Ohne Betreuung kein Wirtschaftswunder – Keine pauschale Reduzierung der Betreuungszeiten von Kindertagesstätten und Kindertagespflege!
I. Ausgangslage
Die frühkindliche Bildung ist ein zentraler Pfeiler für die Entwicklung und Zukunft unserer Kinder und in unserem föderalen Staatsgebilde eine der Kernaufgaben einer Landesregierung. Qualitativ hochwertige Betreuungsangebote wie Kindertagespflege und Kindertagesstätten (Kitas) sind entscheidende Bausteine für eine familienfreundliche Politik. Durch die Unterstützung dieser Betreuungsformen wird es Eltern ermöglicht, Familie und Beruf besser zu vereinbaren. Während Eltern ihre beruflichen Ziele verfolgen können, wachsen ihre Kinder in einer sie fördernden Umgebung auf, die ihnen beste Bildungschancen bietet. So können Kinder besonders gut soziale Kompetenzen erwerben. Dies dient auch der guten Entwicklung der gesamten Gesellschaft.
Frühkindliche Bildung hat für schwarz-grüne Landesregierung keine Priorität
Leider hat die schwarz-grüne Landesregierung dieser entscheidenden Aufgabe seit ihrem Amtsantritt deutlich zu wenig Priorität eingeräumt – sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in der politischen Aufmerksamkeit. Die Folge: Die Lage bei den Trägern der Kindertageseinrichtungen hat sich seit dem Herbst 2022 dramatisch zugespitzt. Warnungen und Hilfegesuche aus Politik, Verbändelandschaft und Betroffenen wurden nicht erhört. Die bereitgestellte Überbrückungshilfe von 100 Millionen Euro ist nicht auskömmlich. Angebotseinschränkungen gehören zur Tagesordnung. Träger fahren ihre Kindertagesstätten in Mindestbesetzung, müssen teilweise ihre Einrichtungen schließen und sind mehr als zurückhaltend bei der Schaffung von neuen Plätzen.
Symbolisch für die falsche Prioritätensetzung der Regierung ist das von der Regierung ausgerichtete „Familienfest“. Diese Veranstaltung ist zwar gut gemeint, bringt aber keine echte Hilfe für die Familien in Nordrhein-Westfalen, die tagtäglich um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ringen. Es braucht stattdessen dringend benötigte Investitionen in die Kitas.
Betreuungszeiten - Regierung denkt offenbar über pauschale Kürzungen nach
In dieser Situation verunsichert die schwarz-grüne Landesregierung die Familien und Träger zusätzlich, indem sie die pauschale Reduzierung der Betreuungszeiten auf 35 Wochenstunden ins Gespräch bringt und als mögliche Lösung für die Schieflage und den Fachkräftemangel in den Einrichtungen prüft. Zusätzliche Betreuungsstunden müssten dann durch die Eltern mit zusätzlichen Gebühren gebucht werden, obwohl die beiden letzten Kita-Jahre beitragsfrei sind.
Diese Maßnahme hat Staatssekretär Bahr in Rahmen einer Veranstaltung der Bergischen IHK in Wuppertal als Vorschlag eingebracht. Auch parlamentarische Anfragen hierzu wurden mit dem Verweis, dass man ohne Denkverbote an Lösungen arbeite, beantwortet. In den zurückliegenden Wochen führte eine Sprecherin des Ministeriums aus, dass „Lösungen [...] rechtskonform und rechtsanspruchserfüllend sein [müssen] und der großen Heterogenität der Kita- Landschaft, die übrigens eine große Stärke ist, gleichermaßen Rechnung tragen. Das ist bei einer simplen Reduzierung der Wochenstunden nicht der Fall, weshalb dies keine tragfähige Lösung sein kann.”
Dennoch bleibt die Unsicherheit, da Familienministerin Paul nach wie vor von neuen kreativen Lösungen spricht, ohne explizit den Ausführungen ihres Staatssekretärs zu widersprechen und eine Reduzierung der Betreuungszeiten auszuschließen.
Unsicherheit bei den Familien in Nordrhein-Westfalen beenden
Die Reaktionen auf den Vorschlag fallen deutlich aus. So stellt die GEW NRW klar, dass dies ein Schritt in die absolut falsche Richtung sei und nicht den Bedürfnissen von Familien und Kindern entspreche. Der Landeselternverband Nordrhein-Westfalen unterstreicht, dass die ökonomischen Folgen einer Reduzierung vertraglicher Buchungszeiten fatal wären und zudem eine Verschlechterung der gesetzlichen Rahmenbedingungen wie auch einen massiven Eingriff in die existierenden Rechte der Kinder auf Bildung und Förderung darstellen würde.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geriete durch reine 35-Stunden-Verträge in Kindertagesstätten in Bedrängnis. Vollzeitberufstätige Eltern könnten ihre Wochenarbeitszeiten nicht einhalten, was dazu führen würde, dass mindestens ein Elternteil in Teilzeit arbeiten müsste. Es bestünde die Gefahr, dass sich überholte Rollenbilder verfestigen, weil voraussichtlich vor allem Frauen wieder ihre Vollzeitbeschäftigung auf eine Teilzeitbeschäftigung reduzieren oder sogar komplett den Beruf aufgeben würden. Entsprechende Entwicklungen sind bereits jetzt zu beobachten. So gaben in einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung 63 Prozent der befragten Väter an, dass ihre Partnerin in Kitanotlagen bei der Kinderbetreuung eingesprungen ist.
Von einem umgedrehten Szenario berichteten nur 33 Prozent der Mütter. Gerade auch für alleinerziehende Eltern wäre eine pauschale Kürzung katastrophal. Alleinerziehende, gerade mit älteren Kindern, möchten gerne wieder vermehrt in den Beruf zurückkehren. Die rechtliche Zusicherung eines Kita-Platzes mit 45 Wochenstunden ist ein daher wichtiger Rückhalt, der langfristig erhalten bleiben muss.
