Mit Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz gegen die Verschärfung des Personalmangels in der Justiz

I. Ausgangslage

Ab dem Jahre 2025 gehen die ersten sogenannten „Babyboomer“ in Rente. Richter, Rechtpfleger und andere Justizbeschäftige scheiden aus dem Arbeitsleben aus, weniger Anwärter rücken nach. Wie also ist die Arbeit der Justiz in Zukunft mit weniger Bediensteten zu erledigen? Die Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sind notwendige Mittel, um den Personalrückgang auszugleichen.

Digitalisierung und Künstliche Intelligenz ermöglichen es in einem ersten Schritt, dass sich Richter und Justizbedienstete auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können. So ist es möglich, dass die guten Arbeitsbedingungen in der Justiz erhalten bleiben und die Qualität der Gerichtsentscheidungen trotz gestiegener Fallzahlen pro Richter gesichert wird.

In einem zweiten Schritt können sodann repetitive standardisierte Aufgaben ohne Abwägungserfordernis durch Künstliche Intelligenz erledigt werden, etwa das Ausstellen von Rechtsberatungsscheinen oder die gerichtliche Bearbeitung von Insolvenzanträgen.
Künstliche Intelligenz und Digitalisierung bieten somit in Zeiten von Personalknappheit Lösungen, die Funktionsfähigkeit der Justiz sichern.

Schon heute ist eine rechtskonforme gerichtliche Bearbeitung sogenannter Masseverfahren (z.B. Dieselskandal) ohne die Hilfe von Digitalisierung und KI nicht denkbar.

Der Einsatz folgender sieben Projekte wird daher von einer Reihe von Sachverständigen in der Sitzung des Rechtsausschusses am 18. Januar 2023 übereinstimmend als erforderlich angesehen, um Qualität und Effizienz in der Justiz zu steigern. Dabei handelt es sich insbesondere um Systeme zur schnelleren Bearbeitung von Masseverfahren und repetitiven Routinetätigkeiten ohne Abwägung. Grundlage der Sachverständigenanhörung und -empfehlungen war das Grundlagenpapier zur 74. Jahrestagung der Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landgerichts und des Bundesgerichtshofs vom bis 25. Mai 2022 in Rostock mit dem Titel „Einsatz von KI und algorithmischen Systemen in der Justiz“.

Einsatz von Automatisierungssoftware, Unterstützung bei der Aktendurchdringung:

Die Systeme Codefy bzw. OLGA, FRAUKE und Vergleichbares bieten Richtern vielverschende Unterstützung im Vorfeld der Entscheidungsfindung insbesondere bei Masseverfahren. Das System „Codefy“ aus Baden-Württemberg ließe sich unmittelbar in das nordrhein-westfälische eAkten-System „e²A“ integrieren.

Automatische Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen:

Ein Pilotprojekt könnte in der Justiz kurzfristig beginnen, da entsprechende Programme bereits entwickelt sind. Mithilfe dieses Projekts könnten gerichtliche Entscheidungen binnen Sekunden anonymisiert werden. Dadurch ließe sich die Quote veröffentlichter Urteile und Beschlüsse und somit die Transparenz der Justiz insgesamt erheblich steigern.

Metadatenerfassung: System „SMART“ oder Vergleichbares:

Die Erfassung von Metadaten ist für die Geschäftsstellen der Justiz mit einem hohen Zeitaufwand verbunden. Das System „SMART“ erledigt diese Aufgabe automatisch und ist bereits am Landgericht Kaiserslautern im Echtbetrieb im Einsatz. Ein Transfer nach Nordrhein-Westfalen und eine Integration in „e²A“ könnte zeitnah erfolgen.

Zeitstrahlanalyse: Ein von der Firma SINC entwickeltes Projekt oder Vergleichbares:

Das System ist in der Lage, die Chronologie des Sachverhalts aus allen zur Akte gereichten Schriftstücken zuverlässig zu extrahieren. Die richterliche Tätigkeit würde dadurch erheblich erleichtert werden. Die Entwicklung dieses Systems ist soweit abgeschlossen, dass es zuverlässig funktioniert, es müsste von der Justiz nur noch erworben werden.

Automatisierte Spracherkennung: „Speech-to-Text“ (S2T) oder Vergleichbares:

Insbesondere bei Beweisaufnahmen in Zivilprozessen würde durch dieses Projekt die Effizienz und Qualität gesteigert werden. Der Richter diktiert die Zeugenaussagen in den Computer, der das Diktat sofort in einen Text wandelt. Die Beweisaufnahme würde deutlich weniger Zeit in Anspruch nehmen und der Inhalt der Aussagen zuverlässig wiedergegeben. Schreibkräfte könnten eingespart werden. Die Entwicklung ist abgeschlossen, die Einführung erfolgt in Absprache mit den Gerichten, daher ist mit einem kurzfristigen Einsatz zu rechnen.

Maschineller Übersetzungsservice:

In der Praxis besteht ein großes Bedürfnis, kurzfristig und kostenneutral übersetzte Texte (häufig Urkunden), die Gegenstand des Verfahrens sind, der Entscheidung zugrunde zu legen. Das Projekt könnte nach einer Trainingszeit in den Echtbetrieb überführt werden.

Digitale Anträge:

„Digitale Rechtsantragstellen“ ist ein vom Bundesministerium der Justiz gefördertes Projekt, das sich dem Zugang der Bürger zu den Gerichten widmet. Der Zugang muss vereinfacht werden, um dem Bürger eine zügige Lösung seines Gesuchs zu ermöglichen (z.B. Antrag auf Erbschein, Kirchenaustritt). In acht Bundesländern ist die digitale Beantragung einen Erbscheins bereits möglich – nicht jedoch in Nordrhein-Westfalen. Das muss sich ändern!

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest:

Die Digitalisierung und der Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Justiz sind im Hinblick auf den demografischen Wandel unerlässlich, um die Funktionsfähigkeit der Justiz zu sichern.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • die erforderliche Ausstattung und Software anzuschaffen, um sicherzustellen, dass die in das bestehende System einzubauenden Strukturen zu den obigen Punkten 1 bis 7 zügig und mit Erfolg in Nordrhein-Westfalen eingesetzt werden können. Zum Erhalt ihrer Funktionsfähigkeit und zur Steigerung ihrer Effizienz muss die Justiz spätestens ab 2025 von den einsatzbereiten Digitalisierungs- und KI-Projekten profitieren.
  • für den Justizbereich ihre KI- und Digitalisierungs-Strategie vorzulegen, aus der sich ergibt, wie die Justiz und Justizverwaltung in Nordrhein-Westfalen auf der Grundlage weiterer aktueller Forschungsprojekte zukünftig nach Ansicht der Landesregierung umgestaltet werden könnte.