Nordrhein-Westfalen völlig losgelöst von der Erde – Gemeinsam eine Luft- und Raumfahrtstrategie für NRW entwickeln

I. Ausgangslage

Weltweit stecken in fast jedem Flugzeug Komponenten, die in Nordrhein-Westfalen gefertigt werden. Nordrhein-Westfalen ist ein Land der Luftfahrt-Zulieferer und verfügt im Bereich der Luft- und Raumfahrtbranche über eine starke mittelständisch geprägte Zulieferindustrie mit vielen sog. „Hidden Champions“ über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg.

Der Anpassungsdruck in der Luftfahrtbranche in den Bereichen der Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demographie ist aktuell hoch und macht revolutionäre Entwicklungssprünge entlang der gesamten Wertschöpfungskette notwendig, um weiter international wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Senkung der Treibhausgasemissionen des Luftverkehrs bleibt die gewichtigste Herausforderung. Die Luftfahrt hat sich selbst dazu verpflichtet bis zum Jahr 2050 den weltweiten Luftverkehr vollständig CO2-neutral durchzuführen. Dies erfordert Anstrengungen in vielen Teilsparten: Vom Antriebs- und Treibstoffbereich, über den Konstruktionsbereich bis hin zur Anpassung von Bodeninfrastrukturen sowie Wartung und Instanthaltung. Mit dem wachsenden Anspruch an klimaneutrales Fliegen wächst der Bedarf an neuen Flugzeugen. Bis zum Jahr 2042 prognostiziert die Luftfahrtbranche weltweit einen Bedarf an 40.850 neuen Passagier- und Frachtflugzeugen. Mit dem Ersatz der bisherigen Flugzeugflotte durch neue Flugzeuge erwartet die Branche einen Gesamtumsatz von ca. acht Billionen US-Dollar bis zum Jahr 2042. Zusätzlich werden ca. 3,8 Billionen US-Dollar Umsatz für die Bereiche Wartung, Training, Ausbildung sowie Ersatzteile und Digitalisierung prognostiziert.

Die Weiterentwicklung der internationalen Luftfahrt bietet damit nicht nur Herausforderungen, sondern vor allem erhebliche Marktentwicklungspotentiale und Wachstumschancen, insbesondere für Luftfahrt-Zulieferer. 80 Prozent der Gesamtwertschöpfung bei der Produktion eines modernen Flugzeugs entfallen auf die Zulieferer.

Der Luft- und Raumfahrt-Standort Nordrhein-Westfalen bietet eine sehr gute Ausgangslage, um an dieser vielversprechenden Entwicklung partizipieren zu können. Neben einer starken Luftfahrt-Zulieferindustrie verfügt Nordrhein-Westfalen über eine exzellente Forschungslandschaft im Bereich der Luft- und Raumfahrt. Die bei der Transformation der Luftfahrt erforderlichen Technologien, z. B. im Bereich der Antriebe (Wasserstoff, Batterie, „sustainable aviation fuel“ (SAF) etc.) sind in Nordrhein-Westfalen stark vertreten. Neue Materialien sind ein wichtiger Ermöglicher für die Transformation der Luftfahrt, auch hier ist Nordrhein-Westfalen als traditionell starkes „Materialland“ sehr gut positioniert. Zahlreiche Flughäfen und Flugplätze in Nordrhein-Westfalen fokussieren sich bereits heute auf die für die Transformation der Luftfahrt notwendigen Entwicklungen und Innovationen.

II. Handlungsbedarf

Die nordrhein-westfälische Luft- und Raumfahrtindustrie darf nicht den Anschluss an die internationale Spitze verlieren. Die wirtschaftliche Dynamik in den Bereichen der Digitalisierung und Dekarbonisierung ermöglicht neue Lieferketten, Geschäftsmodelle, Marktchancen und Produkte für die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen. Der Luftfahrt-Standort Nordrhein-Westfalen kann zum Innovations- und Wachstumstreiber für die Wirtschaft werden.

