese Investitionsquote hat auf Bundes-ebene allerdings 2023 und 2024 bereits zwölf Prozent betragen. Der ehemalige Bundesfinanzminister Christian Lindner hat sogar für das Jahr 2025 einen Plan-Wert von mehr als 16 Prozent angestrebt. Die Wirtschaftsweise Prof. Veronika Grimm ordnet gegenüber dem Medienportal „The Pioneer“ ein: „Wenn die Spielräume ausgenutzt werden, dann könnten im Jahr 2025 Ausgaben in Höhe von etwa 25 Milliarden Euro verschoben und über Kredite finanziert werden.“

Klar ist, dass die deutsche Staatsverschuldung mit diesem gigantischen Schuldenpaket auf einen Wert weit über der EU-Vorgabe von 60 Prozent des BIP ansteigen wird. Die Landesregierung hat als Erfüllungsgehilfin einer schwarz rot-grünen Allianz auf Bundesebene dazu bei-getragen, dass der Druck auf die Bundesregierung massiv gesunken ist, zuerst dringend benötigte strukturelle Reformen umzusetzen. Dabei stehen die sozialen Sicherungssysteme der Bundesrepublik kurz vor dem Kollaps. Zum jetzigen Zeitpunkt ist völlig unklar, wie sich die Sozialversicherungen in den kommenden Jahrzehnten ohne eine starke Erhöhung der Steuerzuschüsse aus dem Bundeshaushalt oder eine spürbare Anhebung der Beiträge noch finanzieren sollen. Das ist nicht nur aus fiskalpolitischer Sicht höchst bedenklich, sondern sorgt auch dafür, dass künftige Generationen über immer weniger Netto vom Brutto verfügen werden.

Hinzu kommt die massiv steigende Schuldenlast, die aus den Steuereinnahmen kommender Generationen beglichen werden muss – inklusive jährlicher Zinszahlungen in Milliardenhöhe. Diese Gelder stehen zukünftig nicht mehr für dringend notwendige Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Innere Sicherheit und Digitalisierung bereit und verringern die Spielräume für Steuersenkungen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.

II. Handlungsnotwendigkeiten

Die Befürchtung einer Verdrängung von staatlichen Kernaufgaben, die bislang im regulären Haushalt abgebildet wurden, in das sogenannte Sondervermögen bewahrheitet sich aktuell bereits ganz konkret auf Bundesebene. Laut FAZ-Artikel vom 23. Mai 2025 hat Bundesfinanzminister Lars Klingbeil die Verfahrenshinweise für die Aufstellung des Bundeshaushalts 2025 am 19. Mai 2025 an die Ministerien versendet.4 Dort heißt es laut FAZ-Artikel: „Die Einzelpläne sind um die Maßnahmen, die zukünftig im Sondervermögen gemäß Artikel 143h des Grundgesetzes finanziert werden, abzusenken. Sie reduzieren den jeweiligen Plafond in gleichem Maße.“ The Pioneer berichtete darüber hinaus am 26. Mai 2025 von einem weiteren Passus: „Hinzu kommen die gemäß der politischen Vereinbarung aus dem Bundeshaushalt in den KTF zu verlagernden Titel mit den entsprechenden bisherigen Ansätzen.“ 5 Mit diesem Vorgehen erkauft sich die neue schwarz-rote Bundesregierung zusätzliche Spielräume im Kernhaushalt für konsumtive Aufgaben und kostspielige Wahlgeschenke, die keineswegs dazu geeignet sind, unsere Volkswirtschaft wieder zurück auf einen Wachstumspfad zu bringen.

