Laufzeitverlängerung von Tihange 1 und der Espoo-Umsetzungsausschuss – ist in Ermangelung einer grenzüberschreitenden Auswirkung keine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich?

Die Espoo-Konvention ist ein Instrument zur Beteiligung betroffener Staaten und deren Öffentlichkeit an Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren in anderen Staaten für Vorhaben, die erhebliche grenzüberschreitenden Auswirkungen haben können.

Das Übereinkommen von Espoo über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) im grenzüberschreitenden Rahmen ist ein Instrument der UN-Wirtschaftskommission für Europa (ECE) zur Beteiligung betroffener Staaten und deren Öffentlichkeit an UVP-Verfahren in anderen Staaten für Vorhaben, die erhebliche grenzüberschreitende Auswirkungen haben können. Die Espoo-Konvention ist seit dem 10. September 1997 in Kraft.

Abgesehen von der Rechtsprechung des EuGH wird auch im Rahmen dieser Espoo-Konvention das Thema AKW-Laufzeitverlängerungen behandelt. Sie befasst sich daneben auch mit der Erstellung einer Anleitung zur Anwendbarkeit der Espoo-Konvention in Bezug auf Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken, da in diesem Bereich laut Espoo-Sekretariat rechtliche Unsicherheit besteht. Dieser Leitfaden soll den Vertragsstaaten bei der Entscheidung helfen, ob für eine geplante Laufzeitverlängerung für ein Atomkraftwerk eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung nach der Espoo Konvention durchgeführt werden muss. Ein erster Entwurf von Leitlinien wurde im Vorfeld der Espoo Working Group 9, die im August 2020 stattfand, erarbeitet. Es war beabsichtigt, den endgültigen Entwurf im Rahmen der 8. Vertragsstaatenkonferenz der Espoo Konvention (8th Meeting of the Parties to the Convention on Environmental Impact Assessment in a Transboundary Context) zu verabschieden.

Die Treffen der Ad hoc Arbeitsgruppe zur Anwendung der Espoo-Konvention auf Laufzeitverlängerungen von AKW wurden wie viele internationale Treffen aufgrund der COVID-19-Pandemie abgesagt. Seit Mai 2020 tagte die Ad hoc Arbeitsgruppe regelmäßig virtuell.

Aufgrund des Ukraine-Krieges und der damit einhergehenden politischen sowie energiewirtschaftlichen Veränderungen denken nationale Regierungen wie die Belgiens über Verlängerungen von Laufzeiten alter AKW nach.

Es gibt unterschiedlichen Bewertung zur Frage, ob eine UVP bei den Blöcken Tihange 1 und Doel 1 und 2 im Espoo-Verfahren notwendig ist. Bezüglich des Reaktors Tihange 1 sieht der Umsetzungsausschuss der Espoo-Konvention (Espoo Implementation Committee) (anders als zu Doel 1 und 2) weiteren Erörterungsbedarf. Im Gegensatz zu den Reaktoren Doel 1 und Doel 2 wurde für die Laufzeitverlängerung von Tihange 1 eine innerstaatliche UVP durchgeführt. Die belgischen Behörden vertreten die Auffassung, dass in Ermangelung grenzüberschreitender Auswirkungen dieser Laufzeitverlängerung bei Tihange 1 keine grenzüberschreitende UVP erforderlich war.

In einem Bericht des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 22.02.2022 (Vorlage 17/6481) zum Sachstand des UVP-Verfahrens und zu weiteren Aktivitäten der Landesregierung im Kontext belgischer Kernreaktoren heißt es auf den Seiten fünf und sechs unter dem Titel „Grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zur Laufzeitverlängerung der belgischen Kernreaktoren Doel 1 und Doel 2“, dass die Sitzungsergebnisse des Espoo-Umsetzungsausschusses vom 01. bis 04.02.2022 zum Zeitpunkt der Abfassung des Berichts nicht vorlagen.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Wie sind die Besprechungen des Espoo-Umsetzungsausschusses vom 01.04.2022 bis 04.02.2022 im Ergebnis verlaufen?
  2. Mit welcher Konsequenz bewertet die Landesregierung den Punkt sowohl EU-rechtlich (UVP-Richtlinie der EU) als auch völkerrechtlich (Espoo-Abkommen), dass von belgischer Seite keine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung bei Tihange 1 als notwendig erachtet wird?
  3. Wie ist der Entwurf zur grenzüberschreitenden UVP bei Laufzeitverlängerungen von AKW im Rahmen der 8. Vertragsstaatenkonferenz der Espoo Konvention konkret ausgestaltet?
  4. Gibt es abseits des Entwurfes weitere Handlungsempfehlungen der Espoo-Arbeitsgruppe, um grenzüberschreitende UVP bei Laufzeitverlängerungen von AKW aufgrund der veränderten politischen und energiewirtschaftlichen Situation rechtssicher durchzuführen, wenn es Laufzeitverlängerungen geben sollte?
  5. Hat die Landesregierung als aktivlegitimierte Verfahrenspartei zu der grenzüberschreitenden UVP und dem Espoo-Konsultationsverfahren zu Doel 1 und 2 insbesondere mit Blick auf die grenzüberschreitenden Abstimmungsprozesse Verbesserungsvorschläge?

Dr. Werner Pfeil