„Sternenkinder“ verdienen mehr Aufmerksamkeit – Forschung und Unterstützung der Eltern bei Fehl- und Totgeburten verbessern!

I. Ausgangslage

In Deutschland wird etwa jedes 230. Kind tot geboren. Nach den Daten des Statistischen Bundesamts gab es im Jahr 2021 3.420 Totgeburten und damit 4,3 Totgeburten je 1.000 Geborene. Dies ist ein Höchststand seit dem Jahr 1997 und die Fortsetzung eines negativen Trends. Insbesondere in den letzten fünf Jahren ist ein Anstieg der Quote von Totgeburten zu verzeichnen. Bei jüngeren Frauen unter 21 Jahren und bei Frauen ab 37 Jahren war die Quote mit über 5 Totgeburten je 1.000 Geborene noch deutlich höher. Etwa jede zehnte Frau wird in ihrem Leben von einer Fehl- oder Totgeburt betroffen sein. Trotz der Häufigkeit von Fehl- und Totgeburten ist die internationale Daten- und Forschungslage unzureichend. Entsprechend ist der medizinische Fortschritt kaum messbar.

Neben einer besseren Datenlage braucht es auch mehr Unterstützung für die Eltern: Fehl- und Totgeburten werden häufig tabuisiert und sind mit Stigmatisierung verbunden, im Alltag wird darüber geschwiegen. Die Betroffenen sind häufig sehr stark traumatisiert. Nach einer Fehl- oder Totgeburt kommt es nicht selten zu schweren depressiven Episoden, schweren Angststörungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen. Das Suizidrisiko steigt erheblich an. Ebenso können durch Fehlgeburten erhebliche körperliche Probleme wie Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen entstehen. Für viele Eltern ist eine Fehl- oder Totgeburt ein traumatisches Erlebnis mit oftmals langanhaltenden Folgen.

Fehl- und Totgeburten sind also Erfahrungen, die mit Stigmatisierungen, Schuldgefühlen, Einsamkeit und oft nicht anerkannter Trauer einhergehen. Auch hinsichtlich des Schutzes der Eltern nach einer Fehl- oder Totgeburt besteht dabei die Problematik der rechtlichen Grenzziehung zwischen einer Totgeburt und einer Fehlgeburt, da z. B. der Mutterschutz nach der Geburt derzeit an die mit dem Geburtsvorgang verbundenen körperlichen Belastungen und die daran anschließenden Rückbildungsprozesse anknüpft. Die Unterscheidung richtet sich nach § 31 der Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes (Personenstandsverordnung - PStV). Demnach liegt eine Fehlgeburt vor, wenn sich außerhalb des Mutterleibs keine Lebensmerkmale wie Herzschlag oder natürliche Lungenatmung gezeigt haben, das Gewicht weniger als 500 Gramm beträgt und die Geburt vor der 24. Schwangerschaftswoche erfolgt. Eine Fehlgeburt löst normalerweise keine mutterschutzrechtlichen Folgen aus, insbesondere gilt die Schutzfrist nach der Entbindung nicht.

Eine Totgeburt liegt vor, wenn das Geburtsgewicht mindestens 500 Gramm beträgt oder die 24. Schwangerschaftswoche erreicht wurde. Bei einer Totgeburt gilt die allgemeine Schutzfrist von mindestens acht Wochen nach der Entbindung. Der Arbeitgeber darf aber eine Frau nach einer Totgeburt bereits nach Ablauf der ersten zwei Wochen nach der Entbindung beschäftigen, wenn die Frau dies ausdrücklich verlangt und nach ärztlichem Zeugnis nichts dagegen spricht. Der Koalitionsvertrag von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP auf Bundesebene sieht vor, den Mutterschutz auf Fehlgeburten nach der 20. Schwangerschaftswoche zu erweitern und zudem eine zweiwöchige vergütete Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes einzuführen. In der Diskussion zum Mutterschutz bei Fehlgeburten sind auch Modelle einer zeitlich gestuften Freistellung abhängig von der Schwangerschaftswoche.

Eine Fehlgeburt wird im Gegensatz zu einer Totgeburt grundsätzlich nicht im Personenstandsregister beurkundet. Eltern von sogenannten „Sternenkindern“ können aber nach einer Neuregelung seit dem 15. Mai 2013 die Geburt ihres Kindes beim Standesamt, in dessen Zuständigkeitsbereich die Fehlgeburt erfolgte, anzeigen und ihrem Kind damit offiziell eine Existenz geben. In diesem Fall erteilt das Standesamt dem Anzeigenden auf Wunsch eine Bescheinigung. Die Neuregelung gilt auch für Eltern, deren „Sternenkind“ bereits vor dem Inkrafttreten dieser Regelung nicht lebend zur Welt gekommen ist.

