Mehr Zukunft für den stationären Einzelhandel schaffen - Innenstädte als zentrale Wirtschafts- und Lebensräume neu beleben.
I. Ausgangslage
Die Situation des stationären städtischen Einzelhandels gibt weiter Anlass zur Sorge. Hohe Mieten, steigende Nebenkosten, die Konkurrenz zum Onlinehandel und ein verändertes Konsumverhalten haben immer mehr Einzelhändler gezwungen, auf günstigere Nebenlagen auszuweichen oder Geschäfte gänzlich aufzugeben. Als Besuchermagnet verliert der städtische Einzelhandel seit vielen Jahren an Zugkraft. Der Schwund der Innenstadtkunden des stationären Handels verläuft seit zwei Dekaden parallel zur Umsatz- und Bedeutungsentwicklung des E-Commerce und dabei vor allem des Onlinehandels. Da immer mehr Konsumenten ihre Waren und Dienstleistungen online beziehen, entsteht eine Abwärtsspirale aus sinkender Passantenfrequenz, die Ladenschließungen nach sich zieht, dadurch die Innenstadtattraktivität mindert und so die Besucherzahlen weiter senkt. Diese Entwicklung trifft nicht nur stationäre Einzelhändler, sondern auch innerstädtische Gastronomen, Dienstleister sowie Kulturangebote, die massiv an Kundschaft und Besuchern verlieren. Beschleunigung hat diese Entwicklung auch durch die Coronapandemie erfahren, als Verbraucherinnen und Verbraucher gezwungen waren, einen Teil ihrer Einkäufe online abzuwickeln. Dadurch ist die Akzeptanz des Onlinehandels weiter gestiegen. Die Gewohnheit, online einzukaufen, erreichte neue Zielgruppen und wird von vielen Konsumenten über die Pandemie hinaus aufrechterhalten. Hinzu kommen jetzt Großinsolvenzen (z.B. der Signa-Gruppe), die aufgrund geschlossener Kaufhäuser in Bestlagen als sogenannte Ankerimmobilien ganze Innenstädte in den Dornröschenschlaf versetzen.
Der Strukturwandel im stationären Einzelhandel hinterlässt verwaiste Ortskerne und leerstehende Innenstädte. Viele Stadt- und Ortszentren haben mit dem Niedergang des stationären Einzelhandels ihre Bedeutung als zentrale Wirtschaftsräume verloren. Der hohe Leerstand hat dazu beigetragen, dass die Lebensqualität in vielen Zentren von Gemeinden und Städten nachweislich gesunken ist.
Die Landespolitik ist nicht untätig geblieben. Von Landeseite wurde mit zahlreichen Initiativen und Maßnahmen versucht den stationären städtischen Einzelhandel und die Innenstädte zu beleben. Dazu zählen das Sofortprogramm zur Stärkung unserer Innenstädte und Zentren in Nordrhein-Westfalen mit einem Fördervolumen von 100 Millionen Euro, das Landesprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Ortszentren“ mit einem Fördervolumen von 35 Millionen Euro und der Förderwettbewerb „Digitalen und stationären Einzelhandel zusammendenken“.
Alle diese Fördermaßnahmen haben die Gemeinsamkeit, dass sie die richtigen Problemfelder adressieren, jedoch bereits ausgelaufen sind. Um nachhaltige Erfolge bei der Stärkung des stationären Einzelhandels und der Belebung der Innenstädte zu erzielen, ist jedoch ein langer Atem notwendig.
Gute Ansätze, wie die Förderung von Digital- und KI-Coaches und der Aufbau eines breiten Bündnisses aus Partnern der kommunalen Familie, des Handels, der Wohnungswirtschaft, der Baukultur sowie des Netzwerks Innenstadt und der Arbeitsgemeinschaft Historische Stadt- und Ortskerne im Rahmen der Landesinitiative „Zukunft. Innenstadt. Nordrhein-Westfalen“ haben es darüber hinaus nicht vermocht, eine nachhaltige Trendwende bei Leerständen und der Attraktivität des stationären Einzelhandels einzuleiten.
