Lebensmittelverschwendung auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette bekämpfen

I. Ausgangslage

Die weltweite Lebensmittelverschwendung ist ein großes Problem unserer Zeit. Unabhängig davon, ob man auf den einzelnen Stufen von Verschwendung oder von mehr oder weniger vermeidbaren Verlusten spricht: Jedes Jahr werden weltweit 1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel weggeworfen. Dazu zählen aber auch nicht essbare Bestandteile wie Nuss- und Obstschalen, Strünke und Blätter, Kaffeesatz oder Knochen. Ein nicht unerheblicher Teil dieser weggeworfenen Lebensmittel ist noch genießbar und könnte verzehrt werden. Stattdessen nehmen sie ihren Weg in die Mülltonnen und verursachen hohe Kosten für Wirtschaft und Umwelt. 7

Die Entsorgung von Lebensmitteln lässt sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette feststellen. Laut Thünen-Institut und Statistischem Bundesamt landen jährlich etwa elf Millionen Tonnen Lebensmittel in Deutschland auf dem Müll. Lediglich zwei Prozent der Lebensmittelabfälle entstehen bei den Landwirtinnen und Landwirten. Dies ist oft auf Lebensmittelverluste durch beschädigte Produkte bei Ernte oder Transport oder durch die Abweichung von Handelsstandards zurückzuführen. 15 Prozent der Lebensmittelabfälle entstehen in der Lebensmittelverarbeitung teilweise durch die Abweichung von Standards, 17 Prozent bei der Außer-Haus-Verpflegung. Im Lebensmitteleinzelhandel fallen sieben Prozent an. Der Großteil und damit 59 Prozent der Lebensmittel werden von Verbraucherinnen und Verbrauchern weggeworfen. Demnach entsorgt jede Verbraucherin und jeder Verbraucher pro Jahr etwa 78 Kilogramm Nahrung. Weltweit werden sogar mehr als ein Drittel aller Lebensmittel weggeworfen.

Die Vereinten Nationen haben sich vorgenommen, bis zum Jahr 2030 die weltweite Lebensmittelverschwendung pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene zu halbieren und die entlang der Produktion und Lieferkette entstehenden Nahrungsmittelverluste einschließlich Nachernteverluste messbar zu verringern. Dieses Ziel ist ebenfalls in der „Farm to Fork“-Strategie der EU sowie in der „Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung“ des Bundes festgeschrieben.

Lebensmittelverschwendung ist allerdings nicht nur Ressourcenverschwendung. Sie verursacht auch finanzielle und ökologische Kosten. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat berechnet, dass weltweit durch Lebensmittelverschwendung Kosten in Höhe von rund einer Billion US-Dollar entstehen - Jahr für Jahr. Weiterhin entstehen laut FAO Umweltkosten von rund 700 Milliarden Euro.

Lebensmittelverschwendung hat ebenfalls einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den Klimawandel. Denn neben der Verschwendung von Ressourcen ist die Lebensmittelverschwendung schädlich für das Klima. Nach Schätzungen der EU-Kommission ist Lebensmittelverschwendung für sechs Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Die größte Lebensmittelverschwendung findet sich wie eingangs beschrieben am Ende der Wertschöpfungskette bei den Verbrauchern wieder. Hauptgrund ist das vielfach als Verfallsdatum missverstandene Mindesthaltbarkeitsdatum. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher entsorgen ihre Lebensmittel aufgrund von Unwissenheit und schlechter Lagerung. Hier ist vor allem eine bessere Aufklärung notwendig.

Lebensmittelverschwendung kann am besten vermieden werden, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher genau über Haptik, Geschmack und Geruch der Lebensmittel Bescheid wissen. Falsche Lagerung ist ein Hauptgrund, warum Lebensmittel in privaten Haushalten weggeworfen werden. Die richtige Lagerung der Lebensmittel beeinflusst die Haltbarkeit der Lebensmittel enorm. Kühlbedürftige Produkte sollten daher nicht unnötig lange außerhalb des Kühlschrankes verweilen, da das die Kühlkette unterbricht.

Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) bietet eine gute Orientierungshilfe für die Haltbarkeit von Lebensmitteln. Viele verwechseln das MHD allerdings mit dem Verbrauchsdatum. Während viele Lebensmittel nach Ablauf des MHD noch voll genießbar sind, sollten Lebensmittel, die ein Verbrauchsdatum haben, auch in diesem Zeitraum gegessen werden. Laut einer Befragung der Verbraucherzentrale geben zwar 88 Prozent der Befragten an, dass sie wissen wie das MHD zu verstehen ist. Dies spiegelt sich allerdings nicht in der Statistik wider.

