Mündliche Anfrage aus dem Geschäftsbereich des Ministeriums für Finanzen

46 Abgeordneter Ralf Witzel FDP

Ungeklärte Rechts- und Verfahrensfragen zur angekündigten Einführung von gesplitteten Hebesätzen bei der Grundsteuer in Nordrhein-Westfalen – Wie geht der Finanzminister mit den nachvollziehbaren rechtlichen und faktischen Bedenken der Kommunen im weiter vorherrschenden Grundsteuerchaos um?

Am 13. März 2024 titelte die Rheinische Post „NRW-Finanzminister bessert Grundsteuer nach“. In diesem Artikel räumt Finanzminister Dr. Marcus Optendrenk ein, dass es mit der Anwendung des Scholz-Modells in seiner jetzigen Form „in manchen Kommunen zu einer Belastungsverschiebung gekommen wäre – also zugunsten der Gewerbeimmobilien und zulasten von Einfamilienhäusern. “Der Finanzminister spricht sich dafür aus, den Kommunen die Möglichkeit gesplitteter Hebesätze – je nach Grundstücksart – bei der Grundsteuer B zu eröffnen. Nach Auffassung des Finanzministers solle diese gesetzliche Anpassung auf Bundesebene vorgenommen werden. Falls dies nicht klappen sollte, „würden wir als Land von unseren Möglichkeiten Gebrauch machen und eine entsprechende Regelung eigenständig umsetzen“, so Dr. Optendrenk.

Eine landesweite und flächendeckende Lösung über die Anpassung der Steuermesszahlen, wies die FDP-Landtagsfraktion in ihrem Antrag (LT-DS 18/7760) fordert, hält der Finanzminister offenbar nicht für geeignet.

Bundesfinanzminister Christian Lindner lehnte eine Regelung auf Bundesebene erwartungsgemäß zeitnah ab, wie der dpa-Meldung „Trotz Länderkritik: Bund will Grundsteuer-Gesetz nicht ändern“ vom 9. April 2024 zu entnehmen ist, und verweist auf die seit Jahren bestehende Länderöffnungsklausel zur Verabschiedung von Grundsteuermodellen, um vom Scholz-Modell und den damit verbundenen Problemen abzuweichen.

Die nordrhein-westfälischen Kommunalverbände positionierten sich umgehend und eindeutig gegen die Einführung eines differenzierten gemeindlichen Hebesatzrechts. So äußerte sich im Internetauftritt www.kommunen.nrw der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds am 14. März 2024 in der Presseinformation „Kommunen sollen für Versäumnisse des Landes geradestehen" so:

„Aus mehreren Gründen wird es für die Städte und Gemeinden mehr als schwierig, die Pläne des Landes umzusetzen. Ihnen läuft die Zeit davon. Es bleiben nur noch wenige Monate, um die komplexe IT für die Neu-Berechnung umzustellen. Ob die Zeit reicht, ist fraglich: Die Kommunen sind darauf angewiesen, dass die Software-Hersteller rechtzeitig liefern können.“

Darüber hinaus sei nicht ansatzweise klar, wie eine gesetzliche Grundlage für das Handeln der Kommunen aussehen soll. An diesem Umstand hat sich auch Anfang Mai 2024 nichts geändert. Die Landesregierung hat ihrerseits nach aktuellem Kenntnisstand noch gar keinen Referentenentwurf für eine Abweichung im Grundsteuer recht im Kabinett beschlossen.

Aber auch einen drohenden Flickenteppich zwischen Nachbarkommunen will der Städtetag ausdrücklich nicht. Im WAZ-Artikel vom 10. Mai 2024 „Landesregierung will Konflikt in die Städte tragen, Städtetag erteilt Plänen von Finanzminister Optendrenk klare Absage“ wird die erneute und noch ganz aktuelle Ablehnung des Städtetags gegen die Pläne des Finanzministers bestätigt, die auch bei dessen Mitgliederversammlung am 7. und 8. Mai 2024 in Neuss deutlich geworden ist.

