Klagewelle nach der Einspruchswelle gegen neue Grundsteuerbescheide vermeiden – Hunderttausende Einspruchsverfahren gegen die rechtlich umstrittene Grundsteuer müssen jetzt ruhend gestellt werden!
I. Ausgangslage
An der Verfassungsmäßigkeit der neuen Grundsteuer für Nordrhein-Westfalen nach dem Scholz-Modell bestehen bekanntlich erhebliche Zweifel. Neben zahlreichen weiteren prominenten Persönlichkeiten vertritt unter anderem der Verfassungsrechtler Professor Gregor Kirchhof in seinem Gutachten für den Bund der Steuerzahler den Standpunkt, dass das Scholz-Modell, das in Ermangelung eigener landesgesetzlicher Entscheidungen nun für Nordrhein-Westfalen Anwendung findet, verfassungswidrig sein dürfte.
Professor Kirchhof bemängelt insbesondere, dass das Bewertungssystem für bebaute Grundstücke weiterhin zu kompliziert und dem Gesetzgeber keine gleichheitsgerechte Vereinfachung gelungen sei. Die vielen Parameter würden sich nicht zu einem folgerichtigen Bewertungssystem verbinden. Darüber hinaus greift Professor Kirchhof die nicht gesondert angreifbaren Bodenrichtwerte und die Nichtberücksichtigung von Gebäudegutachten bei der Wertermittlung an. Auch die Gewährung eines pauschalen Steuerrabatts für Wohnungen in der Rechtsform einer Genossenschaft ist seiner Auffassung nach verfassungswidrig, da sie Mieter
von solchen Wohnungen zu Lasten aller anderen Steuerzahler ohne sachlichen Grund bevorzugt, obwohl keine Kausalität besteht, dass Genossenschaftswohnungen aufgrund ihrer Rechtsform tatsächlich einen geringeren Wert haben.
Aufgrund der gut begründeten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Grundsteuer nach dem Scholz-Modell in Nordrhein-Westfalen hat die FDP-Landtagsfraktion bereits im Februar 2023 in einem Plenarantrag (Drucksache 18/3288) gefordert, sämtliche Bescheide zur Feststellung des Grundsteuerwertes nur unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO zu erlassen. Denn durch diese Anordnung des Vorbehalts der Nachprüfung werden die Steuerbescheide auch ohne die Einlegung eines individuellen Einspruchs weiterhin sicher geändert, wenn später ein Obergericht feststellt, dass die Regelung in Nordrhein-Westfalen verfassungswidrig ist. Die Steuerpflichtigen hätten also auf die Einlegung ihres Einspruchs verzichten können.
Die schwarz-grüne Landtagsmehrheit hat diesen vernünftigen und verwaltungseffizienten Antrag in der Sitzung des Landtag vom 10. März 2023 abgelehnt. Die Landesregierung, die dem Landtag eine Ablehnung ebenfalls empfohlen hat, versendet seitdem mehrere Millionen Feststellungsbescheide ohne Vorläufigkeitsvermerk. Das Resultat hat die Landesregierung auf Anfrage der FDP-Landtagsfraktion veröffentlichen müssen: Allein bis Ende Mai 2023 sind
mehr als 700.000 Einsprüche gegen die Grundsteuerbescheide eingegangen (Drucksache 18/4964), von denen rund 478.000 auf die Grundsteuerwertfeststellung und weitere 236.000 auf den Grundsteuermessbetrag entfallen. Die Einspruchszahlen dürften heute noch deutlich höher sein.
Die Finanzverwaltung ist in Teilbereichen durch diese Flut von Einsprüchen lahmgelegt. Die Landesregierung hat aber bis heute kein schlüssiges Konzept präsentiert, wie sie dieser unglaublichen Zahl an nun anhängigen Einspruchsverfahren Herr werden will. Sie hat auch kein Konzept vorgelegt, wie sie unter diesen Umständen den sicheren und effizienten Betrieb der Finanzverwaltung weiter garantieren kann.
Die Deutsche Steuergewerkschaft (DSTG) berichtet beispielsweise in der dpa-Meldung vom 11. Juli 2023 „Gewerkschaft fordert mehr Personal für Grundsteuer-Schätzungen“ über die aktuell bereits chaotischen und belastenden Zustände in den Finanzämtern.
Dabei haben die Finanzämter bislang nur über solche Einsprüche entschieden, die sich im jeweiligen Einzelfall gegen andere Punkte als die Verfassungsmäßigkeit der Grundsteuer richten. Die Steuerpflichtigen werden nicht automatisch über den weiteren Verfahrensgang informiert und wissen daher auch nicht, wie es mit ihren Einsprüchen weitergeht und wann sie mit einer Entscheidung dazu rechnen können.
II. Handlungsnotwendigkeiten
Damit die Einsprüche zunächst in einem rechtssicheren Status verweilen und später weiter bearbeitet werden können, ist es erforderlich, dass die Finanzverwaltung die nun anhängigen Einspruchsverfahren durch eine Allgemeinverfügung ruhend stellt und die Einspruchsführer über diesen Schritt sowie die Rechtsschutzmöglichkeiten informiert (§ 363 Abs. 2 S. 3 AO).
Diese sogenannte Zweckmäßigkeitsruhe sollte erst dann enden, wenn der Bundesfinanzhof oder letztinstanzlich das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit der neuen Grundsteuer nach dem Scholz-Modell entschieden hat.
Über die einzelnen verfassungsrechtlich strittigen Punkte der Grundsteuerbescheide nach dem Scholz-Modell sollte schnellstmöglich höchstrichterlich abschließend in Musterverfahren entschieden werden, um Klarheit für Millionen betroffene Steuerpflichtige zu schaffen. Wenn der Finanzminister dieses ablehnt, dürfte der Einspruchswelle schon bald eine Klagewelle folgen. Entsprechende Musterklagen sind in einigen Bundesländern bereits eingelegt.
III. Beschlussfassung
Der Landtag beauftragt die Landesregierung, die Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen anzuweisen, dass diese
- im Wege einer Allgemeinverfügung das Ruhen des Verfahrens für solche Einsprüche anordnet, die sich gegen die Verfassungswidrigkeit der Grundsteuerbescheide richten;
- Bescheide zur Grundsteuer mit einem Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 AO versieht.