Anhaltendes Chaos und neuer Streit bei der Grundsteuererhebung unseres Landes – Wann endlich gibt es ein Moratorium der Vernunft?

Die Verärgerung breiter Teile der Bevölkerung über die neue Grundsteuerbürokratie nimmt täglich zu. Sogar viele Experten hadern mit der neuen Grundsteuererklärung, die allgemein verpflichtend über das ELSTER-Onlineportal der Finanzverwaltung zu erledigen ist. Durch diesen erzwungenen Übermittlungsweg der Daten sparen die Finanzbehörden zwar eigenen Personalaufwand, da sie die anfallenden Arbeiten auf die Steuerpflichtigen delegieren, aber dadurch erhöhen sie die Belastungen für viele Steuerpflichtige. Etliche von ihnen wünschen sich eine beleghafte Bearbeitungsmöglichkeit in Papierform, da sie dann mehr Ruhe, Zeit und Sicherheit empfinden als bei dem technisch unzureichenden Onlineverfahren.

Die Selbsttests in der Verzweiflung, die derzeit viele Betroffene im Internet zeigen, sprechen eine eindeutige Sprache. Spätestens seit dem Zusammenbruch des Onlineportals ELSTER und dessen zwischenzeitlicher Abschaltung durch Überlastung ist der Unmut über das völlig unzureichende Bearbeitungsangebot groß. Völlig verständnislos blicken viele Steuerzahler auch auf die angedrohten Strafen, falls die komplexen Arbeiten nicht abschließend bis zum Oktober erledigt werden können.

Für Steuerberater ist das Scholz-Modell eine lukrative Einnahmegelegenheit, auch wenn sie dafür eine monotone Arbeitsroutine absolvieren müssen. Für den Steuerpflichtigen, der sich verzweifelt professionelle Hilfe organisiert, bedeutet die Steuerberatervergütungsverordnung aber eine massive wirtschaftliche Belastung. Deren Gebühren sind abhängig vom Wert der Liegenschaft (Gegenstandswert). Wird ohne zusätzlichen oder besonderen Arbeitsaufwand nur eine sogenannte Mittelgebühr erhoben, müssen Eigentümer eines Reihenhauses in einer Großstadt mit angespanntem Wohnungsmarkt schnell einen Betrag von rund 3.000 Euro entrichten.

Viele Betroffene berichten in diesen Tagen von teilweise höheren Honorarvorstellungen und wenig vorhandener Verhandlungsbereitschaft der steuerberatenden Berufe, da diese durch vielfältige Zusatzaufgaben wie Mittelnachweise für Corona-Hilfen oder Restrukturierungen inklusive der Kurzarbeitergeldabrechnung infolge der aktuellen wirtschaftlichen Turbulenzen ohnehin maximal ausgelastet und mit ihren Beratungsleistungen besonders gefragt sind.

Grund für die aktuelle Arbeitsbelastung der Steuerpflichtigen ist das wertbasierte Scholz-Modell für die Grundsteuer. Dies wird automatisch in Nordrhein-Westfalen zur Anwendung kommen, wenn der Landtag nicht in diesem Herbst ein einfacheres Modell beschließt.

Die FDP-Landtagsfraktion hat dafür bereits unmittelbar zu Beginn dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf im Parlament vorgelegt (LT-DS 18/49), der weitgehend dem Modell des Bundeslandes Hessen entspricht (Flächen-Faktor-Ansatz).

Für die FDP-Landtagsfraktion ist das Thema Grundsteuerreform seit langer Zeit von großem Interesse, da diese gleichermaßen selbstnutzende Wohneigentümer, Vermieter und Mieter sowie Betriebe, Vereine und andere Organisationen betrifft. Anders als beim Kauf von reinen Konsumgütern ist Wohnen ein Existenzbedürfnis, und es besteht regulär keine Möglichkeit zur Grundsteuervermeidung.

Das Bundesverfassungsgericht hat durch seine finale Entscheidung am 10. April 2018 die Berechnung der Grundsteuer auf Basis von Einheitswerten als verfassungswidrig verworfen. Dem Urteil vorangegangen ist bereits eine mehrjährige Debatte der Bundesländer für eine Grundsteuerreform. Die FDP-Landtagsfraktion hat sich bereits im Juni 2016 als einzige Fraktion nach den diesbezüglichen Plänen der Landesregierung detailliert erkundigt (siehe LT-Vorlage 16/4057 „Haltung und Lösungsvorschläge des Landes Nordrhein-Westfalen zur bevorstehenden Grundsteuerreform“ oder APr 16/1369).

