Landesregierung lässt Kinder, Eltern, Träger und Kommunen beim OGS-Rechtsanspruch im Regen stehen
I. Ausgangslage
Das Warten hat ein Ende – auch wenn es am Ende vergebens ist. Denn nun steht fest: Nord- rhein-Westfalen bekommt kein Ausführungsgesetz für den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz in der Grundschule. Die Landesregierung hat am 5. März 2024 anstelle eines Gesetzespakets lediglich ein dürftiges, dreiseitiges Papier mit dem Namen „Fachliche Grundlagen zur Umsetzung des Rechtsanspruches auf Ganztagsförderung für Kinder im Grundschulalter ab 2026“gebilligt. Und: Dieser Regierungsbeschluss ist ohne jede Vorankündigung und öffentliches Statement erfolgt. Offensichtlich soll dieser bildungspolitische Offenbarungseid unter den Teppich gekehrt werden.
Der Beschluss löste Ratlosigkeit bei Schulen, OGS-Trägern und Eltern aus: Was ist Wesenskern des dünnen Papiers? Offenbar soll rechtlich alles beim Alten bleiben. Dabei ist der Bedarf nach Rechtssicherheit riesig und entsprechende Änderungsnotwendigkeiten wurden auch gutachterlich bestätigt.
Ziel muss es sein, überall eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Kinder- und Jugendhilfe, Kommunen und Schulen zu gewährleisten und zu stärken, diese auch rechtlich sicher zu verankern und den Rechtsanspruch reibungslos umzusetzen. Diese Chance, das OGS-System nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ weiterzuentwickeln, lässt die Landesregierung allerdings nun träge liegen. Dabei bestünde die Chance, einen bildungspolitischen Meilenstein in NRW zu erreichen. Die Landesregierung zeigt sich aber gänzlich unmotiviert, die notwendigen Schritte für bessere Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen und für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu organisieren.
Allen ist klar, dass die verlässlichen und qualitativ hochwertigen Bildungsangebote der OGS dringend benötigt und ausgebaut werden müssen. Insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels können wir es uns nicht leisten, dass wegen fehlender Bildungs- und Betreuungsangebote am Nachmittag Eltern ihre Arbeitszeit reduzieren müssen. Gleichzeitig verkennen wir aber auch nicht, dass OGS nicht allein ein Instrument für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist. Vielmehr sichert das Ganztagsangebot Bildungschancen für alle Kinder im Land, unabhängig davon, ob ihre Eltern berufstätig sind oder nicht. Das Land muss seine Verantwortung
wahrnehmen und die Kommunen dabei unterstützen, dieses Angebot jedem Kind unterbreiten zu können –unabhängig von der konkreten Finanzlage der jeweiligen Stadt.
Das bisherige NRW-System muss vor dem Hintergrund des neuen OGS-Rechtsanspruchs dringend weiterentwickelt werden. Auf gewachsene Strukturen können und müssen wir aufbauen. Dennoch müssen wir dringend darauf achten, dass es nicht vom Glück abhängen darf, ob OGS und Schule vor Ort schon heute gut miteinander zusammenarbeiten.
OGS-Träger dürfen nicht der „kleine Partner nach der Schule“ bleiben, sondern müssen gestärkt werden. Wir sehen große Chancen in der Einbindung von außerschulischen Akteuren wie den Trägern der Jugendhilfe, Sportvereinen oder Kulturangeboten. Diese Kooperationen müssen wir nicht nur in der Praxis ermöglichen, sondern auch gesetzlich verankern, damit sich Eltern und Kinder gleichermaßen darauf verlassen können.
In ihrem Koalitionsvertrag kündigen CDU und Bündnis 90/DIE GRÜNEN eine schulrechtliche Verankerung und die Entwicklung von Mindeststandards für den Ganztag an. Alle beteiligten Verbände aus Schule, Jugendhilfe und Kommunen haben immer wieder den sogenannten Dialogprozess der Landesregierung kritisiert. Sie sind daher vom jetzigen Ergebnis zwar nicht überrascht, aber dennoch tief enttäuscht. Nun muss nüchtern festgestellt werden: Die NRW- Landesregierung hat den Rat von Experten und Beteiligten nicht ausreichend ernst genommen. Selbst die Empfehlungen des eigens einberufenen Expertenbeirats werden kaum berücksichtigt.
Die Landesregierung zeigt sich beratungsresistent und nicht willens, am Status quo etwas zu ändern. Schlimmer noch, werden auf Grund der Planlosigkeit der Landesregierung ungeklärte Themen und Problemstellungen auf die Schulen, OGS-Träger und damit in letzter Konsequenz auf die Familien in NRW abgeschoben. Die schwarz-grüne Landesregierung vernachlässigt ihre Verantwortung gegenüber den Kindern in NRW sträflich. Die Umsetzung des OGS-Rechtsanspruchs in NRW ist ohne Zweifel mit erheblichen Herausforderungen verbunden. Aber ein ganzheitliches Bildungsangebot scheint der Landesregierung zu wenig wert zu sein. Das simple Weiterreichen von Finanzmitteln aus Berlin reicht nicht aus.
Diese Haltung belastet nicht nur die Familien im Land, sie macht auch die Arbeitsplätze in Schule und OGS nicht attraktiver. Die jetzige Entscheidung der Landesregierung beweist, dass Bildungs- und Aufstiegschancen keine Priorität haben. Sie ist einer Bankrotterklärung vor dem eigenen Anspruch, ein Fachkräftegebot umzusetzen, multiprofessionelle Teams zu fördern und vor allem für die Familien mit Schulkindern Verbindlichkeit und Verlässlichkeit zu schaffen.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:
- Bildung ist Ländersache. Die Landesregierung trägt Verantwortung für gelingende Bildung unserer Kinder, indem sie ein hochwertiges Bildungsangebot bereitstellt.
- Die Bundesländer tragen die zentrale Verantwortung für die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsförderung für Kinder im Grundschulalter.
- Zur qualitativen Umsetzung des ab 2026 bestehenden Rechtsanspruchs auf Ganztagsförderung für Kinder im Grundschulalter ist die gesetzliche Verankerung in einem Ausführungsgesetz zwingend notwendig.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- einen Gesetzentwurf für ein Landesausführungsgesetz zum Rechtsanspruch auf Ganztagsförderung für Kinder im Grundschulalter ab 2026 bis zum Sommer dieses Jahres vorzulegen. In diesem Zuge ist eine ordentliche Verbändebeteiligung durchzuführen und das Parlament zu beteiligen.
- im Landesausführungsgesetz Standards für den Offenen Ganztag einzuführen und somit mindestens schrittweise aufwachsend landesweit eine hohe Qualität der Angebote zu sichern. Diese Mindeststandards sollen unter anderem den zeitlichen Umfang (Kernangebot und Randzeiten) und den Personaleinsatz regeln.
- im Landesausführungsgesetz Regelungen für verbindliche Strukturen der Zusammenarbeit zwischen Schulen, OGS-Trägern und außerschulischen Akteuren sicherzustellen.
- für die Umsetzung des Rechtsanspruchs unmittelbar den notwendigen Finanzrahmen bereitzustellen und einen konkreten Zeitplan zur Beteiligung der Akteure und Umsetzung vorzulegen.
- in Zusammenarbeit mit den Kommunen landesweit ein verlässliches und qualitativ hochwertiges, ganztägiges Bildungsangebot für Kinder im Grundschulalter und ihre Familien zu gewährleisten.