Mitte Juni 2025 berichtete das Handelsblatt von einem bislang noch regierungsinternen „Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen von Ländern und Kommunen“ der Bundesregierung, der der Zeitung vorläge. Dort heißt es laut Handelsblatt-Artikel: „Die Länder stellen die zweckentsprechende Mittelverwendung sicher und legen hierfür die Verfahren fest“. In welche Bereiche letztendlich investiert werde, „obliegt im Wesentlichen den Ländern.“ Weiter heißt es in dem Entwurf, dass bei den Ländern „insbesondere“ bei Bildung, der Energie- und Verkehrsinfrastruktur, bei Krankenhäusern, der Digitalisierung und dem Bevölkerungsschutz „ein hoher Investitionsbedarf“ bestehe. Die Länder sollen mit dem Geld „Sachinvestitionen“ für „die in ihre Aufgabenzuständigkeit fallende Infrastruktur“ finanzieren können. Auch der Schlüsselbegriff „Zusätzlichkeit“ finde sich im Gesetzentwurf laut Handelsblatt wieder. Die jüngsten Entwicklungen auf Bundesebene haben jedoch gezeigt, dass selbst die grundgesetzlich festgeschriebene „Zusätzlichkeit“ von Investitionen die Regierung nicht davon abhält, Ausgaben aus dem Kernhaushalt in das sogenannte Sondervermögen bzw. den KTF umzubuchen. Diese Befürchtungen werden dadurch verstärkt, dass die Länder laut Artikel der Rheinischen Post vom 13. Juni 2025 fordern, dass sie mit den Mitteln aus dem Schuldentopf nicht nur zusätzliche Investitionen, sondern auch bereits geplante finanzieren dürfen. Die Länder fordern also, auf die Zusätzlichkeit zu verzichten. Außerdem sieht der Gesetzentwurf vor, dass bis zum 31. Dezember 2029 „mindestens ein Drittel der ihm aus dem Sondervermögen zur Verfügung gestellten Mittel durch konkrete Investitionsmaßnahmen gebunden sein“ müsse. Für die Kommunen ist im Gesetzentwurf ein Anteil von „mindestens“ 60 Prozent der Länderanteile vorgesehen.

Am 18. Juni 2025 kamen die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder in Berlin zu einer Konferenz mit anschließender Besprechung mit Bundeskanzler Friedrich Merz zusammen. Zu Tagesordnungspunkt 6.2 (Steuerliches Investitionssofortprogramm und verlässliche Finanzpartnerschaft von Bund und Ländern) fassten sie gemeinsam mit dem Bundeskanzler einen Beschluss, der unter anderem vorsieht, dass das Zusätzlichkeitskriterium für die Verwendung der Mittel des Infrastruktur-Sondervermögens auf Länder- und kommunaler Ebene – anders als im Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums vorgesehen – entfallen soll. Darüber hinaus planen die Regierungschefs und der Bundeskanzler, den Verwendungszweck des Schuldentopfs für Länder und Kommunen auf Bereiche „wie etwa Sport, Kultur, Innere Sicherheit, Wasserwirtschaft und Wohnungsbau“ auszuweiten. Außerdem werden unter anderem pauschale Zuweisungen gegenüber Genehmigungen von Einzelprojekten präferiert. Ein weiterer Beschluss der Regierungschefinnen und Regierungschefs zu TOP 1.6.1 (Umsetzung des Sondervermögens für Infrastruktur und zum Erreichen der Klimaneutralität sowie struktureller Verschuldungsspielraum der Länder), der wiederum ohne Beteiligung des Bundekanzlers gefasst wurde, beinhaltet unter anderem die Forderung, dass die vorgesehenen Berichtspflichten der Länder und Kommunen wie auch die Kontrollrechte des Bundes „zeitlich und inhaltlich auf ein absolutes Mindestmaß“ zu beschränken sind.

Insbesondere die vorgesehene Streichung des Zusätzlichkeitskriteriums widerspricht vollkommen jeglicher ökonomischen und fiskalischen Vernunft. Damit wird der Weg für einen massiven Verschiebebahnhof in den Landeshaushalten und den kommunalen Haushalten geebnet. Dieser Fehlentwicklung muss sich das Land Nordrhein-Westfalen im weiteren Beratungsverfahren des Gesetzentwurfs entschieden entgegenstellen, um möglichst einen Kurswechsel herbeizuführen. Denn es darf nicht sein, dass aus der Einrichtung des milliardenschweren Infrastruktur-Schuldentopfs nicht einmal eine erhöhte Investitionstätigkeit hervorgeht und Investitionsausgaben, die bislang aus dem Kernhaushalt geleistet werden mussten, zukünftig schlicht aus Schulden finanziert werden.