Synergien der Luftfahrtbranche mit der in Nordrhein-Westfalen traditionell starken Energie- und Chemiebranche können sich insbesondere im Treibstoff- und Antriebsbereich ergeben. Die Etablierung einer klimaneutralen Produktion von Komponenten und Systemen in der Luftfahrt entlang der gesamten Wertschöpfungskette können auch als Blaupause und Innovationstreiber für weitere Branchen dienen. Luftfahrttechnologien „made in NRW“, die weltweit helfen Treibhausgasemissionen zu reduzieren, fördern ebenfalls die Ansiedlung neuer Unternehmen im Bereich der Luft- und Raumfahrt und den Aufbau von OEM-Produktionsstätten.

Die Marktentwicklungspotentiale für die Luft- und Raumfahrtbranche sind enorm. Diese Entwicklungschancen müssen jetzt genutzt werden. Hierzu braucht es in Nordrhein-Westfalen einen konkreten gemeinsamen strategischen Ansatz, der Synergieeffekte innerhalb der Branche erzeugt und vorhandenes Knowhow im Bereich der Schlüsseltechnologien zusammenführt.

Hierbei muss einer Reihe von Herausforderungen begegnet werden: Die Sichtbarkeit und der Bekanntheitsgrad des Luftfahrt-Standorts Nordrhein-Westfalen ist im internationalen Vergleich gering. Es existiert bisher kein einheitliches Zielbild für die zukünftige strategische Ausrichtung des Luftfahrt-Standorts Nordrhein-Westfalen. Der Mangel an Fachkräften macht sich bei vielen
Luftfahrt-Zulieferern zunehmend bemerkbar. Mittelständische Unternehmen der Luftfahrtbranche in Nordrhein-Westfalen verfügen häufig über eine zu geringe Kapitaldecke für notwendige Innovationen. Landes- und luftfahrtspezifische Fördermaßnahmen, die einem gesamtstrategischen Zielbild folgen, gibt es bisher nicht.

Die mit dem technologischen Wandel und der Dekarbonisierung verbundenen Herausforderungen werden für die mittelständisch geprägte Luftfahrtindustrie in Nordrhein-Westfalen zum Risiko und nicht zur Chance, wenn jetzt nicht die passenden Rahmenbedingungen gesetzt werden, damit sich die Branche neu erfinden und in neue Technologien investieren kann. Die
Luftfahrtindustrie braucht in Nordrhein-Westfalen eine gemeinsame Zielstrategie und klare Entwicklungsperspektiven.

III. Beschlussfassung

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  • gemeinsam mit allen Stakeholdern der Luft- und Raumfahrtindustrie in Nordrhein-Westfalen eine zukunftsweisende Luft- und Raumfahrtstrategie des Landes zu entwickeln und zu implementieren.
  • die Finanzierung von Aerospace.NRW zu verstetigen und das Netzwerk als interdisziplinäres Forschungs- und Industriecluster des Landes auszubauen mit dem Ziel, Synergien zwischen der NRW-Luftfahrt und weiteren Sektoren wie der Chemie-, Energietechnik- und Werkstoffbranche zu schaffen.
  • das Standortmarketing für den Luft- und Raumfahrtindustrie-Standort Nordrhein-Westfalen auszubauen und die Sichtbarkeit der nordrhein-westfälischen Luft- und Raumfahrtindustrie in der Außenwirtschaftsförderung zu erhöhen.
  • einen landesweiten Innovationswettbewerb für Luft- und Raumfahrttechnologien ins Leben zu rufen, der eine regelmäßige Preisvergabe vorsieht.
  • im Rahmen verfügbarer Mittel das Luftfahrtforschungsprogramm des Bundes für eine standortspezifische Luftfahrtforschung mit einer landeseigenen Landesförderung zu ergänzen.
  • Anreize für klimafreundliche Investitionen in innovative Luft- und Raumfahrttechnologien in Form von erheblich vergünstigten Darlehen der NRW.Bank zu prüfen.
  • den Bürgschaftsrahmen bei der Bürgschaftsbank NRW auf generell 2,5 Mio. Euro zu erhöhen. Mit einer generellen Erhöhung der Obergrenze für Bürgschaften kann den gestiegenen Kosten mittelständischer Zuliefererbetriebe Rechnung getragen werden.
  • durch gezielte Maßnahmen die Attraktivität relevanter Berufsfelder für die Luftfahrtindustrie zu stärken und an den Bedarfen der Luftfahrtindustrie ausgerichtete Ausbildungsinitiativen voranzutreiben.