Im Rahmen der Sachverständigenanhörung zum Antrag der FDP-Landtagsfraktion (LT-DS 18/7760) wurden diese und weitere Kritikpunkte der Städte und Gemeinden an der Einführung gesplitteter Hebesätze sowohl in schriftlicher Form als auch während der Präsenzanhörung am 16. April 2024 mündlich vorgetragen. So schreibt beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft der Kommunalen Spitzenverbände (Stellungnahme 18/1369), dass ein differenziertes Hebesatzrecht mit „erheblichen verfassungsrechtlichen Risiken“ verbunden wäre. Die Spitzenverbände stellen die berechtigte Frage, „ob Entscheidungen über die Privilegierung des Wohnens und über die (gleichheits-)rechtlichen Grenzen von Belastungsverschiebungen nicht richtigerweise auf der Ebene des Gesetzgebers zu belassen und landeseinheitlich zu treffen sind.“

Darüber hinaus sei ungeklärt, ob differenzierte Hebesätze für Wohngrundstücke und Nicht-Wohngrundstücke in Bezug auf die Grundstücksart der gemischt genutzten Grundstücke unter Gesichtspunkten der Gleichheitsgerechtigkeit vertretbar wären. Denn gemischt genutzte Grundstücke unterlägen denselben Hebesätzen wie die Nicht-Wohngrundstücke, obwohl diese zumindest anteilig zu Wohnzwecken dienen.

Auch maßgebliche Rechtskommentare für das Grundsteuerrecht bezweifeln oder verneinen die Zulässigkeit derartiger gesplitteter Hebesätze auf kommunaler Ebene.

Die Verbände befürchten zurecht eine weiter zunehmende Widerspruchs- und Klagewelle. Wegen der örtlich unterschiedlich ausgestalteten Hebesatzregelungen wären diese ferner kaum im Rahmen von Musterverfahren zu kanalisieren. Damit würde ein enormes rechtliches Risiko für einen unverzichtbaren Teil der kommunalen Einnahmen einhergehen. Den Kommunalen Spitzenverbänden ist nicht bekannt, ob das Land ein unabhängiges verfassungsrechtliches Gutachten
zu diesen Fragen eingeholt hat.

Völlig unverständlich bleibt die Frage, warum die Landesregierung ihrerseits schon seit langer Zeit die im wertbasierten Scholz-Modell begründeten Nachteile kennt, aber bis zum heutigen Tag keine eigenen Anstrengungen zur Problemlösung auf den Weg gebracht hat.

Mit Hinweis auf die Zeitschiene hat der amtierende Finanzminister bereits im Jahr 2022 jegliche Änderung am Scholz-Modell abgelehnt, da die Zeit für Kommunen angeblich nicht mehr ausreichend sei, sich darauf einzustellen. Aktuell scheinen ihn diese Zeitprobleme bei angedachten, aber noch längst nicht umgesetzten Änderungen im Jahr 2024 nicht mehr zu stören.

Auch die Bekanntgabe der aufkommensneutralen Hebesätze, die der Finanzminister bereits am 28. Februar 2024 gegenüber den Kommunalen Spitzenverbänden für „Anfang Mai 2024“ zugesagt hat, liegt bis jetzt nicht vor. Im Wortlaut heißt es in der Präsentation des Finanzministers auf S. 8: „Die Daten werden Anfang Mai 2024 für alle Kommunen in NRW bereitgestellt. Die Daten sollten zeitnah in der Kommune verarbeitet werden.“ Letzteres ist sachlogisch nicht möglich, solange die Daten weiter auf sich warten lassen.

Das Land Sachsen, das wie Nordrhein-Westfalen grundsätzlich auch das Scholz-Modell umsetzt, hat seine Hebesatzprognose für die Kommunen längst für jedermann transparent im Internet veröffentlicht (https://www.smf.sachsen.de/hebesatzprognose-2025.html).

Der Finanzminister sollte dem Landtag gegenüber ausführlich darlegen, wie genau die Kommunen in unserem Land mit den rechtlichen Fragezeichen und dem administrativen Chaos weiter umgehen sollen und welche Maßnahmen er selbst wann zur Situationsverbesserung zu ergreifen gedenkt.

Wie geht der Finanzminister mit den nachvollziehbaren rechtlichen und faktischen Bedenken der Kommunen im weiter vorherrschenden Grundsteuerchaos um?