Leistungsfähigkeit des Rheins als Wasserstraße und logistische Lebensader erhalten

I. Ausgangslage

Der Rhein ist eine wichtige Lebensader für den Industrie- und Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen. Das aktuelle extreme Niedrigwasser des Rheins durch die anhaltende Dürre verschärft die angespannte wirtschaftliche Lage in Nordrhein-Westfalen. Insbesondere die Binnenschifffahrt und die Industrie werden dadurch erheblich beeinträchtigt und getroffen. Binnenschiffe können nur mit minimaler Auslastung fahren, teilweise sind Engstellen in der Wasserstraße Rhein zeitweise nicht mehr passierbar. Die Preise für Transporte per Schiff sind immens gestiegen. Das hat erhebliche Folgen für die Güterversorgung von Wirtschaft und Industrie.

Der Rhein ist eine der verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt. Etwa 70 Prozent aller deutschen Wasserstraßentransporte werden auf dem Niederrhein zwischen den Rheinmündungshäfen und den deutschen Binnenhäfen bewegt. Im Jahr 2021 wurden dabei von der Binnenschifffahrt in Nordrhein-Westfalen mehr als 112 Millionen Tonnen Güter umgeschlagen. Über den Rhein werden unter anderem Chemikalien, Brennstoffe wie Kohle und Mineralöle sowie Baustoffe transportiert, ebenfalls werden Großraum- und Schwertransporte durchgeführt. Wenn sich auf dem Rhein nichts bewegt, drohen auch Wirtschaft und Industrie in Nordrhein-Westfalen der Stillstand. Anlagen der Chemie- und Stahlindustrie droht die Abschaltung, Baustoffe können nicht geliefert, Schwertransporte nicht durchgeführt werden. Lieferengpässe, Produktionsstillstände und Kurzarbeit können folgen. Die Folgen des extremen Niedrigwassers des Rheins sind aber noch weitreichender. Die für den Ersatz von Gasverstromung in Betrieb befindlichen Steinkohlekraftwerke werden größtenteils über den Rhein mit Steinkohle beliefert. Die Kohlereserven der meisten Kraftwerke reichen nach Angaben der Energieunternehmen aus, um lediglich für eine Woche Strom unter Volllast zu erzeugen. Hier drohen Versorgungsengpässe.

Welche erheblichen Auswirkungen eine extreme Niedrigwasserphase des Rheins auf Wirtschaft und Industrie haben, zeigen Analysen der Niedrigwasserphase des Rheins von 2018. Nach Berechnungen des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel kostete das Niedrigwasser 2018 auf Jahressicht etwa 0,4 Prozent der Wirtschaftsleistung Deutschlands. In der Spitze wurde die Industrieproduktion um etwa 1,5 Prozent reduziert. Gerade im Hinblick auf Güter wie Kohle, Erdöl und chemische Erzeugnisse ist die Versorgung per Schiff über den Rhein für 10 bis 30 Prozent der Beförderungsmenge verantwortlich. Die Güter sind häufig Grundprodukte für weitreichende Produktionsketten. Bei Transportproblemen kommt es zu entsprechend vielfach nachgelagerten Produktionsbehinderungen.

 

Die durch das extreme Niedrigwasser des Rheins verursachten Versorgungsengpässe sind ein weiterer Belastungsfaktor für die wirtschaftliche Entwicklung Nordrhein-Westfalens und Deutschlands. Die dadurch hervorgerufenen Produktionsschwierigkeiten wirken preistreibend und verschärfen die Inflation.

Die aktuellen Zustände legen deutlich offen, dass in den letzten Jahrzehnten zu wenig in die Wasserstraßen-Infrastruktur investiert wurde. Bereits das Niedrigwasser des Rheins im Jahr 2018 war Anstoß für ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um die Leistungsfähigkeit der Wasserstraßen und die Versorgungssicherheit von Wirtschaft und Industrie in Zukunft sicherstellen zu können. Auf Initiative der schwarz-gelben Landesregierung unter der Federführung von Verkehrsminister Hendrik Wüst wurde beim Bund erreicht, dass ein „Aktionsplan Westdeutsche Kanäle“ verabschiedet wurde, mit dem rund 1,5 Milliarden Euro für den Erhalt und Ausbau der Kanäle in den nächsten zehn Jahren investiert werden sollen. Ebenfalls wurde erreicht, dass der Bund mit Partnern aus der Binnenschifffahrt und der Industrie einen gemeinsamen Aktionsplan „Niedrigwasser Rhein“ beschlossen hat. Die beschlossenen Maßnahmen reichen von der Verbesserung der operationalen Vorhersagen von Wasserständen und Tiefeninformationen über die schnellere Entwicklung infrastruktureller Maßnahmen bis zur Entwicklung niedrigwassergeeigneter Schiffstypen.

