Nordrhein-Westfalen zum Standort für zukunftsweisende Fusionstechnologien ausbauen!

I.  Ausgangslage  

Der 5. Dezember 2022 markiert einen historischen Tag für die Energieversorgung der Zukunft: Erstmals demonstrierten Forschende der National Ignition Facility (NIF) des Lawrence National Laboratory in Kalifornien , dass mit einer Fusionsreaktion mehr Energie entstanden ist, als mit verwendeten Lasern eingestrahlt wurde. Konkret wurde damit der Nachweis einer neuen Form der Energiegewinnung erbracht, die unseren Energiemix perspektivisch um eine klimaneutrale, verlässliche und wirtschaftliche Quelle ergänzen könnte.  

Die Kernfusion gilt als extrem vielversprechende Energiequelle, da sie saubere und fast unbegrenzte Energie liefern kann. Die Kernfusion findet auf der Sonne und anderen Sternen statt. Es ist ein Prozess, bei dem Atomkerne miteinander verschmelzen und dabei enorme Mengen an Energie freisetzen. Diese freigesetzte Bindungsenergie kann in nutzbare Energieformen überführt werden.  

Aus einem Gramm Brennstoff in der Kernfusion kann so viel Energie gewonnen werden wie aus elf Tonnen Steinkohle. Im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen produziert die Kernfusion keine schädlichen Treibhausgase. Deuterium und Lithium als Ressourcen für die Kernfusion sind in Wasser und Gestein weltweit nahezu unbegrenzt verfügbar. Negative Auswirkungen auf die Umwelt durch die Kernfusion sind nach dem heutigen Stand der Wissenschaft gering. Durch die Fusion entsteht, je nach Materialeinsatz, maximal schwach radioaktiver Abfall mit sehr kurzen Halbwertszeiten. Bei sorgfältiger Auswahl des eingesetzten Materials ist eine Endlagerung nicht notwendig. Fusionskraftwerke könnten künftig helfen, die Nutzung von erneuerbaren Energien zuverlässiger zu machen, indem sie als Energiequelle zur Grundlastversorgung dienen, die immer verfügbar ist um den Strombedarf zu decken, wenn die erneuerbaren Energien nicht genügend Strom produzieren können.  

Um die Kernfusion als Energiequelle zu nutzen, muss zunächst ein Fusionsreaktor gebaut werden der in der Lage ist, die notwendigen Bedingungen für die Kernfusion zu schaffen und zu kontrollieren. Um sich abstoßende Atomkerne zu verschmelzen, müssen sehr hoher Druck und Temperaturen von an die 150 Millionen Grad Celsius erzeugt und aufrecht erhalten werden. Das dabei entstehende Plasma kann nicht in materiellen Gefäßen eingeschlossen werden.  

Die am weitesten fortgeschrittenen Fusionstechnologien, die derzeit erforscht werden, sind die Magnetfusion und die Trägheitsfusion. Bei der Magnetfusion (Magnetic Confinement-Fusion) werden starke Magnetfelder verwendet, um das Plasma einzuschließen und zu kontrollieren. Mit ITER, dem International Thermonuclear Experimental Reactor, arbeitet Deutschland mit 34 anderen Staaten gemeinsam am größten Fusionsforschungsprojekt der Welt. Im südfranzösischen Forschungszentrum Cadarache wird ein Forschungsreaktor entwickelt und gebaut, der die Magnetfusion nutzt, einen stabilen Plasmadruck erzeugt und eine Energienutzung ermöglicht. Ziel ist es, auf den gewonnenen Erkenntnissen aufbauend, einen Demonstrationskraftwerk zu entwickeln, das alle Funktionen eines energieerzeugenden Systems erfüllt. Europäische Forschungsverbünde arbeiten im Rahmen des europäischen Fusionsprogramms EUROfusion an dem Großprojekt mit und leisten bahnbrechende Grundlagenforschung. Aus Nordrhein-Westfalen ist hierbei insbesondere das Forschungszentrum Jülich mit dem Institut für Plasmaphysik beteiligt.    

Bei der Trägheitsfusion (Inertial Fusion Energy) wird mit einer Vielzahl von gepulsten Hochenergielasern das in kleinen Kapseln eingeschlossene Fusionsgemisch für sehr kurze Zeit auf die notwendige Dichte und Temperatur zur Verschmelzung der Kerne komprimiert. Mit dieser Methode wurde, wie oben bereits dargelegt, zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit in den USA an der National Ignition Facility (NFI) in Kalifornien ein Plasma unter Laborbedingungen gezündet, bei dem positiver Energieoutput erzielt werden konnte. Das NFI ist in erster Linie eine Versuchsanlage zur Erforschung und Erzeugung von brennenden Plasmen und keine Anlage, um die Energienutzung mit Hilfe der Trägheitsfusion zu entwickeln. Dieser entscheidende Schritt steht jetzt an und hat weitere intensive Forschungsinitiativen aktiviert.  

