Null Toleranz für Gewalt im Gesundheitswesen!
I. Ausgangslage
Bereits 2016 ist eine bundesweite Befragungsstudie der Technischen Universität München zu dem Ergebnis gekommen, dass über 90 Prozent der befragten Allgemeinärzte bzw. praktischen Ärzte in Deutschland in ihrer Karriere Aggression in irgendeiner Form erlebt haben. In den letzten 12 Monaten vor der Befragung waren 73 Prozent aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer betroffen. 23 Prozent der Befragten berichteten sogar von schwerwiegenden Aggressionen in Form von Gewalt.
Dieser besorgniserregende Trend hat sich dann weiter fortgesetzt. Der von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und dem Verband der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte Deutschlands e.V. (NAV-Virchow-Bund) in Auftrag gegebene Ärztemonitor 2018 berichtete darüber, dass 39 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte Erfahrung mit verbaler Gewalt bei eigener Praxistätigkeit in den letzten 12 Monaten konfrontiert waren. Über 25 Prozent der Befragten mussten seit Beginn der eigenen Praxistätigkeit Erfahrungen mit körperlicher Gewalt machen.
In der Diskussion um den Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie sonstigen dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten hat die KBV erneut darauf hingewiesen, dass Praxen immer häufiger von Beschimpfungen, Beleidigungen und aggressivem Verhalten von Patientinnen und Patienten betroffen sind. Gewalt und aggressives Verhalten würden sich zudem negativ auf die Attraktivität des Berufes der Medizinischen Fachangestellten auswirken. Die KBV forderte daher auch, Arztpraxen bei der geplanten Strafrechtsänderung unter Schutz zu stellen.
Die Entwicklung in den Arztpraxen ist leider kein Einzelphänomen, sondern kommt in allen Bereichen des Gesundheitswesens vor. Neun von zehn Pflegenden berichten von Gewalterfahrungen innerhalb des letzten Jahres. Pflegekräfte sind besonders mit körperlicher Gewalt in Form von Schlägen und Tritten konfrontiert. Die Gewalt wird häufig von Menschen ausgeübt, die an psychischen Erkrankungen leiden oder dement sind. Die häufigste Form der Gewalt, die sowohl Pflegekräfte als auch Pflegebedürftige trifft, ist psychische Gewalt in Form von Beleidigungen, Pöbeleien und Herumschreien. Daneben gibt es aber auch Fälle sexueller Gewalt – vor allem anzügliche Bemerkungen und unangemessene Berührungen bei der täglichen Pflege. Das Dunkelfeld ist in diesem Bereich besonders groß, weil Scham und Tabuisierung ein Anzeigen der Gewalt verhindern.
In deutschen Krankenhäusern kommt es auch immer häufiger zu Gewalttaten. Bundesweit ist die Zahl sogenannter Rohheitsdelikte in medizinischen Einrichtungen seit 2019 um etwa 18 Prozent auf mehr als 6.190 Taten im Jahr 2022 gestiegen. 2019 waren es noch etwa 5.245 Fälle. Die häufigsten Delikte sind u. a. Raub, Körperverletzungen und Straftaten gegen die persönliche Freiheit. Die Angaben der Landeskriminalämter lassen jedoch keine Rückschlüsse zu, ob die Taten von Pflegebedürftigen oder vom ärztlichen oder pflegerischen Personal begangen wurden.
Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft ist besorgt über die steigende Gewalt. Nach einer repräsentativen Umfrage gaben 73 Prozent der Krankenhäuser an, dass die Zahl der Übergriffe in ihren Häusern in den vergangenen fünf Jahren mäßig (53 Prozent) oder deutlich (20 Prozent) gestiegen sei. Lediglich in vier Prozent der Krankenhäuser sei die Gewalt im gleichen Zeitraum zurückgegangen. Die meisten Gewalterfahrungen würden im Pflegedienst gemacht.
Dies bestätigten 80 Prozent der Kliniken. Ein weiterer Schwerpunkt sei die Notaufnahme, hier verzeichneten 50 Prozent der Kliniken Übergriffe.
Als Hauptursache für die Gewalt nannten 73 Prozent der Kliniken einen allgemeinen Respektverlust gegenüber Krankenhauspersonal. Häufig seien auch zustandsabhängige Übergriffe, die z. B. durch Alkohol oder Schmerzen hervorgerufen wurden, sowie krankheitsbedingtes Verhalten, wenn die Übergriffe durch demente oder psychisch kranke Patientinnen und Patienten erfolgen. Gefahren gingen zudem von langen Wartezeiten aus, sie lösten nach Angabe
von 40 Prozent der Kliniken die Gewalt aus.
Gewalterfahrungen gefährden nach Angaben der Kliniken auch die Gesundheitsversorgung. Pflegende melden sich nach erlebten Vorfällen krank oder wechseln sogar den Beruf. 24 Prozent der Kliniken berichteten über Kündigungen als Folge von Übergriffen. Lediglich 13 Prozent der Krankenhäuser gaben an, dass Übergriffe nicht zu psychischen Belastungen unter den Betroffenen geführt hätten. Vor allem mit Deeskalationstrainings und baulichen Maßnahmen, z. B. Zutrittsbeschränkungen und Videoüberwachung, versuchen die Krankenhäuser, Übergriffen vorzubeugen. 28 Prozent der Kliniken setzen einen Sicherheitsdienst ein.
Der anhaltende Trend zu mehr Gewalt im Gesundheitswesen ist nicht hinnehmbar. Die Bemühungen, eine Trendumkehr zu erreichen, müssen daher unbedingt weiter verstärkt werden – zum Wohl der Patientinnen und Patienten, der Beschäftigten im Gesundheitswesen und der gesamten Gesellschaft.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest,
- dass Gewalt sowohl gegen Beschäftigte im Gesundheitswesen als auch Patientinnen und Patienten nicht toleriert wird. Der Landtag verurteilt jede Form von Gewalt.
- dass die steigenden Gewaltzahlen im Gesundheitswesen eine klare Handlungsaufforderung für die Landespolitik sind.
- dass alle Akteure im Gesundheitswesen besser für die Gewalt-Problematik sensibilisiert werden müssen.
Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
- sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass Arztpraxen in das „Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie sonstigen dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten“ aufgenommen werden,
- bauliche Maßnahmen zur Gewaltprävention in Krankenhäusern und Arztpraxen (z. B. durch Informationstafeln zu Wartezeiten, Notrufschalter, erhöhte Tresen an der Patientenanmeldung) zu fördern,
- die beim Runden Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt und Diskriminierung von Beschäftigten im Gesundheitswesen“ gefundenen Best-Practice-Ansätze zeitnah flächendeckend in Nordrhein-Westfalen umzusetzen,
- eine Respektkampagne für Beschäftigte im Gesundheitswesen zu entwickeln und mit Schwerpunkt auf die sozialen Netzwerke zu verbreiten.