Nach zahlreichen Fachgesprächen, einer fraktionsinternen Sachverständigenanhörung und einem Werkstattgespräch mit Verbänden sowie externen Experten am 6. November 2018 hat die FDP-Landtagsfraktion nach umfangreichen Beratungen bereits am 26. März 2019 ihr eigenes Positionspapier „Einfach, gerecht und zuverlässig – Für eine vernünftige Reform der Grundsteuer“ beschlossen, in dem sie für ein flächenbasiertes Grundsteuermodell plädiert. Seitdem warnt die FDP-Landtagsfraktion zugleich immer wieder vor dem überflüssigen wie bürokratischen Erhebungsaufwand für Steuerzahler und Verwaltung, der Rechtsunsicherheit, den Kosten und den Verwerfungen eines wertbasierten Ansatzes wie beim Scholz-Modell.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat bei der Sitzung des Bundesrats am 8. November 2019 für die Einführung einer Länderöffnungsklausel votiert, die eine landesgesetzliche Abweichung vom Scholz-Modell ermöglicht, dem Grundsteuerpaket mit dem wertbasierten Scholz-Modell allerdings ausdrücklich nicht zugestimmt (siehe Sitzungsprotokoll Bundesrat, 982. Sitzung, S. 497 ff.). Der seinerzeitige Finanzminister Lutz Lienenkämper begründet dies in seiner Rede mit den unterschiedlichen Auffassungen in der nordrhein-westfälischen Koalition.

Die klare inhaltliche Haltung der FDP-Landtagsfraktion zeigen nicht nur die Debattenbeiträge in der 84. Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses (nachlesbar in APr 17/1407). Auch in den Medien wird darüber berichtet. So schreibt beispielsweise die WAZ in ihrem Artikel „Für Steuerzahler die teuerste Lösung“ vom 7. Mai 2021 auf S. 2 zum Scholz-Modell:

„Gegen dieses Verfahren waren bis zuletzt nicht nur Wirtschafts- und Verbraucherverbände in NRW Sturm gelaufen. Auch die NRW-Liberalen hatten darauf bestanden, die Neuberechnung der Grundsteuer durch Konzentration auf die Fläche so einfach wie möglich zu halten. Dafür fanden sie beim Koalitionspartner offensichtlich kein Gehör.“

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Falls die Landesregierung weiter an der Umsetzung des bürokratischen Scholz-Modells festhält: Aus genau welchen einzelnen Gründen verweigert sie noch trotz der allgemein ersichtlichen Probleme der Bürger, der artikulierten Überarbeitung von Steuerberatern und des technischen Zusammenbruchs des verpflichtend zu nutzenden Portals für die Dateneingaben eine sanktionsfreie Verlängerung der Abgabefrist mindestens bis zum 31. Dezember 2022?
  2. Falls die Landesregierung weiter an der Umsetzung des bürokratischen Scholz-Modells festhält: Welche konkreten Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit es einem mit der Dateneingabe in das erkennbar unzureichende ELSTER-Portal überforderten Bürger landeseinheitlich sanktionsfrei und rechtssicher als sogenannter Härtefall erlaubt wird, die Datenübermittlung in einem herkömmlichen beleghaften Formular vorzunehmen? 
  3. Jeweils wie viele dieser Härtefallanträge auf Einreichung der Festsetzungserklärung in Papierform sind bislang, differenziert nach den einzelnen für die Grundsteuerbearbeitung im Land zuständigen Finanzämtern, zugunsten der Steuerpflichtigen bewilligt worden?
  4. Aus welchen einzelnen Gründen hat die Finanzverwaltung nicht zumindest den Teil der bereits auf Behördenseite ohnehin bekannten Daten den jeweiligen Steuerpflichtigen als vorausgefüllte Steuererklärung zukommen lassen, um die Betroffenen servicefreundlich von diesen Arbeiten und Bearbeitungsunsicherheiten zu entlasten?
  5. Wie viele zusätzliche befristet Beschäftigte sind aktuell bereits in der Finanzverwaltung nur für den Arbeitsanfall im Zusammenhang mit der Umsetzung der neuen Grundsteuer, bitte unter Angabe des voraussichtlichen Termins ihres geplanten Beschäftigungsendes, tätig? (Angabe in Vollzeitstellenäquivalenten für die besetzten Stellen erbeten)

Ralf Witzel