Nordrhein-Westfalen wird aller Voraussicht nach einen großen Anteil an den Mitteln aus dem Schuldentopf erhalten. Der Referentenentwurf sieht als Verteilmechanismus den Königsteiner Schlüssel vor, sodass unserem Bundesland 21,1 Milliarden Euro über zwölf Jahre zur Verfügung stehen. Auch die Regierungschefinnen und Regierungschefs haben sich laut zitiertem Beschluss am 18. Juni 2025 auf den Königsteiner Schlüssel geeinigt. Vor diesem Hintergrund ist es neben der Beibehaltung der Zusätzlichkeitsklausel essenziell, dass die Landesregierung umgehend einen verbindlichen Fahrplan aufstellt, wofür die Mittel im Land Nordrhein-Westfalen nach ihren Vorstellungen eingesetzt werden sollen und welche Wirkung damit erzielt wer-den kann. Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen sind dabei ebenso wichtig wie eine effektive Erfolgskontrolle und eine transparente Information von Parlament und Öffentlichkeit über die finanzierten Maßnahmen. Nordrhein-Westfalen darf nicht defensiv auf die Initiative des Bundes warten, sondern muss sich aktiv bei der gesetzlichen Ausgestaltung der Weiterleitung der Mit-tel aus dem Infrastruktur-Schuldentopf einbringen.

III. Beschlussfassung

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • sich der eigenen Verantwortung vor dem Hintergrund des historischen Ausmaßes der geplanten zusätzlichen Staatsverschuldung bewusst zu werden und sich aktiv auf Bundesebene bei der weiteren gesetzlichen Ausgestaltung einzubringen – insbesondere hinsichtlich der Verwendung der schuldenfinanzierten Mittel vom Bund auf Landes- und kommunaler Ebene.
  • sich mit Nachdruck für eine konkrete Verankerung des Kriteriums der „Zusätzlichkeit“ von Investitionen aus dem Infrastruktur-Schuldentopf für die Landesebene einzusetzen. Es muss sichergestellt werden, dass die Investitionen der Länder, die bislang aus den Kernhaushalten geleistet wurden, nicht zukünftig durch Schulden finanziert werden, sondern die Mittel aus dem sogenannten Sondervermögen ausschließlich für investive Maßnahmen eingesetzt werden, die über die bisher geplanten Investitionsquoten hinausgehen. Ein Verschiebebahnhof wie auf Bundesebene muss dringend verhindert werden, denn es wäre fatal, wenn durch das historische Schuldenpaket lediglich neuer Spielraum für konsumtive Ausgaben in den öffentlichen Haushalten auf allen staatlichen Ebenen geschaffen würde.
  • sich auch in Bezug auf die Nutzung des Infrastruktur-Schuldentopfes auf kommunaler Ebene für eine angemessene Ausgestaltung des Kriteriums der „Zusätzlichkeit“ sowie einen den Aufgaben entsprechenden Anteil der Kommunen an den Länderanteilen einzusetzen.
  • die Mittel, die das Land aus dem Infrastruktur-Schuldentopf erhält, konsequent für investive Maßnahmen einzusetzen, die den Standort Nordrhein-Westfalens stärken und die notwendigen Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wirtschaftswachstum schaffen. Der Fokus muss auf den Bereichen Straßen- und Energieinfrastruktur, Bildung und Digitalisierung liegen.
  • bei der Verwendung der Mittel von solchen Klimaschutzmaßnahmen abzusehen, die nicht nur keine messbaren Auswirkungen auf das Weltklima haben, sondern zusätzlich zu einer weiteren Deindustrialisierung in unserem Bundesland führen.
  • die Mittel aus dem Schuldentopf nicht für Subventionen vermeintlicher „Zukunftsbrachen“ zu nutzen, sondern vielmehr dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen für alle Unternehmen verbessert werden, sodass sich marktwirtschaftliche Prozesse entfalten können.
  • die Bereitstellung der Mittel mit Maßnahmen zur radikalen Beschleunigung und Entbürokratisierung von Planungs- und Genehmigungsverfahren zu flankieren, um zu verhindern, dass die Gelder in langwierigen Verfahren und ineffizienten Strukturen versickern.