Auch Start-ups haben sich dem Kampf gegen Lebensmittelverschwendung verschrieben. Das niederländische Start-up „OneThird“ möchte mithilfe eines Nahinfrarot-Scanners innerhalb von Sekunden Auskunft über den Reifegrad und die Haltbarkeit von Obst und Gemüse geben. Das Unternehmen Apeel Science hat sich vorgenommen, Obst und Gemüse mit einer flüssigen Schicht zu versiegeln. Dadurch kann auf Plastikverpackung verzichtet werden und das Produkt ist dennoch länger haltbar. Das Start-up Too Good To Go bietet eine Plattform an, auf der Gastronomen und Händler ihre noch genießbaren Produkte zu einem vergünstigten Preis anbieten können. Verbraucherinnen und Verbraucher können über eine App diese Produkte dann kaufen.

Gemeinsam mit Städten hat das Start-up die Initiative „Städte gegen Food Waste“ ins Leben gerufen. Die Partnerstädte verpflichten sich, sich innerhalb von zwei Jahren aktiv für die Lebensmittelrettung einzusetzen. Ziel dabei ist, überschüssige Lebensmittel aus dem Handel und der Außer-Haus-Verpflegung weiterhin zu nutzen sowie gezielte Aufklärungsarbeit zu leisten.

Solch ein Programm ließe sich auch auf ganze Regionen, ähnlich den Öko-Modellregionen etablieren.

Die Bundesregierung hat bereits erste Vorschläge gemacht, wie Lebensmittelverschwendung ab dem Handel reduziert werden könnte. Dennoch gibt es auch weiterhin rechtliche Hürden, die die Lebensmittelrettung und damit Ressourcenschonung verhindern. Hier ist vor allem die Haftungsregelung für Lebensmittel zu nennen. Die Regelung der rechtlichen Verantwortlichkeit des Inverkehrbringers findet sich in der Lebensmittelbasisverordnung VO (EG) Nr. 178/2002 (BasisVO). Darin ist in Art 14 Abs. 1 festgeschrieben, dass unsichere Lebensmittel nicht in Verkehr gebracht werden dürfen, auch wenn diese gespendet oder verschenkt werden. Das heißt, der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) hat als sogenannter Inverkehrbringer dafür zu sorgen, dass die Lebensmittel unbedenklich und einwandfrei sind. Diese Regelung sorgt dafür, dass Produkte bei oder kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums aus Regalen genommen werden.

Durch das Beschränken der Strafbarkeit bei der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit könnte man den Inverkehrbringer von gespendeten Lebensmitteln zwar nicht aus der Haftung nehmen, aber einen Anreiz schaffen, diese leichter zu spenden. Hierbei ist aber auch geltendes Unionsrecht zu berücksichtigen.

Auch weitere steuerliche Anreize für Lebensmittelspenden können ein Hebel sein, um die Attraktivität von Spenden zu erhöhen. Der LEH darf laut Gesetz schon heute Produkte, die sich dem MHD nähern, günstiger anbieten.

In Frankreich sind Supermärkte verpflichtet, noch verzehrtaugliche Lebensmittel zu spenden. Dort werden Lebensmittel, die nicht mehr für den Verkauf gedacht sind, zentral an sogenannte Lebensmittelbanken geliefert. Diese fungieren als große Verteilerzentren für gespendete Lebensmittel. Sie verfügen außerdem über nötige Lagerungs- und Kühlmöglichkeiten und kümmern sich um die weitere Logistik. Solch ein Lösung lässt sich bisher noch nicht auf Deutschland oder Nordrhein-Westfalen übertragen, da im Gegensatz zu Frankreich hierzulande die dafür notwendigen zentralen Logistik-Strukturen erst geschaffen werden müssten.

Italien hat bereits 2003 das „Guter-Samariter-Gesetz“-Gesetz verabschiedet. Darin sind Wohltätigkeitsorganisationen und Lebensmittelbanken von der Haftung ausgeschlossen. Sie gelten nicht als Inverkehrbringer, sondern werden als Endverbraucher geführt. Dadurch unterliegen sie weniger hohen Standards. Solch ein Verfahren ließe sich auch auf die Tafeln übertragen.