II. Handlungsbedarf
Nach wie vor sind Leerstände in praktisch allen Innenstadtlagen sichtbar. Die Leerstandsquote nimmt in vielen Regionen weiter zu, die Verkaufsfläche nimmt deutlich ab. Teils bleiben Läden länger als zwölf Monate ungenutzt, Tendenz steigend. Hinzu tritt im Einzelhandel eine deutlich steigende Zahl von Insolvenzen. Umsatz und Geschäftslage im Einzelhandel sind alles andere als vielversprechend. Laut IT.NRW ist der Umsatzindex im Einzelhandel zum siebten Mal in Folge niedriger als das jeweilige Vorjahresergebnis.
Nach einer Maßnahmenpause brauchen wir dringend einen neuen Schub für die Belebung des stationären Einzelhandels und unserer Ortszentren und Innenstädte. Neben der Gastronomie und der Kultur ist vor allem ein blühender und vitaler stationärer Einzelhandel ein Garant für lebenswerte und prosperierende Städte und Gemeinden. Den stationären Einzelhandel zu stärken, ist ein heimliches Wachstumsprogramm. Den stationären Einzelhandel zu stärken, bedeutet, die Wirtschaftskraft Nordrhein-Westfalens zu stärken. Über 100.000 Geschäfte, über 750.000 Beschäftigte und Auszubildende: Der Einzelhandel ist einer der wichtigsten Arbeitgeber und Nachwuchsförderer in Nordrhein-Westfalen. Mehr als jedes fünfte Einzelhandelsunternehmen in Deutschland ist in Nordrhein-Westfalen ansässig: Die Anzahl der Geschäfte im Einzelhandel lag in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2018 bei rund 108.000. Unter den eintausend umsatzstärksten Händlerinnen und Händlern in Deutschland haben rund 30 Prozent ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen.
Konzepte und Studien für die Stärkung des stationären Einzelhandels und Belebung der Innenstädte und Ortszentren liegen vor. Lösungsansätze müssen sich an den Wünschen und dem geänderten Konsumverhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern orientieren: Die Verknüpfung von Online- und Offline-Angeboten beim Einkaufen, individuelle Beratung und Service im Einzelhandel, Events und Veranstaltungen, eine gute Erreichbarkeit der Innenstädte mit dem PKW und dem ÖPNV, ein sauberes Stadtbild, Grünflächen und Zonen zum Ausruhen und Verweilen werden von Verbraucherinnen und Verbrauchern ebenso gewünscht, wie ein neuer Mix an Angeboten wie Gesundheitsdienstleistungen, Bildungseinrichtungen und Coworking-Spaces sowie verlängerte Öffnungszeiten und verkaufsoffene Sonntage.
Das Land kann die Kommunen dabei unterstützen, ein aktives Leerstands- und Ansiedlungsmanagement in den Innenstädten sowie ein moderndes Veranstaltungsmanagement zu betreiben, den Einsatz von City-Managern zu etablieren und neue städtebauliche Akzente sowie zeitgemäße Nutzungs- und Verkehrskonzepte zu entwickeln. Hierfür sind Förderprogramme mit der Gießkanne und schnell verpuffendem Einmaleffekt kontraproduktiv. Es braucht zielgerichtete Fördermaßnahmen, die die Gestaltung konkret identifizierter Problemlagen in den Städten und Gemeinden avisieren und mittel- und langfristig Planungssicherheit bei der Gestaltung des Strukturwandels des Einzelhandels und der Innenstädte und Ortszentren geben. Standorte sind besonders auf Unterstützung angewiesen, bei denen die allgemeine Kaufkraft niedrig ausfällt, die Bevölkerung stagniert, vom Tourismusgeschäft wenig Impulse ausgehen und ein hoher Standortwettbewerb aufgrund fehlender Zentralität zum Umland gegeben ist. TOP-Standorte wie Köln, Düsseldorf, Münster oder Aachen sind hier weniger betroffen.
