Lange Wartezeit für Kirchenaustritte

Der Kölner Stadtanzeiger berichtete am 23.07.2022 unter der Überschrift „Rekordzahl – Mehr als 10.000 Kirchenaustritte in Köln im ersten Halbjahr“ Folgendes: „Die Kirchenaustritte in der Stadt Köln liegen in der ersten Hälfte des Jahres 2022 erneut auf Rekordniveau. Von Januar bis Juni erklärten 10.536 Kölnerinnen und Kölner beim Amtsgericht ihren Austritt. Das sind noch einmal 1.332 mehr als 2021. In diesem Jahr hatten sich die Kirchenaustritte gegenüber dem bisherigen Höchststand 2019 fast verdoppelt.“

Wer in der Städteregion Aachen aus der Kirche austreten will, kann das frühestens im  Januar 2023 tun. Alle Termine am Amtsgericht Aachen für Dezember, die am vorletzten Samstag, dem 01.10.2022, online gestellt wurden, sind vergeben. In der Aachener Zeitung heißt es unter dem Titel „Vier Monate Wartezeit auf Kirchenaustritt in Aachen“ am 05.10.2022: „Die Zahl der Anfragen bewegt sich mehr oder weniger gleichbleibend auf hohem Stand“, teilte die Sprecherin des Amtsgerichts mit. Im Mai war deswegen das Personal in der Kirchenaustrittsstelle verstärkt worden. Die Zahl der Termine konnte so um 40 Prozent auf rund 480 pro Monat aufgestockt werden. Doch diese Verstärkung wurde Ende August laut der Sprecherin des Amtsgerichts „aufgrund der wieder deutlich verschlechterten Personalsituation“ beendet. Damit hat sich am Amtsgericht Aachen wieder die Situation eingestellt, wie sie über Monate Bestand hatte: Nur wer am Ersten eines Monats nach 7 Uhr schnell auf dem Terminbuchungsportal unter dem Link justiztermine.nrw.de zuschlägt, hat überhaupt eine Chance, innerhalb von drei Monaten aus der Kirche auszutreten. Für alle anderen beträgt die Wartezeit vier Monate – oder noch länger. „Kurzfristig ist mit einer Verbesserung der Personalsituation nicht zu rechnen“, sagte die Sprecherin des Amtsgerichts. Erst Ende Januar 2023 kämen der nächste Jahrgang der frisch geprüften Justizfachangestellten an die Gerichte. Da aber schon jetzt feststehe, dass weitere Bedienstete im März und April ausschieden, sei abzuwarten, ob es überhaupt zu einer nachhaltigen Verbesserung der Personallage kommen könne.

Der Mangel an Gerichtsterminen hat Folgewirkungen, die sich für den Einzelnen als durchaus weitreichend darstellen können: Die Kirchensteuerpflicht endet in der Regel in dem Monat, in dem der Kirchenaustritt erfolgt ist. In einigen Bundesländern findet der wirksame Austritt allerdings erst einen bis zwei Monate später statt. 

In der Westdeutschen Zeitung vom 16.04.2021 wurde unter der Überschrift „Kirchenaustritt soll auch rückwirkend gelten“ Folgendes ausgeführt: „Ein Krefelder Ehepaar will die lange Wartezeit nun nicht länger hinnehmen. Denn jeder Monat, den die beiden gegen ihren Willen in der Kirche verbleiben müssen, eben weil der Austritt nicht möglich ist, kostet sie Kirchensteuer - für eine Organisation, die sie gerade nicht mehr unterstützen wollen. Der seit Monaten auch wegen Corona wachsende Stau nicht realisierter Kirchenaustritte veranlasst das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) zu dieser Forderung: Die Wirksamkeit des Kirchenaustritts soll rückwirkend mit dem Datum eintreten, ab dem der Austrittswillige dies gegenüber dem Amtsgericht kundtut.“

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Warum wird das Anmeldesystem bzgl. der Kirchenaustritte nicht bei den Amtsgerichten generell freigeschaltet, so dass sich jede und jeder Austrittswillige hierzu online anmelden kann und ab diesem Zeitpunkt dann die Kirchensteuerpflicht entfällt, nachdem diese/ dieser dann „höchstpersönlich“ die Erklärung nach erteiltem Termin abgegeben hat und damit der Austritt vollzogen wurde?
  2. Warum richtet die Landesregierung nicht ein zentrales Austrittsmeldesystem ein, wie es bspw. bei der Ermittlung von Grundstücksdaten zur Ermittlung der neuen Grundsteuer möglich zur Anwendung kommt?
  3. Wie viele Kirchenaustritte gab es in den letzten 24 Monaten (01.10.2020-30.09.2022) bezogen auf alle Amtsgerichte in NRW?
  4. Was wäre rechtlich notwendig durch den Gesetzgeber neu zu regeln, wenn Austrittswillige die „höchstpersönliche Erklärung“ kostenlos vor einem Notar abgeben würden?
  5. Sieht die Landesregierung in der nicht sofort vollziehbaren Austrittsmöglichkeit nicht einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht jedes einzelnen/jeder einzelnen, weil dieser/diese gegen seinen/ihren Willen für weitere Monate in der Institution Kirche verbleiben muss, obwohl eine Zwangsmitgliedschaft unzulässig wäre?

Dr. Werner Pfeil