In Deutschland und Nordrhein-Westfalen sind die Tafeln dezentral organisiert. Das heißt, die Standorte vor Ort stehen in direkten Kooperationen mit den Lebensmitteleinzelhändlern. Die Tafeln sind im Sinne des Art. 3 Nr. 2 BasisVO Lebensmittelunternehmen und damit Inverkehrbringer von Lebensmitteln. Das ist auch der Grund, warum die Tafeln sehr hohe Anforderungen an die gespendeten Lebensmittel haben. Daher werden viele Spenden gar nicht erst angenommen. Lebensmittelspender und Lebensmittelempfänger haben dieselben Standards beim Vertreiben von Lebensmitteln zu berücksichtigen. Gerade für kleinere Tafeln ist das enorm herausfordernd. Darüber hinaus fehlt es in vielen Regionen an einer entsprechenden Tafel-Logistik, damit die regionalen und lokalen Tafeln Großspenden aus der Industrie bzw. noch mehr kühlungspflichte Ware annehmen und weiterverteilen können.

Es gilt also mehr denn je, mit allen Beteiligten der Wertschöpfungskette die Lebensmittelverschwendung branchenspezifisch zu reduzieren. Dazu müssen haftungsrechtliche Fragen geklärt und steuerrechtliche Erleichterungen für Spenden ermöglicht werden. Durch eine verbesserte Ernährungsbildung sowie Informationskampagne kann der Verbraucherschaft deutlich gemacht werden, dass Lebensmittel auch nach Ablauf des MHD noch genießbar sind und wie sie richtig zu lagern sind. Die Enquetekommission „Gesundes Essen. Gesunde Umwelt. Gesunde Betriebe.“ hat sich in der vergangenen Legislatur ebenfalls intensiv mit der Thematik der Lebensmittelverschwendung sowie der gesunden Ernährung als Ganzes beschäftigt. In der Enquetekommission wurden die vielfältigen Herausforderungen beleuchtet und darauf aufbauend gemeinsame, fraktionsübergreifende Handlungsempfehlungen formuliert. Die formulierten Handlungsempfehlungen zur Thematik Lebensmittelverschwendung finden sich in diesem Antrag wieder.

II. Beschlussfassung

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • gezielte Verbraucheraufklärung zum MHD zu leisten und eine Aufklärungskampagne zum Thema Lebensmittelverschwendung durch das Land zu finanzieren (z. B. MehrWertKonsum der Verbraucherzentrale NRW). Das Mindesthaltbarkeitsdatum darf nicht mehr als Datum der Genussuntauglichkeit fehlinterpretiert werden.
  • Dem LEH sind Anreize für einen angemessenen Umgang mit Produkten nach Überschreiten des MHD zu setzen. Qualitätsanforderungen und Retouren des LEH gegenüber Erzeugerinnen und Erzeugern bzw. Herstellerinnen und Herstellern sind auf den Prüfstand zu stellen, um ggf. regulatorisch tätig zu werden.
  • eine gesetzliche Anpassung oder Schaffung von steuerlichen Anreizen, um die Weitergabe von unverkauften, aber genusstauglichen Lebensmitteln aus der Außerhausverpflegung (AHV) oder dem LEH zu erleichtern.
  • den Zugang zu abgelaufenen Lebensmitteln für Verbraucherinnen und Verbraucher zu vereinfachen und bestehende Haftungsrisiken des LEH zu überprüfen.
  • die Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen, die gemeinnützig Lebensmittel verteilen (Food-Sharing, Tafel, etc.), beim Ausbau der Koordination und Logistik zu unterstützen.
  • eine umfassende Informationskampagne zur Vermeidung von Lebensmittelverlusten in der AHV und im privaten Bereich ins Leben zu rufen.
  • gezielt Maßnahmen für eine bessere Ernährungskompetenz im Bereich der Erwachsenenbildung zu fördern. Diese Maßnahmen oder Programme können in Volkshochschulen, Familienbildungsstätten oder ähnlichen Einrichtungen und in Kooperation mit landwirtschaftlichen Betrieben erfolgen.
  • Inhalte der Ernährungsbildung in die vorschulischen und schulischen Curricula bestehender thematisch geeigneter Schulfächer zu integrieren (als Vorlage kann beispielsweise das REVIS-Curriculum dienen).
  • den praktischen Umgang mit Lebensmitteln und deren Lagerung beim gemeinsamen Kochen, in Schulgärten und bei Exkursionen zu fördern. Hier sind Synergieeffekte mit der Gemeinschaftsverpflegung nutzbar.
  • das pädagogische Fachpersonal frühzeitig in diese Kompetenzbildung einzubinden bzw. die Ausbildungsinhalte entsprechend anzupassen.
  • ähnlich der Initiative „Städte gegen Food Waste“ Modellregionen für Nordrhein-Westfalen auszuschreiben.
  • gezielt Start-ups der Land- und Ernährungswirtschaft zu fördern, die an Lösungen arbeiten, um Lebensmittelverschwendung zu verringern.
  • zu prüfen, unter welchen Bedingungen beim sogenannte Containern auf eine Strafverfolgung verzichtet werden kann.