Mehr als alles andere ist die Landesregierung in der Pflicht, für die passenden Rahmenbedingungen zu sorgen, die dem stationären Einzelhandel und den Innenstädten neue Perspektiven und eine wirtschaftliche Belebung ermöglichen. Trotz enger verfassungsrechtlicher Vorgaben zum Schutz der Sonntagsruhe, müssen die Potentiale für Sonntagsöffnungen in Nordrhein- Westfalen besser genutzt werden. Für Sonntagsöffnungen im Rahmen von Veranstaltungen braucht es mehr Planungs- und Rechtssicherheit. Für den Betrieb von Smart- und Automaten-Stores an Sonntagen braucht es ebenfalls Rechts- und Planungssicherheit. Auto-Waschanlagen, wie auch Waschsalons können in vielen Bundesländern, wie z.B. im katholisch geprägten Bayern, auch sonntags betrieben werden, in Nordrhein-Westfalen aber bisher nicht. Laut aktueller Umfrage der IHK NRW unter Werbe- und Interessengemeinschaften sind Sonntagsöffnungen dringend gewünscht und wichtig. Statistiken zeigen, dass im Internethandel die größten Umsätze an Sonntagen erwirtschaftet werden. Es braucht mehr Chancengleichheit zwischen Vertriebskanälen, gleichzeitig müssen Sonn- und Feiertagsschutz angemessen berücksichtigt und zeitgemäß ausgestaltet werden.
Das Land und die Kommunen sind gefordert, Möglichkeiten und Instrumente des Planungs- und Baurechts auszuweiten, zu verbessern und zu flexibilisieren, um den stationären Einzelhandel und die Innenstädte und Ortszentren durch attraktivitätssteigernde Maßnahmen zu stärken. Vor allem die Impulse der Novellierung der Baugesetzbuches auf Bundesebene müssen dafür genutzt werden. Es braucht weiter eine Flexibilisierung des Baurechts, damit neue Mieter von Gewerbeimmobilien die Möglichkeit erhalten, die Fläche nach ihren Vorstellungen zu nutzen. Um die Gefahr eines jahrelangen Leerstands zu verhindern, sollte der Denkmalschutz pragmatisch gedacht werden. Die sog. Innovationsklausel sollte in die breite Anwendung kommen, um Zwischennutzungen schnell und einfach zu genehmigen. Neben räumlichen Geltungsbereichen sollten auch sachliche Geltungsbereiche in der Städteförderung implementiert werden. In den Kommunen gilt es, zentrale Versorgungsbereiche auszuweisen und durch Bauleitplanung rechtlich verbindlich abzusichern. Großflächige Einzelhandelsbetriebe mit einem zentrenrelevanten Kernsortiment sollten in den zentralen Versorgungsbereichen angesiedelt werden, statt an den Ortsrändern an der grünen Wiese.
Von großem Nutzen wäre darüber hinaus, das Handwerk wieder in die Innenstädte, Stadtteil- und Ortzentren zu bringen. Ladenhandwerke, wie Bäcker, Fleischer und Konditoren, Hörakustiker, Optiker, Friseure, Textilreiniger und Juweliere erfüllen weiterhin in Einkaufsstraßen wichtige Funktionen. Die Nachfrage nach regionalen Lebensmitteln, Reparaturleistungen und Beratung hat ein großes Wachstumspotential. Auch für andere Gewerke bieten sich neue wirtschaftliche Chancen mit Werkstätten, Manufakturen und Show Rooms neu ins Zentrum zu ziehen. Die Integration von Beratungsangeboten eines Elektrobetriebs oder eines Heizungsinstallateurs können die Zentren insgesamt bereichern und beleben. Die wohnortnahe Versorgung mit Handwerksdienstleistungen und eine zentrale Lage des Handwerks hat für den Städtebau und die Stadtentwicklung erhebliche Vorteile.
Der stationäre Einzelhandel braucht weiter Unterstützung bei der Digitalisierung, um die eigenen Arbeits- und Vertriebsprozesse sowie Dienstleistungsangebote zu optimieren. Automated Forecast & Replenishement, Seamless Checkout, Scan & GO, Automated
Rostering oder Dynamic Pricing sind nur ein paar der Ansätze, mit denen Einzelhändler Betrieb und Vertrieb ihrer Geschäfte und Produkte effizienter ausgestalten. Datenanalyse und KI in der Cloud erlauben die Verbesserung von Bestands-, Marketing- und Merchandising-Strategien. Mit Hilfe KI-basierter Algorithmen können Service und Produkte so optimiert werden, dass sie ideal auf die Bedürfnisse von Zielgruppen zugeschnitten sind und Kunden sowohl offline als auch online ein perfekt personalisiertes Einkaufserlebnis bieten. Die Möglichkeiten von Digitalisierung und KI erlauben die Kernqualitäten des stationären Einzelhandels, die besondere Kundenähe, hohe Qualität und ein personalisiertes Dienstleistungsangebot, in eine digitale Zukunft zu übertragen. Den stationären Einzelhandel gemeinsam mit zukunftsweisender Stadtentwicklung zu denken, heißt, Innenstädte, Orts- und Stadtteilzentren wieder als zentrale Wirtschafts- und Lebens- räume neu zu beleben.