Es ist jetzt dringend geboten an diesen Maßnahmenkatalog anzuknüpfen und die getroffenen Beschlüsse zügig umzusetzen, denn die Zeit drängt. Aufgrund des Klimawandels wird eine Häufung extremer und langdauernder Niedrigwasserereignisse zunehmen. Die Industrie hat gemeinsam beschlossene Maßnahmen bereits umgesetzt. Der Chemiekonzern BASF hat ein eigenes „Flaggschiff“ für extremes Niedrigwasser entwickelt. Ein weiteres Spezialschiff ist mit der Reederei HGK entwickelt worden und fährt bereits. Schiffe, die bei Niedrigwasser Fracht laden und transportieren können, werden deutlich häufiger gechartert.

Unterdessen lassen vor allem die Umsetzung von beschlossenen flussbaulichen Maßnahmen auf sich warten. Dazu zählt vor allem das im Bundesverkehrswegeplan 2030 beschlossene Projekt W 27, mit dem eine Abladeverbesserung und Sohlenstabilisierung am Rhein zwischen Duisburg und Stürzelberg umgesetzt werden soll. Das Projekt hat einen klaren volkwirtschaftlichen Nutzen, der die Kosten deutlich übersteigt und wird deshalb als „vordringlich“ behandelt. Die Maßnahme verbessert die Wettbewerbsfähigkeit der der Schifffahrt und ist gesamtwirtschaftlich von großem Vorteil, weil sie es ermöglicht, dass Binnenschiffe ganzjährig mehr Ladung transportieren können und weniger Schiffe für die gleichen Transportmenge benötigt werden. Damit werden die Transportbedingungen des Verkehrsträgers „Binnenschiff“ für die Industriestandorte im Rheineinzugsgebiet insgesamt verbessert.

Eine Vertiefung der Fahrrinne auf dem entsprechenden Rheinabschnitt kann dabei das geeignete Mittel der Wahl für eine Abladeverbesserung sein, ebenso wie andere flussbauliche Maßnahmen, wie das Abschleifen einzelner Felsen, das Einbringen von Geröll, der Bau von Buhnen und die Herausnahme von Sanden. Die Umwelteinwirkungen sollten öffentlich erörtert, transparent geprüft und so verträglich wie möglich ausgestaltet werden. Um den Gesamtkomplex passender Maßnahmen und möglicher Umweltauswirkungen zu klären, ist die Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens zwingend vonnöten. Bisher befindet sich das Projekt jedoch nach wie vor in der Planungsphase. Ein Planfeststellungsverfahren ist nicht eingeleitet worden. Beim Mittel der Wahl für eine Abladeverbesserung sollte keine der genannten Optionen von vornerein ausgeschlossen werden. Eine ergebnisoffene Prüfung trägt wesentlich zur Beschleunigung der Planungsverfahren bei.

Die geplanten Abladeoptimierungen auf dem Rheinabschnitt zwischen Duisburg und Stürzelberg entfalten ihren Transportnutzen in erster Linie im Bereich normaler Niedrig- bis Mittelwasserstände. Dennoch können sie auch bei extremen Niedrigwasserereignissen einen Beitrag zur Verkürzung von Transportausfällen leisten. Der absolute Transportvorteil in Tonnen gemessen ist bei extremem Niedrigwasser des Rheins kleiner, aber bleibt vorhanden.

Die Möglichkeit mehr Güter über den Rhein per Schiff transportieren zu können, hat auch einen klaren Klimavorteil. Ein Binnenschiff verursacht pro transportierter Tonne und Kilometer mit rund 30g CO2 deutlich weniger Treibhausgasemissionen als ein LKW mit 113g. Hinzukommt, dass ein Binnenschiff die Transportkapazität von etwa 150 LKW ersetzen kann. Auf den Wasserstraßen können Binnenschiffe mehr Güter klimafreundlicher transportieren. Insbesondere, wenn auf Straße und Schiene kaum noch Transportkapazitäten zur Verfügung stehen. Die Nutzung von größeren Transportkapazitäten auf dem Wasser können dazu beitragen, den Transport auf Schiene und Straße zu entlasten und dabei große Mengen an Treibhausgasemissionen einzusparen.