Gleiches gilt für die Kindertagespflege, die eine familiäre, flexible und individuelle Betreuungsform insbesondere für Kinder unter drei Jahren darstellt und oft eine wichtige Alternative oder Ergänzung zur institutionellen Betreuung in Kindertagesstätten ist. Auch hier gibt es im Bereich der Betreuungszeiten Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen, welche auf eine pauschale Festschreibung auf 35 Wochenstunden hindeuten. So werden aktuell in der Landeshauptstadt Düsseldorf Planungen dieser Art zwischen Stadtverwaltung und Vertretern der Kindertagespflege heftig diskutiert. Die Landesregierung muss daher dieser Verunsicherung schnell klare Aussagen entgegenstellen.
Wirtschaftskraft braucht verlässliche Betreuungszeiten
Auch für die nordrhein-westfälische Wirtschaft sind Kita-Platzmangel, eingeschränktes Angebot und die Drohung von pauschalen Kürzungen von Betreuungszeiten ein ernstzunehmendes Problem. Ein verlässliches System der frühkindlichen Bildung schafft Wirtschaftskraft, das verdeutlicht eine kürzlich veröffentliche Studie.
Demnach entgehen der deutschen Wirtschaft 22,7 Milliarden Euro für Eltern, die nicht in Vollzeit arbeiten. 80 Prozent davon sind Frauen (18,1 Milliarden Euro). Um diese Zahlen zu errechnen, haben die Autoren der Studie die durch Teilzeit entgangenen Arbeitsstunden auf ganz Deutschland übertragen und diese mit dem Durchschnittsgehalt multipliziert. Auch für Nordrhein-Westfalen lässt sich entsprechend erahnen, was die aktuelle Kita-Situation für die Wirtschaft bedeutet und welche Folgen eine pauschale Reduzierung von Betreuungszeiten hätte.
Dem Plan einer pauschalen Kürzung von Betreuungszeiten auf 35 Wochenstunden muss daher eine klare Absage erteilt werden. Stattdessen muss der Fokus darauf liegen, die finanzielle Schieflage im bestehenden System auszugleichen und den Ausbau von Betreuungsplätzen signifikant zu verstärken. Im Austausch und in der Zusammenarbeit mit den Kommunalen Spitzenverbänden muss es das Ziel sein, dass flexible Betreuungszeitkontingente in der Kindertagespflege erhalten und gesichert werden. Im Rahmen der Überarbeitung des Kinderbildungsgesetzes muss darauf hingearbeitet werden, das Angebot der bestehenden Betreuungszeitkontingente weiter zu verbessern.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:
- Die Sicherung und Entwicklung der frühkindlichen Bildung in Nordrhein-Westfalen ist eine landesseitige Kernaufgabe.
- Verlässliche und flexible Betreuungszeiten brauchen Kinder, Eltern und die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen.
- Verlässliche und flexible Betreuungszeiten bedeuten zusätzlich Wirtschaftskraft für Nordrhein-Westfalen.
- Das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern, zugesichert durch das Kinderbildungsgesetz des Landes NRW, stellt ein hohes Gut dar.
- Pauschale Reduzierungen der Betreuungszeiten bedeuten einen einschneidenden Rückschritt für die frühkindlichen Bildung in Nordrhein-Westfalen und gefährden das wirtschaftliche Potenzial in Nordrhein-Westfalen.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- Überlegungen zur allgemeinen Reduzierung der Betreuungszeiten auf 35 Wochenstunden in Kindertageseinrichtungen eine klare Absage zu erteilen.
- sicher zu stellen, dass die beiden letzten Kita-Jahre wie bislang beitragsfrei bleiben und perspektivisch auch das dritte Kita-Jahr beitragsfrei für die Eltern gestaltet wird.
- die finanzielle Schieflage im bestehenden System der Kindertageseinrichtungen endlich auszugleichen und den Träger und Beschäftigen somit Planungssicherheit zu geben.
- den Platzausbau signifikant und bedarfsgerecht zu stärken.
- den Prozess der Novellierung des Kinderbetreuungsgesetzes zu beschleunigen und im Zuge dieser Revision die Finanzierung krisenfest aufzustellen, die bisherige Regelung der Betreuungszeiten, wie auch die qualitativ hochwertig frühkindliche Bildung zu stärken.
- in Zusammenarbeit mit den Kommunalen Spitzenverbänden sicherzustellen, dass die Betreuungszeiten nach dem Wunsch- und Wahlrecht der Eltern auch in der Kindertagespflege erhalten und ausgestaltet werden.
Absage an pauschale Kürzung von Betreuungszeiten
Die aktuelle Unsicherheit unter den Familien und in der Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen, ausgelöst durch das Schreckensszenario der pauschalen Kürzung von Betreuungszeiten, ist nicht hinnehmbar. Frühkindliche Bildung muss höchste Priorität haben. Es geht dabei um die Bildungschancen unserer Kinder und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es ist klar, dass frühkindliche Bildung Geld kostet. Doch die langfristigen Kosten, die durch das Fehlen ausreichender Betreuungsangebote entstehen, sind noch viel höher. Kinder, die früh gefördert werden, haben bessere Bildungschancen und können so später auch mehr am sozialen Leben
teilhaben. Eltern, die auf eine verlässliche Betreuung zurückgreifen können, sind eher in der Lage, beruflich tätig zu bleiben oder wieder in den Beruf einzusteigen, was wiederum der Wirtschaft zugutekommt. Die Träger der Einrichtungen brauchen ebenfalls Planungssicherheit.