III. Beschlussfassung
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- zielgerichtet Kommunen dabei zu unterstützen ein aktives Leerstands- und Ansiedlungsmanagement sowie ein moderndes Veranstaltungsmanagement in den Innenstädten zu betreiben sowie zeitgemäße Zentren-, Nutzungs- und Verkehrskonzepte zu entwickeln und umsetzen. Dazu gehört auch die landesseitige Bereitstellung von einheitlichen Instrumenten und standardisierten Werkzeugen für die Erfassung von Leerständen und Branchenklassifikationen in den Innenstädten.
- die Kommunen und kommunalen Wirtschaftsförderungen dabei zu unterstützen, City-Manager einzusetzen. Dabei ist ein zertifiziertes Berufsbild für City-Manager anzustreben und ein landesweites City-Manager-Netzwerk für regelmäßigen, dauerhaften Wissenstransfer aufzubauen, um Best-Practice-Ideen für kommunale Maßnahmen zur Verfügung zu stellen.
- ein Kompetenzzentrum Urbane Logistik einzurichten und über die systematische Verknüpfung von Praxis und Forschung die Integration neuer Logistikkonzepte für Lieferverkehre, wie Mikrodepots oder City-Hubs, im Sinne einer nachhaltigen Mobilitätsentwicklung in Kommunen voranzutreiben.
- die bestmögliche Versorgung der Innenstädte und Ortszentren mit Glasfaser und 5G- Mobilfunktechnik sicherzustellen.
- den Förderaufruf „Digitalen und stationären Handel zusammendenken“ neu aufzusetzen und bürokratiearm auszugestalten.
- die Novellierung des Baugesetzbuches durch den Bund als Impuls zu nutzen, Möglichkeiten und Instrumente des Planungs- und Baurechts auszuweiten, zu verbessern und zu flexibilisieren, um den stationären Einzelhandel und die Innenstädte und Ortszentren durch attraktivitätssteigernde Maßnahmen zu stärken.
- Bürokratische Belastungen für den Einzelhandel regelmäßig zu erheben und zu erfassen und konsequent unnötige Vorgaben und Regelungen abzubauen oder zu vereinfachen.
- die Rechts- und Planungssicherheit von Sonntagsöffnungen im Rahmen der geltenden Regelungen in Nordrhein-Westfalen zu verbessern und die Beantragung und Umsetzung von Sonntagsöffnungen bürokratieärmer auszugestalten.
- Rechts- und Planungssicherheit bei Sonntagsöffnungen für Smart- und Automatenstores zu schaffen.
- mit einer Bundesratsinitiative für Sonntagsöffnungen eine Änderung des Grundgesetzes anzustoßen.
- mit einer Evaluation des Gesetzes über Immobilien- und Standortgemeinschaften NRW zu prüfen, wie die Gründung von Immobilien- und Standortgemeinschaften und ihr Beitrag zur Attraktivitätssteigerung von Innenstädten sowie Standortmarketing vereinfacht und optimiert werden kann.
- im Rahmen der Landesinitiative Zukunft.Innenstadt mit einer Landeskampagne die Ansiedlung von Handwerksbetrieben in Innenstädten zu fördern.
- unter Einbindung der Landesinitiative Zukunft.Innenstadt und des Netzwerks Stadtentwicklung einen Expertenrat Einzelhandel zu etablieren, der die Landesregierung bei der Umsetzung der Landesinitiative Zukunft.Innenstadt berät und über Umsetzungsfortschritte zur Stärkung des stationären Einzelhandels und der Attraktivierung der Innenstädte und Ortszentren jährlich öffentlich berichtet.