Obgleich für die Eltern keine Bestattungspflicht besteht, haben sie nach § 14 Absatz 2 des Gesetzes über das Friedhofs- und Bestattungswesen (Bestattungsgesetz - BestG NRW) einen Anspruch auf Beisetzung ihres tot- oder fehlgeborenen Kindes, wenn ein Elternteil dies wünscht. Wenn die Fehlgeburt oder Totgeburt in einer Einrichtung erfolgt, hat deren Träger sicherzustellen, dass mindestens ein Elternteil auf diese Bestattungsmöglichkeiten hingewiesen wird. Liegt keine Erklärung der Eltern zur Bestattung vor, sind Tot- und Fehlgeburten von den Einrichtungen auf eigene Kosten unter würdigen Bedingungen zu sammeln und zu bestatten. Hingegen sieht § 8 Absatz 2 des Bestattungsgesetzes vor, dass Tot- oder Fehlgeburten, die nicht nach § 14 Absatz 2 bestattet werden, ohne Gesundheitsgefährdung und ohne Verletzung des sittlichen Empfindens der Bevölkerung verbrannt werden. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern diese Regelung zur „Entsorgung“ von tot- oder fehlgeborenen Kindern angesichts der umfassenden Vorgaben in § 14 Absatz 2 noch notwendig und angemessen ist.

Verschiedene Kommunen bieten auf ihren Friedhöfen Sondergrabstätten für die Bestattung von tot- oder fehlgeborenen Kindern als Einzel- oder Gemeinschaftsgräber sowie eigens angelegte Gräberfelder für die Sammelbeisetzung von Tot- und Fehlgeburten, die auf Kosten von Krankenhäusern bestattet werden. Einzelne Kommunen haben auf ihren Friedhöfen auch Gedenkstätten wie Kunstwerke oder Stelen als Orte der Trauer für betroffene Eltern eingerichtet. Diese Orte der Trauer können insbesondere den betroffenen Eltern helfen, Abschied zu nehmen, die eine eigene Bestattung ihrer tot- oder fehlgeborenen Kinder nicht wünschen.
Auch die Betreuung in den Krankenhäusern muss entsprechend ausgebaut werden. Es darf keine Frage des Zufalls bleiben, ob Krankenhäuser über in dieser Hinsicht geschultes Personal verfügen. Zu oft würden sonst Eltern mit ihrer Trauer und den Fragen, wie etwa nach Möglichkeiten zur Bestattung, alleingelassen.

Fehl- und Totgeburten dürfen kein gesellschaftliches Tabuthema mit dem Phänomen des nicht anerkannten Verlusts bleiben. Dabei bedarf es neben einer Aushandlung der Rechtsgrundlagen auch einer Selbstreflexion und Sensibilisierung der Öffentlichkeit. So können auch Handreichungen für die persönlichen Begegnung mit Betroffenen im Alltag etwas der eigenen Sprachlosigkeit und Handlungsohnmacht entgegensetzen. Denn statistisch kennt fast jeder Mensch jemanden, der von der Erfahrung eines solchen Schwangerschaftsverlusts betroffen ist.

II. Beschlussfassung

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  • ein einheitliches und verlässliches Leitsystem zu entwickeln, welches Eltern bei Fehl- und Totgeburten bereits frühzeitig bei der körperlichen und seelischen Nachsorge unterstützt;
  • eine umfassende Nachsorge für Betroffene in Krankenhäusern zu ermöglichen;
  • zusammen mit den Krankenhäusern und medizinischen Fakultäten in Nordrhein-Westfalen eine Strategie zu entwickeln, mit der die Erhebung von Daten und Erforschung von Ursachen bei Fehl- und Totgeburten verbessert werden kann;
  • bei dieser Strategie zu Fehl- und Totgeburten gesundheitliche Risikofaktoren sowie die Versorgungslage für Betroffene zu berücksichtigen;
  • Informationen über die Möglichkeit der Beurkundung von Fehlgeburten im Personenstandsregister auszubauen;
  • die Regelung in § 8 Absatz 2 des Bestattungsgesetzes NRW zur Verbrennung von tot- oder fehlgeborenen Kindern auf ihre Notwendigkeit und Angemessenheit zu überprüfen;
  • zusammen mit den Kommunalen Spitzenverbänden und den Friedhofsverbänden darauf hinzuwirken, dass noch mehr Kommunen auf ihren Friedhöfen Orte der Trauer für „Sternenkinder“ einrichten;
  • sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass der Mutterschutz und der von der Bundesregierung geplante Partnerschutz auch auf Fehlgeburten erweitert wird.