Die vielversprechenden Perspektiven der Fusionsenergie beleben nicht nur weitere öffentliche Forschungsbemühungen, sondern auch die Bemühungen privater Unternehmen und Investoren, die Fusionstechnologien für eine kommerzielle Nutzung weiterzuentwickeln. Sowohl im Bereich der Magnetfusionstechnik, als auch im Bereich der Laserfusionstechnik arbeiten weltweit insgesamt mehr als 30 Unternehmen bei steigenden Investitionsvolumina an technischen Lösungen für die Nutzbarmachung der Fusionstechnologie. Deutsche Start-Ups, die teilweise als Universitätsausgründungen entstanden sind, oder eng mit Universitätseinrichtungen zusammenarbeiten, beteiligen sich an dem Wettlauf. Zu nennen sind bspw. das Unternehmen Focused Energy, eine Ausgründung der TU Darmstadt, oder das Unternehmen Marvel Fusion aus München.  

Als Kernland industrieller Produktion ist Nordrhein-Westfalen das größte Energieverbrauchszentrum Deutschlands. Der Primärenergieverbrauch hat einen Anteil von mehr als 28 Prozent am gesamtdeutschen Bedarf an Primärenergie. Aufgrund klimatischer und geografischer Gegebenheiten und einer hohen Siedlungs- und Bevölkerungsdichte ist Nordrhein-Westfalen für die Nutzung von Wind, Wasser und Solarenergie limitiert. In langfristiger Betrachtung können Fusionskraftwerke nicht nur sinnvoll ein Energiesystem aus Erneuerbaren Energien erweitern, sondern zukünftig gewährleisten, die Energieversorgung sicher, CO2-frei, zuverlässig und unabhängig von Energielieferungen aus dem Ausland aufzustellen.  

Gleichzeitig bietet die Nutzung der Fusionstechnologien großes wirtschaftliche Potential. Mit entscheidenden Forschungs- und Entwicklungsfortschritten bei dieser Zukunftstechnologie lassen sich Wettbewerbsvorsprünge erzielen, die auf die Zukunftsfähigkeit unserer Industrie und Wirtschaft einzahlen. Zahlreiche Studien, die mit detaillierten Kraftwerksmodellen arbeiten, legen zudem nahe, dass Fusionskraftwerke günstigen Strom zwischen 5 bis 8 Cent pro Kilowatt produzieren können, bei einer Anlagenverfügbarkeit von 70 bis 75 Prozent und einer Annuität von 10 Prozent (=jährliche Zahlung von Zinsen und Tilgung der Investitionskosten).

In Deutschland ist umfangreiches Know-How in Schlüsseltechnologien vorhanden, die für die Entwicklung von nutzbaren Fusionstechnologien von größter Bedeutung sind. Das gilt besonders für die Bereiche der Materialforschung, Plasmaforschung und der Lasertechnik Deutschland hätte demnach alle Voraussetzungen zu einem zentralen Standort für Forschung und Entwicklung bei der Fusionsforschung zu werden.  

Als Energiezentrum des Landes sollte Nordrhein-Westfalen eine besondere Rolle dabei einnehmen. In Nordrhein-Westfalen ist ein sehr leistungsfähiges Ökosystem aus Forschungseinrichtungen, Industrie und Universitäten vorhanden, das in der Lage ist, Schlüsseltechnologien für Fusionsanlagen zu entwickeln. Dazu zählen beispielsweise das Forschungszentrum Jülich mit seinem Institut für Plasmaphysik, die Institute für Plasmaphysik an den Universitäten Münster und Bochum und das Institut für Laser- und Plasmaphysik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.  

Bisher fehlt es an einem ganzheitlichen breiten Ansatz, der der Innovationsfreudigkeit im Bereich der vielversprechenden Fusionstechnologien einen entscheidenden Schub verleiht. Die Bundesregierung hat inzwischen die Chancen der Fusionstechnologien erkannt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat eine internationale Expertengruppe ins Leben gerufen, die Vorschläge für eine zielgenauere Fusionsforschung sowie ein Stärkung der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Unternehmen erarbeiten soll. Ein Memorandum der Expertengruppe soll noch im Frühjahr 2023 vorgelegt werden.  

Das Land Nordrhein-Westfalen als Energiezentrum Deutschlands sollte diesen Impuls aufnehmen, um sich frühzeitig als zentraler Forschungs- und Entwicklungsstandort für Fusionstechnologien aufzustellen und die Zukunftschancen der Fusionsenergie als Industrieland zu nutzen.  

II.  Beschlussfassung

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,  

  • Projektfinanzierungen in Verbindung mit europäischen Förderprogramm EUROfusion und ITER sicherzustellen und zu verstetigen.
  • sich dafür einzusetzen, dass ein Exzellenzcluster für Kernfusionsforschung in Nordrhein-Westfalen aufgebaut wird.  
  • Forschung und Entwicklung zur Kernfusion in die Energieforschungsoffensive und Innovationsstrategie des Landes zu integrieren und dafür einen Zugang zu landeseigenen Förderprogrammen zu ermöglichen.
  • sich dafür einzusetzen, dass ein Rechts- und Förderrahmen entwickelt wird, der die kommerzielle Erforschung und Entwicklung von Kernfusionstechnologien ermöglicht. 
  • sich auf Bundesebene für einen breit angelegten Forschungs- und Innovationswettbewerb zur Kernfusion einzusetzen.