Der Verkehrsträger Wasserstraße ist für unsere Wirtschaft und Industrie unverzichtbar. Für viele Güter ist das Schiff das umweltverträglichste Transportmittel. Die Abladeoptimierung im Rheinabschnitt Duisburg – Stürzelberg ist für alle Wirtschaftsstandorte entlang des Rheinkorridors wichtig. Sie bringt Versorgungssicherheit, verringert Transportkosten und entlastet Straßen vom LKW-Verkehr.

An die zügige Umsetzung der im Nachgang der extremen Niedrigwasserphase des Rheins von 2018 gefassten Aktionspläne und Maßnahmen sollte jetzt ohne Zögern angeknüpft werden, um die Versorgung von Wirtschaft und Industrie mittel- und langfristig sicherzustellen.

Beim Bund gilt es mit vereinten Kräften auf eine beschleunigte Umsetzung der im Bundesverkehrswegeplan 2030 geplanten Abladeverbesserung und Sohlenstabilisierung am Niederrhein hinzuwirken. Geprüft werden sollte ebenfalls, inwiefern das Projekt mit Hilfe eines Maßnahmengesetzes anstelle des üblichen Planfeststellungsverfahrens beschleunigt werden kann. Für alle Fälle sollte sichergestellt werden, dass die Information in der Region über den Projektfortschritt unter Einbindung aller relevanten Akteure und die beabsichtigte vorgezogene Durchführung von Kompensationsmaßnahmen zum Ausgleich von Eingriffen in Natur und Umwelt frühzeitig und begleitend erfolgt.

Um den Umgang mit extremen Niedrigwasserereignissen weiter zu verbessern, muss die Entwicklung von niedrigwassergeeigneten Schiffstypen, moderner Leichtersysteme sowie die Digitalisierung der Binnenschifffahrt weiter vorangetrieben werden.

Damit die Verlässlichkeit der Transportbedingungen auf dem Rhein auch langfristig sichergestellt werden kann, ist es vonnöten, die Machbarkeit aller wasserbau- und wasserwirtschaftlicher Optionen zur Sicherstellung zuverlässig kalkulierbarer Transportbedingungen am Rhein, wie z.B. Stau- und Speicherlösungen, ergebnisoffen zu untersuchen. Die Erkenntnisse sollten in eine landeseigene Binnenschifffahrtsstrategie fließen, die regelmäßig aktualisiert wird und sowohl den Zustand aller Wasserwege in Nordrhein-Westfalen in den Blick nimmt, wie auch die Wettbewerbssituation der Binnenschifffahrt.

II. Beschlussfassung

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • sich beim Bund für eine beschleunigte Umsetzung der im Bundesverkehrswegeplan 2030 geplanten Abladeverbesserung und Sohlenstabilisierung zwischen Duisburg und Stürzelberg einzusetzen und diese bei der Maßnahmenumsetzung aktiv zu unterstützen.
  • gemeinsam mit dem Bund regelmäßig über den Projektfortschritt unter Einbindung aller relevanter Akteure in der Region zu informieren.
  • die Machbarkeit aller wasserbau- und wasserwirtschaftlichen Optionen zur Sicherstellung zuverlässiger kalkulierbarer Transportbedingungen am Rhein, wie z.B. Stau- und Speicherlösungen, ergebnisoffen zu untersuchen und darauf basierend eine landeseigene Binnenschifffahrtsstrategie zu entwickeln, die sowohl den Zustand aller Wasserwege in Nordrhein-Westfalen in den Blick nimmt, wie auch die Wettbewerbssituation der Binnenschifffahrt. Die Strategie ist regelmäßig fortzuschreiben. Dem Landtag ist darüber jährlich Bericht zu erstatten.
  • die Entwicklung von niedrigwassergeeigneten Schiffstypen, moderner Leichtersysteme sowie die Digitalisierung der Binnenschifffahrt zu unterstützen.

Henning Höne
Marcel Hafke
Christof Rasche

und Fraktion