Status des Mittelabrufs im Corona-Rettungsschirm – Welche finanziellen Lasten des ursprünglichen maximalen Ziehungsrahmens sind dem Steuerzahler an neuen Schulden im Vollzug bislang erspart geblieben?

Der kreditfinanzierte Corona-Rettungsschirm wurde nach Ausbruch der Pandemie und in Anbetracht zunächst kaum absehbarer Folgen für unsere Wirtschaft, Gesellschaft und die Einnahmesituation des Landes am 24. März 2020 vom Landtag Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht und sah ein über Schulden zu finanzierendes sogenanntes Sondervermögen mit einem maximal zulässigen Ziehungsrahmen von bis zu 25 Milliarden Euro vor (siehe NRW-Rettungsschirmgesetz, LT-DS 17/8882). Zweck des Sondervermögens ist gewesen, „dem Landeshaushalt ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen, um die Folgen der Corona-Krise in Nordrhein-Westfalen abzufedern“. In der Gesetzesbegründung wurde in Aussicht gestellt, insbesondere „umfassende Maßnahmen zum Schutz von Unternehmen und Arbeitsplätzen“ auf den Weg zu bringen.

Das ausdrücklich erklärte Ziel der FDP-Landtagsfraktion ist dabei stets gewesen, den maximal erlaubten schuldenfinanzierten Ziehungsrahmen durch konjunkturelle Belebung idealerweise nicht vollständig zu benötigen und so künftige Haushaltsspielräume nicht unverhältnismäßig einzuschränken. Rückblickend ist das bis heute offenbar gut gelungen. Ein Grund dafür ist, dass sich zunächst prognostizierte deutliche Steuermindereinnahmen in Folge der Pandemie so nicht eingestellt haben und deutlich weniger Mittel zur Sicherung zentraler Aufgaben im Kernhaushalt benötigt worden sind. Ein weiterer wichtiger Grund ist, dass die von der FDP-Landtagsfraktion mitgetragenen Mittelbewilligungen aus dem Rettungsschirm grundsätzlich mit Augenmaß erfolgt sind und teils deutlich weitreichenderen Forderungen der Opposition bislang eine klare Absage erteilt worden ist – insbesondere dann, wenn ein klarer Corona-Bezug nicht erkennbar war.

Ungeachtet dessen hat der Landesrechnungshof Nordrhein-Westfalen (LRH) in seiner Zwischenprüfung bislang bewilligter Sofortmaßnahmen vereinzelt sehr ernstzunehmende Kritik geäußert (LT-Vorlage 17/6705). Die Kritik betrifft vorrangig einige Fördermaßnahmen zur schnellen konjunkturellen Belebung, die nach Einschätzung des LRH dem zwingend gebotenen notlagenspezifisches Konnexitätsprinzip nicht hinreichend Rechnung getragen haben. „Unzulässig ist es mithin vor allem, dass die Notlage und die durch sie ermöglichte Nettokreditaufnahme als Begründung dafür verwendet werden, um politische Programme umzusetzen, zu beschleunigen oder sonst zu fördern, die bereits vor Beginn der Notlage Teil der politischen Agenda der Regierung waren und nicht unmittelbar zur Überwindung der Notlage beitragen.“

Aus obigen Feststellungen ergeben sich nun maßgebliche Konsequenzen für den weiteren Umgang mit dem Corona-Rettungsschirm: Mehr als zwei Jahre nach Beginn der Pandemie ist es heute gelungen, in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen durch einen routinierten und grundsätzlich verantwortungsvollen Umgang mit dem Virus weitgehend zur Normalität zurückzukehren. Die aktuell größte Herausforderung für die Konjunktur, gute Arbeitsplätze und das Wohlergehen der Bevölkerung dürfte derzeit nicht länger die Corona-Pandemie, sondern vielmehr der russische Angriffskrieg auf die Ukraine mitsamt seinen gravierenden Auswirkungen auf zentrale Rohstoffmärkte und einer massiv gestiegenen Inflation sein. Weitere umfangreiche Mittelbewilligungen aus dem Corona-Rettungsschirm lassen sich daher nicht mehr länger rechtssicher mit Verweis auf einen kausalen Corona-Bezug begründen.

Folgerichtig wäre es daher, den Rettungsschirm jetzt wie geplant ohne weitere substantielle Anmeldungen zum Jahresende 2022 auslaufen zu lassen. Dort wo sich nach Jahren der Pandemie langfristige zusätzliche Aufgaben für den Bevölkerungsschutz (beispielsweise die Bevorratung einer Basisinfrastruktur für mögliche künftige Impfkampagnen) abzeichnen, gehört die Finanzierung nach dem Jahresende 2022 ehrlich und transparent über den Kernhaushalt des Landes abgebildet.

Ein ursprünglich nicht prognostizierter Überschuss aus dem Haushaltsabschluss 2021 in Höhe von rund einer Milliarde Euro wurde im Frühjahr 2022 dem Corona-Sondervermögen zugeführt, anstelle die Mittel beispielsweise unmittelbar zur anteiligen Tilgung der Landesschuld zu verwenden. In der begleitenden Presseinformation vom 18. Januar 2022 erklärte der Finanzminister dazu, dass durch diese Zuführung und einen damit absehbar bestehenden Restbestand an liquiden Mitteln im Sondervermögen womöglich bereits ab dem Jahr 2023 – und damit ein Jahr früher als ursprünglich geplant – in die Tilgung der Corona-Kredite eingestiegen werden könne.

Eine ambitionierte Rückzahlung der Corona-Schulden liegt insbesondere im Interesse einer generationengerechten Finanzpolitik.

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wie sehen die bislang insgesamt erfolgten Mittelabflüsse und Mittelbewilligungen aus dem Corona-Sondervermögen zum Stichtag 1. Juni 2022 aus? (vollständige tabellarische Auflistung analog Vorlage 17/6431 erbeten).
  2. In welchem Umfang wurden jeweils in den Jahren 2020 und 2021 nach abgeschlossener Haushaltsrechnung Mittel zum Ausgleich von Steuermindereinnahmen aus dem Corona-Sondervermögen benötigt?
  3. Mit welchem voraussichtlichen Mittelbedarf kalkuliert die Landesregierung aktuell für einen möglichen Ausgleich im Jahr 2022?
  4. In welchem Umfang weichen die Mittelentnahmen jeweils einzeln für die Jahre 2020 und 2021 sowie anteilig für 2022 bis heute vom anfangs prognostizierten Mittelbedarf zur Kompensation von Steuermindereinnahmen ab?
  5. Wie wird im Hinblick auf den im letzten Absatz der Vorbemerkung erwähnten Sachverhalt sichergestellt, dass diese außerplanmäßige Zuführung von Haushaltsmitteln tatsächlich einer schnelleren Tilgung zugutekommt, statt am Ende den maximal möglichen Ziehungsrahmen des Sondervermögens um den außerplanmäßig zugeführten Betrag noch zu erhöhen?

Ralf Witzel